Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite
pbo_067.001
Der Mor | gen kam; || es scheuch || ten sei | ne Trit | te

pbo_067.002
Ja, die Verse selbst untereinander soll so der einheitliche pbo_067.003
Sinn über den metrischen Versschluß hinaus verknüpfen pbo_067.004
(Enjambement
).

pbo_067.005
Der Morgen kam; es scheuchten seine Schritte pbo_067.006
Den leisen Schlaf, ...

pbo_067.007
Doch nicht so, daß der Sinn in unablässiger Unruhe ohne pbo_067.008
Unterlaß über den Versschluß hinweghastet, sondern den ihm pbo_067.009
hierin gebotenen natürlichen Ruhepunkt auch immer wieder benutzt. pbo_067.010
Dies war die Weise der Alten. Verbot des Enjambement pbo_067.011
gemeinsam mit klaffender Versdiärese kennzeichnet pbo_067.012
den herrschenden Vers des französischen Classizismus, den pbo_067.013
Alexandriner (siehe denselben S. 69). Uebermaß der Enjambements pbo_067.014
findet sich zwischen den durch Caesuren des Ausrufs, pbo_067.015
der Ellipse, der Frage ganz im Sinne aufgegangenen Versen pbo_067.016
des Lessingschen Nathan.

pbo_067.017
Als katalektisch unterscheidet die antike Metrik solche pbo_067.018
Verse deren letzter Fuß unvollständig bleibt, von den vollständig pbo_067.019
ausklingenden (akatalektischen) und den um eine Silbe pbo_067.020
überzähligen (hyperkatalektischen):

pbo_067.021
Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo
pbo_067.022

(vierfüßiger Trochäus, akatalektisch),

pbo_067.023
Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid
pbo_067.024

(Desgl. katalektisch),

pbo_067.025
Der Morgen kam, es scheuchten seine Schritte
pbo_067.026

(fünffüßiger Jambus, hyperkalektisch).

pbo_067.027
§ 50. Jambische Verse.

pbo_067.028
Jambische Verstypen: Ordnen wir sie nach der pbo_067.029
Anzahl der Versfüße, so stößt uns zunächst der jambische

pbo_067.001
Der Mór | gen kám; ‖ es scheúch ‖ ten seí | ne Trít | te

pbo_067.002
Ja, die Verse selbst untereinander soll so der einheitliche pbo_067.003
Sinn über den metrischen Versschluß hinaus verknüpfen pbo_067.004
(Enjambement
).

pbo_067.005
Der Morgen kam; es scheuchten seine Schritte pbo_067.006
Den leisen Schlaf, ...

pbo_067.007
Doch nicht so, daß der Sinn in unablässiger Unruhe ohne pbo_067.008
Unterlaß über den Versschluß hinweghastet, sondern den ihm pbo_067.009
hierin gebotenen natürlichen Ruhepunkt auch immer wieder benutzt. pbo_067.010
Dies war die Weise der Alten. Verbot des Enjambement pbo_067.011
gemeinsam mit klaffender Versdiärese kennzeichnet pbo_067.012
den herrschenden Vers des französischen Classizismus, den pbo_067.013
Alexandriner (siehe denselben S. 69). Uebermaß der Enjambements pbo_067.014
findet sich zwischen den durch Caesuren des Ausrufs, pbo_067.015
der Ellipse, der Frage ganz im Sinne aufgegangenen Versen pbo_067.016
des Lessingschen Nathan.

pbo_067.017
Als katalektisch unterscheidet die antike Metrik solche pbo_067.018
Verse deren letzter Fuß unvollständig bleibt, von den vollständig pbo_067.019
ausklingenden (akatalektischen) und den um eine Silbe pbo_067.020
überzähligen (hyperkatalektischen):

pbo_067.021
Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo
pbo_067.022

(vierfüßiger Trochäus, akatalektisch),

pbo_067.023
Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid
pbo_067.024

(Desgl. katalektisch),

pbo_067.025
Der Morgen kam, es scheuchten seine Schritte
pbo_067.026

(fünffüßiger Jambus, hyperkalektisch).

pbo_067.027
§ 50. Jambische Verse.

pbo_067.028
Jambische Verstypen: Ordnen wir sie nach der pbo_067.029
Anzahl der Versfüße, so stößt uns zunächst der jambische

