pbo_069.001 Der fünffüßige Jambus mit vollständigem oder hyperkatalektischem pbo_069.002 Abschluß ist der gewöhnliche Vers berühmter Strophenformen, pbo_069.003 des Sonetts, der Terzine, der Stanze. Jnnerhalb pbo_069.004 der letzteren ward er auch epischer Vers in Dantes Terzinen pbo_069.005 und den Stanzen des italienischen cinquecento (Ariost, pbo_069.006 Tasso), vom Reime wieder emanzipiert bei Milton. Der Vers pbo_069.007 bedarf noch keines entschiedenen Einschnitts, um ihn übersichtlich pbo_069.008 zu machen. Doch stellen sich Caesuren gern im zweiten pbo_069.009 oder dritten Fuße ein:
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Heraus | in Eu | re Schat | ten, || re | ge Wip | fel pbo_069.011 Ein ho | her Wil | le, || dem | ich mich | erge | be
pbo_069.012 Der sechsfüßige Jambus war der Dialogvers der antiken pbo_069.013 Tragödie. Als solcher heißt er auch Senar oder, da pbo_069.014 erst zwei jambische Füße (Dipodie) ein kennbares jambisches pbo_069.015 Metrum ausmachten, auch Trimeter. Er unterscheidet sich pbo_069.016 kennbar von dem bereits berührten, ihm äußerlich gleichenden pbo_069.017 französischen Alexandriner, daß er jener Diärese am pbo_069.018 Schluße des dritten Versfußes, die der Alexandriner zur pbo_069.019 Regel erhob, grundsätzlich ausweicht.
pbo_069.020
Trimeter:pbo_069.021
Js me | ne trau | te Schwes | ter, || viel | gelieb | tes Haupt,
pbo_069.022 Alexandriner:pbo_069.023
Js me | ne teu | res Haupt || als näch | ste mir | verwandt
pbo_069.024 Man fühlt, wie der Vers dadurch auseinanderklafft und jenen pbo_069.025 wohlweise nüchternen Parallelklang erhält, der ihn den Spitzfindigkeiten pbo_069.026 und Witzspielen der französischen Poesie empfahl, pbo_069.027 beim höheren Aufschwung aber notwendig den Eindruck des pbo_069.028 auf Stelzen Geschraubten hervorrufen muß. Dieser Eindruck pbo_069.029 wurde noch verstärkt durch die unausweichliche Zusammenkoppelung
pbo_069.001 Der fünffüßige Jambus mit vollständigem oder hyperkatalektischem pbo_069.002 Abschluß ist der gewöhnliche Vers berühmter Strophenformen, pbo_069.003 des Sonetts, der Terzine, der Stanze. Jnnerhalb pbo_069.004 der letzteren ward er auch epischer Vers in Dantes Terzinen pbo_069.005 und den Stanzen des italienischen cinquecento (Ariost, pbo_069.006 Tasso), vom Reime wieder emanzipiert bei Milton. Der Vers pbo_069.007 bedarf noch keines entschiedenen Einschnitts, um ihn übersichtlich pbo_069.008 zu machen. Doch stellen sich Caesuren gern im zweiten pbo_069.009 oder dritten Fuße ein:
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Heraús | in Éu | re Schát | ten, ‖ ré | ge Wíp | fel pbo_069.011 Ein hó | her Wíl | le, ‖ dém | ich mích | ergé | be
pbo_069.012 Der sechsfüßige Jambus war der Dialogvers der antiken pbo_069.013 Tragödie. Als solcher heißt er auch Senar oder, da pbo_069.014 erst zwei jambische Füße (Dipodie) ein kennbares jambisches pbo_069.015 Metrum ausmachten, auch Trimeter. Er unterscheidet sich pbo_069.016 kennbar von dem bereits berührten, ihm äußerlich gleichenden pbo_069.017 französischen Alexandriner, daß er jener Diärese am pbo_069.018 Schluße des dritten Versfußes, die der Alexandriner zur pbo_069.019 Regel erhob, grundsätzlich ausweicht.
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Trimeter:pbo_069.021
Js mé | ne tráu | te Schwés | ter, ‖ viél | gelíeb | tes Háupt,
pbo_069.022 Alexandriner:pbo_069.023
Js mé | ne teú | res Haúpt ‖ als nä́ch | ste mír | verwándt
pbo_069.024 Man fühlt, wie der Vers dadurch auseinanderklafft und jenen pbo_069.025 wohlweise nüchternen Parallelklang erhält, der ihn den Spitzfindigkeiten pbo_069.026 und Witzspielen der französischen Poesie empfahl, pbo_069.027 beim höheren Aufschwung aber notwendig den Eindruck des pbo_069.028 auf Stelzen Geschraubten hervorrufen muß. Dieser Eindruck pbo_069.029 wurde noch verstärkt durch die unausweichliche Zusammenkoppelung
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Abschluß ist der gewöhnliche Vers berühmter Strophenformen, pbo_069.003
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bedarf noch keines entschiedenen Einschnitts, um ihn übersichtlich pbo_069.008
zu machen. Doch stellen sich Caesuren gern im zweiten pbo_069.009
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Heraús | in Éu | re Schát | ten, ‖ ré | ge Wíp | fel pbo_069.011
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Der sechsfüßige Jambus war der Dialogvers der antiken pbo_069.013
Tragödie. Als solcher heißt er auch Senar oder, da pbo_069.014
erst zwei jambische Füße (Dipodie) ein kennbares jambisches pbo_069.015
Metrum ausmachten, auch Trimeter. Er unterscheidet sich pbo_069.016
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Js mé | ne tráu | te Schwés | ter, ‖ viél | gelíeb | tes Háupt,
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Man fühlt, wie der Vers dadurch auseinanderklafft und jenen pbo_069.025
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beim höheren Aufschwung aber notwendig den Eindruck des pbo_069.028
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Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/73>, abgerufen am 16.02.2025.
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