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Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.

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sätzlichen
Taktwechsels begründen konnte. Den Grund dafür pbo_082.002
muß man wohl in der Ausschließlichkeit suchen, mit der pbo_082.003
das unbedingte rhythmische Taktieren den einmal eingeschagenen pbo_082.004
Gang aufrecht erhält, während der durch das Metrum bedingte pbo_082.005
Takt (das Skandieren) weit geschmeidiger sich jeder pbo_082.006
Laune des rhythmischen Wechsels anschmiegt. Es charakterisiert pbo_082.007
das Verhältnis, daß von der reichen Zahl typischer Gestaltungen, pbo_082.008
welche die griechische Metrenphantasie aus der unerschöpflichen pbo_082.009
Menge möglicher Kombinationen herausgehoben pbo_082.010
hat, grade diejenigen sich unter uns lebendig erhalten, welche pbo_082.011
sich rhythmisch durch Wechsel im analogen Takt -- jambischanapästisch, pbo_082.012
trochäisch-daktylisch -- ausdrücken lassen. So pbo_082.013
ward der antike alcäische Hendekasyllabus (Elfsilbenvers) pbo_082.014
für uns ein fünffüßiger Jambus mit Anapäst im vierten pbo_082.015
Fuße und Caesur im dritten Fuße:

pbo_082.016
Jch sah | o sagt | mir, || sah | ich was jetzt | geschieht*)

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Desgleichen bedeutet der sapphische Hendekasyllabus pbo_082.018
(Sapphicus minor) für uns einen fünffüßigen Trochäus mit pbo_082.019
Daktylus und Caesur im dritten Fuße:

pbo_082.020
Auch wenn | stille | Nacht || mich um | schattend | decket

pbo_082.021
Doch hat Klopstock gerade in der Ode, welcher dies Beispiel pbo_082.022
entnommen ist**) (Furcht der Geliebten 1753), den pbo_082.023
Daktylus nach der Folge der Verse je im ersten, zweiten pbo_082.024
oder dritten Fuße angewandt, jene Caesur aber nicht beachtet, pbo_082.025
ebensowenig wie Platen in seiner sapphischen Ode die pbo_082.026
Pyramide des Cestius.
***) Einen vierfüßigen katalektischen pbo_082.027
Trochäus, der seinen daktylischen Wechseltakt im zweiten Fuße

*) pbo_082.028
Vergl. Sammlung Göschen Nr. 1. Klopstock Ode Die beiden pbo_082.029
Musen 1752. S. 26.
**) pbo_082.030
Desgl. in der Ode "Der Frohsinn". Samml. Göschen Bd. 1. S. 83.
***) pbo_082.031
Werke Stuttg. 1853. II 157 ff.

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Fuße und Caesur im dritten Fuße:

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Desgleichen bedeutet der sapphische Hendekasyllabus pbo_082.018
(Sapphicus minor) für uns einen fünffüßigen Trochäus mit pbo_082.019
Daktylus und Caesur im dritten Fuße:

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Áuch wenn | stílle | Nácht ‖ mich um | scháttend | décket

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Doch hat Klopstock gerade in der Ode, welcher dies Beispiel pbo_082.022
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Daktylus nach der Folge der Verse je im ersten, zweiten pbo_082.024
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Pyramide des Cestius.
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Trochäus, der seinen daktylischen Wechseltakt im zweiten Fuße

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Zitationshilfe: Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/86>, abgerufen am 25.11.2024.