pbo_090.001 Wechsel künstlicher Metren zu rhythmischer Eintönigkeit und pbo_090.002 der dadurch bedingten Forderung eines neuen, rein musikalischen pbo_090.003 Formungsmittels führte. Ein solches Mittel hatte die alte pbo_090.004 rhythmische Dichtung bereits in einer Art des Reims, dem pbo_090.005 schon gekennzeichneten Stabreim oder der Allitteration.pbo_090.006 Er ist ein Vorreim, der in jener primitiven Urrhythmik pbo_090.007 die Reihen strophisch zusammenhalten konnte, aber bei strengerer pbo_090.008 rhythmischen Ausgestaltung, wie wir sahen, in den Vers (die pbo_090.009 Langzeile) zurücksank.
pbo_090.010 Nun stellte sich Ende des ersten Jahrtausends nach Christus, pbo_090.011 ganz gewiß selbständig, aber durch orientalischen (arabischen) pbo_090.012 Einfluß zweifellos gefördert, der minder wuchtige, aber klangvollere pbo_090.013 Endreim ein, um die Verszeilen strophisch zu binden. pbo_090.014 Er muß nach seiner Stellung am minder tönenden Wortausgang pbo_090.015 eine ganze Silbe für sich in Anspruch nehmen. pbo_090.016 Denn im Silbenvokal liegt seine bindende Macht; er kann pbo_090.017 daher auch als bloßer Vokalreim (Assonanz) auftreten und pbo_090.018 erscheint so wie der Stabreim in manchen dadurch gehobenen pbo_090.019 Redewendungen (Wissen und Willen, kurz und gut). Der pbo_090.020 gleiche konsonantische Ausgang, so wenig er an sich zur Reimung pbo_090.021 beiträgt, gehört aber zum Vollreim, der gleichfalls so auftritt pbo_090.022 (Knall und Fall, schlecht [schlicht] und recht). Dagegen pbo_090.023 berührt der gleiche konsonantische Anfang von Vollreimsilben pbo_090.024 das deutsche Ohr wenigstens, nicht so das romanische, als pbo_090.025 Luxus (reicher Reim), da er für uns meist nur das gleiche pbo_090.026 Wort oder eine stereotype Endsilbe (heit, keit, schaft) wiederbringt. pbo_090.027 Wie in Wissenschaft -- Rechenschaft, Eitelkeitpbo_090.028 -- Ehrlichkeit. Jn der orientalischen Strophenform der pbo_090.029 Gasele ist diese Art Reim über das gleiche Wort (ja sogar pbo_090.030 mehrere) hinaus alleiniges Band durch beliebig viel Verse:
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pbo_090.010 Nun stellte sich Ende des ersten Jahrtausends nach Christus, pbo_090.011 ganz gewiß selbständig, aber durch orientalischen (arabischen) pbo_090.012 Einfluß zweifellos gefördert, der minder wuchtige, aber klangvollere pbo_090.013 Endreim ein, um die Verszeilen strophisch zu binden. pbo_090.014 Er muß nach seiner Stellung am minder tönenden Wortausgang pbo_090.015 eine ganze Silbe für sich in Anspruch nehmen. pbo_090.016 Denn im Silbenvokal liegt seine bindende Macht; er kann pbo_090.017 daher auch als bloßer Vokalreim (Assonanz) auftreten und pbo_090.018 erscheint so wie der Stabreim in manchen dadurch gehobenen pbo_090.019 Redewendungen (Wissen und Willen, kurz und gut). Der pbo_090.020 gleiche konsonantische Ausgang, so wenig er an sich zur Reimung pbo_090.021 beiträgt, gehört aber zum Vollreim, der gleichfalls so auftritt pbo_090.022 (Knall und Fall, schlecht [schlicht] und recht). Dagegen pbo_090.023 berührt der gleiche konsonantische Anfang von Vollreimsilben pbo_090.024 das deutsche Ohr wenigstens, nicht so das romanische, als pbo_090.025 Luxus (reicher Reim), da er für uns meist nur das gleiche pbo_090.026 Wort oder eine stereotype Endsilbe (heit, keit, schaft) wiederbringt. pbo_090.027 Wie in Wíssenscháft — Réchenscháft, Éitelkéitpbo_090.028 — Éhrlichkeit. Jn der orientalischen Strophenform der pbo_090.029 Gasele ist diese Art Reim über das gleiche Wort (ja sogar pbo_090.030 mehrere) hinaus alleiniges Band durch beliebig viel Verse:
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Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/94>, abgerufen am 16.02.2025.
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