Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_093.001 a b b a pbo_093.006 a b b a pbo_093.007 c d e -- c d e pbo_093.008 oder c d c -- d e e pbo_093.009 pbo_093.023Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen, pbo_093.010 pbo_093.013Und haben sich, eh man es denkt, gefunden; pbo_093.011 Der Widerwille ist auch mir verschwunden, pbo_093.012 Und beide scheinen gleich mich anzuziehen. Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen! pbo_093.014 pbo_093.017Und wenn wir erst in abgemessnen Stunden pbo_093.015 Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden, pbo_093.016 Mag frei Natur im Herzen wieder glühen! So ist's mit aller Bildung auch beschaffen: pbo_093.018 pbo_093.020Vergebens werden ungebundne Geister pbo_093.019 Nach der Vollendung reiner Höhe streben. Wer Großes will, muß sich zusammenraffen; pbo_093.021 Jn der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, pbo_093.022 Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben. Goethe. pbo_093.024 pbo_093.001 a b b a pbo_093.006 a b b a pbo_093.007 c d e — c d e pbo_093.008 oder c d c — d e e pbo_093.009 pbo_093.023Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen, pbo_093.010 pbo_093.013Und haben sich, eh man es denkt, gefunden; pbo_093.011 Der Widerwille ist auch mir verschwunden, pbo_093.012 Und beide scheinen gleich mich anzuziehen. Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen! pbo_093.014 pbo_093.017Und wenn wir erst in abgemessnen Stunden pbo_093.015 Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden, pbo_093.016 Mag frei Natur im Herzen wieder glühen! So ist's mit aller Bildung auch beschaffen: pbo_093.018 pbo_093.020Vergebens werden ungebundne Geister pbo_093.019 Nach der Vollendung reiner Höhe streben. Wer Großes will, muß sich zusammenraffen; pbo_093.021 Jn der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, pbo_093.022 Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben. Goethe. pbo_093.024 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0097" n="93"/><lb n="pbo_093.001"/> sechszeilige (zweimal dreizeilige, sixain, Terzette) als Epodos <lb n="pbo_093.002"/> ab. Der typische Rhythmus ist der fünffüßige Jambus. Die <lb n="pbo_093.003"/> Reimverschränkung zeigt, durch Buchstaben ausgedrückt, unter <lb n="pbo_093.004"/> mannigfachen Varianten den Typus:</p> <lb n="pbo_093.005"/> <lg> <l>a b b a</l> <lb n="pbo_093.006"/> <l>a b b a</l> <lb n="pbo_093.007"/> <l>c d e — c d e</l> <lb n="pbo_093.008"/> <l>oder c d c — d e e </l> </lg> <lg type="poem"> <lb n="pbo_093.009"/> <lg> <l>Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen,</l> <lb n="pbo_093.010"/> <l>Und haben sich, eh man es denkt, gefunden;</l> <lb n="pbo_093.011"/> <l>Der Widerwille ist auch mir verschwunden,</l> <lb n="pbo_093.012"/> <l>Und beide scheinen gleich mich anzuziehen.</l> </lg> <lb n="pbo_093.013"/> <lg> <l>Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen! </l> <lb n="pbo_093.014"/> <l>Und wenn wir erst in abgemessnen Stunden</l> <lb n="pbo_093.015"/> <l>Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,</l> <lb n="pbo_093.016"/> <l>Mag frei Natur im Herzen wieder glühen!</l> </lg> <lb n="pbo_093.017"/> <lg> <l>So ist's mit aller Bildung auch beschaffen:</l> <lb n="pbo_093.018"/> <l>Vergebens werden ungebundne Geister </l> <lb n="pbo_093.019"/> <l>Nach der Vollendung reiner Höhe streben.</l> </lg> <lb n="pbo_093.020"/> <lg> <l>Wer Großes will, muß sich zusammenraffen;</l> <lb n="pbo_093.021"/> <l>Jn der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, </l> <lb n="pbo_093.022"/> <l>Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.</l> </lg> </lg> <lb n="pbo_093.023"/> <p> Goethe. </p> <p><lb n="pbo_093.024"/> Durch ihre Ausdehnung vermag diese Strophenform einen <lb n="pbo_093.025"/> poetischen Jnhalt vollkommen in sich abzuschließen, wobei ihr <lb n="pbo_093.026"/> logischer Bau (gleichsam Prämissen und Konklusion) zur angemessenen <lb n="pbo_093.027"/> Zusammendrängung eines überfließenden Stoffes <lb n="pbo_093.028"/> förmlich die Anleitung giebt. So ward das Sonett früh <lb n="pbo_093.029"/> (durch Petrarca) zum bevorzugten Träger des poetischen Tagebuchs, <lb n="pbo_093.030"/> eine poetische Beichtformel, der die edelsten Geister </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0097]
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sechszeilige (zweimal dreizeilige, sixain, Terzette) als Epodos pbo_093.002
ab. Der typische Rhythmus ist der fünffüßige Jambus. Die pbo_093.003
Reimverschränkung zeigt, durch Buchstaben ausgedrückt, unter pbo_093.004
mannigfachen Varianten den Typus:
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a b b a pbo_093.006
a b b a pbo_093.007
c d e — c d e pbo_093.008
oder c d c — d e e
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Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen, pbo_093.010
Und haben sich, eh man es denkt, gefunden; pbo_093.011
Der Widerwille ist auch mir verschwunden, pbo_093.012
Und beide scheinen gleich mich anzuziehen.
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Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen! pbo_093.014
Und wenn wir erst in abgemessnen Stunden pbo_093.015
Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden, pbo_093.016
Mag frei Natur im Herzen wieder glühen!
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So ist's mit aller Bildung auch beschaffen: pbo_093.018
Vergebens werden ungebundne Geister pbo_093.019
Nach der Vollendung reiner Höhe streben.
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Wer Großes will, muß sich zusammenraffen; pbo_093.021
Jn der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, pbo_093.022
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.
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Goethe.
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Durch ihre Ausdehnung vermag diese Strophenform einen pbo_093.025
poetischen Jnhalt vollkommen in sich abzuschließen, wobei ihr pbo_093.026
logischer Bau (gleichsam Prämissen und Konklusion) zur angemessenen pbo_093.027
Zusammendrängung eines überfließenden Stoffes pbo_093.028
förmlich die Anleitung giebt. So ward das Sonett früh pbo_093.029
(durch Petrarca) zum bevorzugten Träger des poetischen Tagebuchs, pbo_093.030
eine poetische Beichtformel, der die edelsten Geister
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Zitationshilfe: | Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/97>, abgerufen am 16.02.2025. |