erstgenannten Station logirten wir beym Rehe; auf der zweyten weiß ich selbst nicht mehr, was es vor ein Thier war. An beyden Orten gabs nur kalte Küche, und ein Gesöff ohne Namen. Den dritten Abend bis Ulm wieder 9. St. Diesen Tag fieng ich an, die Beschwerlichkeiten der Reise zu fühlen; schon hatt' ich Schwielen an den Füssen, und war mir's sonst sterbensübel. Im Städtgen Egna setzten wir uns ein Stück Wegs auf einen Bauernwagen, da denn das gewaltige Schütteln dieses Fuhrwerks, zu- mal bey mir, seine gewohnte herzbrechende Wirkung that. Als wir unweit Ulm abstiegen, ward's mir schwarz und blau vor den Augen. Ich sank zu Bo- den: "Um Gottes Barmherzigkeit willen"., sagt' ich: "Weiter kann ich nicht; lieber laßt mich auf der Gasse "liegen". Ein barmherziger Samariter lud mich endlich auf seine nackte Mähre, auf der ich mich vollends bis ins Städtgen so lahm ritt, daß ich weder mehr stehen noch gehen konnte. Zu Ulm logirten wir beym Adler, und hatten dort unsern ersten Rasttag. Mei- ne Cameraden besorgten da ihre alten Herzensange- legenheiten; Ich legte mich lieber auf die faule Haut. Nur sah' ich an diesem Ort einen Leichenzug, der mir sehr wohl gefiel. Das Weibsvolk gieng ganz weiß bis auf die Füsse. Den fünsten Tag marschier- ten wir bis auf Gengen 7. St. Den sechsten auf Nördlingen, wieder 7. St. und hielten da den zweyten Rasttag. Hevel hatte dort beym Wilden Mann ein liebs Lisel. Sie spielte artig die Cithar; Er sang Lieder dazu. Sonst weiß ich von diesem
erſtgenannten Station logirten wir beym Rehe; auf der zweyten weiß ich ſelbſt nicht mehr, was es vor ein Thier war. An beyden Orten gabs nur kalte Kuͤche, und ein Geſoͤff ohne Namen. Den dritten Abend bis Ulm wieder 9. St. Dieſen Tag fieng ich an, die Beſchwerlichkeiten der Reiſe zu fuͤhlen; ſchon hatt’ ich Schwielen an den Fuͤſſen, und war mir’s ſonſt ſterbensuͤbel. Im Staͤdtgen Egna ſetzten wir uns ein Stuͤck Wegs auf einen Bauernwagen, da denn das gewaltige Schuͤtteln dieſes Fuhrwerks, zu- mal bey mir, ſeine gewohnte herzbrechende Wirkung that. Als wir unweit Ulm abſtiegen, ward’s mir ſchwarz und blau vor den Augen. Ich ſank zu Bo- den: „Um Gottes Barmherzigkeit willen„., ſagt’ ich: „Weiter kann ich nicht; lieber laßt mich auf der Gaſſe „liegen„. Ein barmherziger Samariter lud mich endlich auf ſeine nackte Maͤhre, auf der ich mich vollends bis ins Staͤdtgen ſo lahm ritt, daß ich weder mehr ſtehen noch gehen konnte. Zu Ulm logirten wir beym Adler, und hatten dort unſern erſten Raſttag. Mei- ne Cameraden beſorgten da ihre alten Herzensange- legenheiten; Ich legte mich lieber auf die faule Haut. Nur ſah’ ich an dieſem Ort einen Leichenzug, der mir ſehr wohl gefiel. Das Weibsvolk gieng ganz weiß bis auf die Fuͤſſe. Den fuͤnſten Tag marſchier- ten wir bis auf Gengen 7. St. Den ſechſten auf Nördlingen, wieder 7. St. und hielten da den zweyten Raſttag. Hevel hatte dort beym Wilden Mann ein liebs Liſel. Sie ſpielte artig die Cithar; Er ſang Lieder dazu. Sonſt weiß ich von dieſem
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0130"n="114"/>
erſtgenannten Station logirten wir beym Rehe; auf der<lb/>
zweyten weiß ich ſelbſt nicht mehr, was es vor ein<lb/>
Thier war. An beyden Orten gabs nur kalte Kuͤche,<lb/>
und ein Geſoͤff ohne Namen. Den dritten Abend<lb/>