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0071" n="67"/>
              <lb n="pbo_067.001"/>
              <lg>
                <l>Der Mór | gen kám; &#x2016; es scheúch &#x2016; ten seí | ne Trít | te</l>
              </lg>
              <p><lb n="pbo_067.002"/>
Ja, die Verse selbst untereinander soll so der einheitliche <lb n="pbo_067.003"/>
Sinn über den metrischen Versschluß hinaus <hi rendition="#g">verknüpfen <lb n="pbo_067.004"/>
(Enjambement</hi>).</p>
              <lb n="pbo_067.005"/>
              <lg>
                <l>Der Morgen kam; es scheuchten seine Schritte </l>
                <lb n="pbo_067.006"/>
                <l>Den leisen Schlaf, ...</l>
              </lg>
              <p><lb n="pbo_067.007"/>
Doch nicht so, daß der Sinn in unablässiger Unruhe ohne <lb n="pbo_067.008"/>
Unterlaß über den Versschluß hinweghastet, sondern den ihm <lb n="pbo_067.009"/>
hierin gebotenen natürlichen Ruhepunkt auch immer wieder benutzt. <lb n="pbo_067.010"/>
Dies war die Weise der Alten. <hi rendition="#g">Verbot</hi> des Enjambement <lb n="pbo_067.011"/>
gemeinsam mit klaffender Versdiärese kennzeichnet <lb n="pbo_067.012"/>
den herrschenden Vers des französischen Classizismus, den <lb n="pbo_067.013"/>
Alexandriner (siehe denselben S. 69). Uebermaß der Enjambements <lb n="pbo_067.014"/>
findet sich zwischen den durch Caesuren des Ausrufs, <lb n="pbo_067.015"/>
der Ellipse, der Frage ganz im Sinne aufgegangenen Versen <lb n="pbo_067.016"/>
des Lessingschen Nathan.</p>
              <p><lb n="pbo_067.017"/>
Als <hi rendition="#g">katalektisch</hi> unterscheidet die antike Metrik solche <lb n="pbo_067.018"/>
Verse deren letzter Fuß unvollständig bleibt, von den vollständig <lb n="pbo_067.019"/>
ausklingenden (akatalektischen) und den um eine Silbe <lb n="pbo_067.020"/>
überzähligen (hyperkatalektischen):</p>
              <lb n="pbo_067.021"/>
              <lg>
                <l>Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo </l>
              </lg>
              <lb n="pbo_067.022"/>
              <p>(vierfüßiger Trochäus, akatalektisch),</p>
              <lb n="pbo_067.023"/>
              <lg>
                <l>Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid</l>
              </lg>
              <lb n="pbo_067.024"/>
              <p>(Desgl. katalektisch),</p>
              <lb n="pbo_067.025"/>
              <lg>
                <l>Der Morgen kam, es scheuchten seine Schritte</l>
              </lg>
              <lb n="pbo_067.026"/>
              <p>(fünffüßiger Jambus, hyperkalektisch). </p>
              <lb n="pbo_067.027"/>
            </div>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#c">§ 50. Jambische Verse.</hi> </head>
              <p><lb n="pbo_067.028"/><hi rendition="#g">Jambische Verstypen:</hi> Ordnen wir sie nach der <lb n="pbo_067.029"/>
Anzahl der Versfüße, so stößt uns zunächst der jambische
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0071] pbo_067.001 Der Mór | gen kám; ‖ es scheúch ‖ ten seí | ne Trít | te pbo_067.002 Ja, die Verse selbst untereinander soll so der einheitliche pbo_067.003 Sinn über den metrischen Versschluß hinaus verknüpfen pbo_067.004 (Enjambement). pbo_067.005 Der Morgen kam; es scheuchten seine Schritte pbo_067.006 Den leisen Schlaf, ... pbo_067.007 Doch nicht so, daß der Sinn in unablässiger Unruhe ohne pbo_067.008 Unterlaß über den Versschluß hinweghastet, sondern den ihm pbo_067.009 hierin gebotenen natürlichen Ruhepunkt auch immer wieder benutzt. pbo_067.010 Dies war die Weise der Alten. Verbot des Enjambement pbo_067.011 gemeinsam mit klaffender Versdiärese kennzeichnet pbo_067.012 den herrschenden Vers des französischen Classizismus, den pbo_067.013 Alexandriner (siehe denselben S. 69). Uebermaß der Enjambements pbo_067.014 findet sich zwischen den durch Caesuren des Ausrufs, pbo_067.015 der Ellipse, der Frage ganz im Sinne aufgegangenen Versen pbo_067.016 des Lessingschen Nathan. pbo_067.017 Als katalektisch unterscheidet die antike Metrik solche pbo_067.018 Verse deren letzter Fuß unvollständig bleibt, von den vollständig pbo_067.019 ausklingenden (akatalektischen) und den um eine Silbe pbo_067.020 überzähligen (hyperkatalektischen): pbo_067.021 Rückwärts, rückwärts, Don Rodrigo pbo_067.022 (vierfüßiger Trochäus, akatalektisch), pbo_067.023 Rückwärts, rückwärts, stolzer Cid pbo_067.024 (Desgl. katalektisch), pbo_067.025 Der Morgen kam, es scheuchten seine Schritte pbo_067.026 (fünffüßiger Jambus, hyperkalektisch). pbo_067.027 § 50. Jambische Verse. pbo_067.028 Jambische Verstypen: Ordnen wir sie nach der pbo_067.029 Anzahl der Versfüße, so stößt uns zunächst der jambische

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: manuell (doppelt erfasst).

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;

Hervorhebungen durch Wechsel von Fraktur zu Antiqua: nicht gekennzeichnet




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/71
Zitationshilfe: Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/71>, abgerufen am 25.11.2024.