Ich klopfte an. Wir setzten uns vor's Haus auf's Bänkgen, bis er hinunterkam. Wir achteten sei- ner kaum. Wirklich fieng Aennchen itzt wieder aufs neue an; die Scheue vor einem lebendigen Zeugen gab uns selber den Muth, uns besser zu fassen. Wir waren beyde so beredt wie Landvög- te. Aber freylich übertraf mich mein Schätzgen in der Redekunst, in Liebkosungen und Schwü- ren, noch himmelweit. Bald gieng's ein wenig Berg auf. Nun wollte Laurenz Aennchen nicht weiter lassen: "Genug ist genug, ihr Bürschlin"! sagte er: "Uchel! so kämen wir ewig nicht fort. -- "Ihr klebt da aneinander, wie Harz. -- Was hilft "itzt das Brieggen? -- Mädel es ist Zeit mit "dir ins Dorf zurück: Es giebt noch der Knaben "mehr als genug"! Endlich (freylich währt' es lange genug) mußt' ich Aennchen noch selber bitten, um- zukehren: "Es muß -- es muß doch seyn"! Dann noch einen eineinzigen Kuß -- aber einen wie's in meinem Leben der erste und der letzte war -- und ein Paar Dutzend Händedrück', und: Leb, leb wohl! Vergiß mein nicht! -- Nein gewiß nicht -- nie -- in Ewigkeit nicht! -- Wir giengen; sie stand still, ver- hüllte ihr Gesicht, und weinte überlaut -- ich nicht viel minder. So weit wir uns noch sehen konnten, schweyten wir die Schnupftücher, und warfen einan- der Küsse zu. Itzt war's vorbey: Wir kamen ihr aus dem Gesicht. -- O wie's mir da zu Muthe war! -- Laurenz wollte mir Muth einsprechen, und fieng eine ganze Predigt an: Wie's in der Frem-
Ich klopfte an. Wir ſetzten uns vor’s Haus auf’s Baͤnkgen, bis er hinunterkam. Wir achteten ſei- ner kaum. Wirklich fieng Aennchen itzt wieder aufs neue an; die Scheue vor einem lebendigen Zeugen gab uns ſelber den Muth, uns beſſer zu faſſen. Wir waren beyde ſo beredt wie Landvoͤg- te. Aber freylich uͤbertraf mich mein Schaͤtzgen in der Redekunſt, in Liebkoſungen und Schwuͤ- ren, noch himmelweit. Bald gieng’s ein wenig Berg auf. Nun wollte Laurenz Aennchen nicht weiter laſſen: „Genug iſt genug, ihr Buͤrſchlin„! ſagte er: „Uchel! ſo kaͤmen wir ewig nicht fort. — „Ihr klebt da aneinander, wie Harz. — Was hilft „itzt das Brieggen? — Maͤdel es iſt Zeit mit „dir ins Dorf zuruͤck: Es giebt noch der Knaben „mehr als genug„! Endlich (freylich waͤhrt’ es lange genug) mußt’ ich Aennchen noch ſelber bitten, um- zukehren: „Es muß — es muß doch ſeyn„! Dann noch einen eineinzigen Kuß — aber einen wie’s in meinem Leben der erſte und der letzte war — und ein Paar Dutzend Haͤndedruͤck’, und: Leb, leb wohl! Vergiß mein nicht! — Nein gewiß nicht — nie — in Ewigkeit nicht! — Wir giengen; ſie ſtand ſtill, ver- huͤllte ihr Geſicht, und weinte uͤberlaut — ich nicht viel minder. So weit wir uns noch ſehen konnten, ſchweyten wir die Schnupftuͤcher, und warfen einan- der Kuͤſſe zu. Itzt war’s vorbey: Wir kamen ihr aus dem Geſicht. — O wie’s mir da zu Muthe war! — Laurenz wollte mir Muth einſprechen, und fieng eine ganze Predigt an: Wie’s in der Frem-
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Ich klopfte an. Wir ſetzten uns vor’s Haus auf’s
Baͤnkgen, bis er hinunterkam. Wir achteten ſei-
ner kaum. Wirklich fieng Aennchen itzt wieder
aufs neue an; die Scheue vor einem lebendigen
Zeugen gab uns ſelber den Muth, uns beſſer zu
faſſen. Wir waren beyde ſo beredt wie Landvoͤg-
te. Aber freylich uͤbertraf mich mein Schaͤtzgen
in der Redekunſt, in Liebkoſungen und Schwuͤ-
ren, noch himmelweit. Bald gieng’s ein wenig
Berg auf. Nun wollte Laurenz Aennchen nicht
weiter laſſen: „Genug iſt genug, ihr Buͤrſchlin„!
ſagte er: „Uchel! ſo kaͤmen wir ewig nicht fort. —
„Ihr klebt da aneinander, wie Harz. — Was hilft
„itzt das Brieggen? — Maͤdel es iſt Zeit mit
„dir ins Dorf zuruͤck: Es giebt noch der Knaben
„mehr als genug„! Endlich (freylich waͤhrt’ es lange
genug) mußt’ ich Aennchen noch ſelber bitten, um-
zukehren: „Es muß — es muß doch ſeyn„! Dann
noch einen eineinzigen Kuß — aber einen wie’s in
meinem Leben der erſte und der letzte war — und
ein Paar Dutzend Haͤndedruͤck’, und: Leb, leb wohl!
Vergiß mein nicht! — Nein gewiß nicht — nie — in
Ewigkeit nicht! — Wir giengen; ſie ſtand ſtill, ver-
huͤllte ihr Geſicht, und weinte uͤberlaut — ich nicht
viel minder. So weit wir uns noch ſehen konnten,
ſchweyten wir die Schnupftuͤcher, und warfen einan-
der Kuͤſſe zu. Itzt war’s vorbey: Wir kamen ihr
aus dem Geſicht. — O wie’s mir da zu Muthe
war! — Laurenz wollte mir Muth einſprechen,
und fieng eine ganze Predigt an: Wie’s in der Frem-
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/103>, abgerufen am 09.11.2024.
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