bis <hirendition="#fr">Ulm</hi> wieder 9. St. Dieſen Tag fieng ich an,<lb/>
die Beſchwerlichkeiten der Reiſe zu fuͤhlen; ſchon<lb/>
hatt’ ich Schwielen an den Fuͤſſen, und war mir’s<lb/>ſonſt ſterbensuͤbel. Im Staͤdtgen <hirendition="#fr">Egna</hi>ſetzten wir<lb/>
uns ein Stuͤck Wegs auf einen Bauernwagen, da<lb/>
denn das gewaltige Schuͤtteln dieſes Fuhrwerks, zu-<lb/>
mal bey mir, ſeine gewohnte herzbrechende Wirkung<lb/>
that. Als wir unweit <hirendition="#fr">Ulm</hi> abſtiegen, ward’s mir<lb/>ſchwarz und blau vor den Augen. Ich ſank zu Bo-<lb/>
den: „Um Gottes Barmherzigkeit willen„., ſagt’ ich:<lb/>„Weiter kann ich nicht; lieber laßt mich auf der Gaſſe<lb/>„liegen„. Ein barmherziger Samariter lud mich<lb/>
endlich auf ſeine nackte Maͤhre, auf der ich mich vollends<lb/>
bis ins Staͤdtgen ſo lahm ritt, daß ich weder mehr ſtehen<lb/>
noch gehen konnte. Zu <hirendition="#fr">Ulm</hi> logirten wir beym<lb/>
Adler, und hatten dort unſern erſten Raſttag. Mei-<lb/>
ne Cameraden beſorgten da ihre alten Herzensange-<lb/>
legenheiten; Ich legte mich lieber auf die faule Haut.<lb/>
Nur ſah’ ich an dieſem Ort einen Leichenzug, der<lb/>
mir ſehr wohl gefiel. Das Weibsvolk gieng ganz<lb/>
weiß bis auf die Fuͤſſe. Den fuͤnſten Tag marſchier-<lb/>
ten wir bis auf <hirendition="#fr">Gengen</hi> 7. St. Den ſechſten auf<lb/><hirendition="#fr">Nördlingen</hi>, wieder 7. St. und hielten da den<lb/>
zweyten Raſttag. <hirendition="#fr">Hevel</hi> hatte dort beym Wilden<lb/>
Mann ein liebs <hirendition="#fr">Liſel</hi>. Sie ſpielte artig die Cithar;<lb/>
Er ſang Lieder dazu. Sonſt weiß ich von dieſem<lb/></p></div></body></text></TEI>
[114/0130]
erſtgenannten Station logirten wir beym Rehe; auf der
zweyten weiß ich ſelbſt nicht mehr, was es vor ein
Thier war. An beyden Orten gabs nur kalte Kuͤche,
und ein Geſoͤff ohne Namen. Den dritten Abend
bis Ulm wieder 9. St. Dieſen Tag fieng ich an,
die Beſchwerlichkeiten der Reiſe zu fuͤhlen; ſchon
hatt’ ich Schwielen an den Fuͤſſen, und war mir’s
ſonſt ſterbensuͤbel. Im Staͤdtgen Egna ſetzten wir
uns ein Stuͤck Wegs auf einen Bauernwagen, da
denn das gewaltige Schuͤtteln dieſes Fuhrwerks, zu-
mal bey mir, ſeine gewohnte herzbrechende Wirkung
that. Als wir unweit Ulm abſtiegen, ward’s mir
ſchwarz und blau vor den Augen. Ich ſank zu Bo-
den: „Um Gottes Barmherzigkeit willen„., ſagt’ ich:
„Weiter kann ich nicht; lieber laßt mich auf der Gaſſe
„liegen„. Ein barmherziger Samariter lud mich
endlich auf ſeine nackte Maͤhre, auf der ich mich vollends
bis ins Staͤdtgen ſo lahm ritt, daß ich weder mehr ſtehen
noch gehen konnte. Zu Ulm logirten wir beym
Adler, und hatten dort unſern erſten Raſttag. Mei-
ne Cameraden beſorgten da ihre alten Herzensange-
legenheiten; Ich legte mich lieber auf die faule Haut.
Nur ſah’ ich an dieſem Ort einen Leichenzug, der
mir ſehr wohl gefiel. Das Weibsvolk gieng ganz
weiß bis auf die Fuͤſſe. Den fuͤnſten Tag marſchier-
ten wir bis auf Gengen 7. St. Den ſechſten auf
Nördlingen, wieder 7. St. und hielten da den
zweyten Raſttag. Hevel hatte dort beym Wilden
Mann ein liebs Liſel. Sie ſpielte artig die Cithar;
Er ſang Lieder dazu. Sonſt weiß ich von dieſem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/130>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.