Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_134.001 § 94. Jnhalt und Umfang des Lebensromans. Novelle. pbo_134.011 pbo_134.001 § 94. Jnhalt und Umfang des Lebensromans. Novelle. pbo_134.011 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0138" n="134"/><lb n="pbo_134.001"/> Guten und Tüchtigen. Diese höchste Form des <hi rendition="#g">Lebensromans</hi> <lb n="pbo_134.002"/> spricht also nur trocken und ernsthaft aus, was der <lb n="pbo_134.003"/> komische Roman in das Gewand des Humors und der Jronie <lb n="pbo_134.004"/> kleidet, ohne doch vollständig auf dessen Farben in seiner <lb n="pbo_134.005"/> Schilderung gänzlich verzichten zu können. Denn der Jrrende <lb n="pbo_134.006"/> und Suchende, zumal nach einem sonst niemandem ringsum <lb n="pbo_134.007"/> angelegenen Ziele, wirkt immer lächerlich, mag er auch am <lb n="pbo_134.008"/> Schlusse wie jener Hirtensohn „statt seines Vaters Eselinnen <lb n="pbo_134.009"/> ein Königreich finden.“</p> <lb n="pbo_134.010"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 94. Jnhalt und Umfang des Lebensromans. Novelle.</hi> </head> <p><lb n="pbo_134.011"/> Man sieht also, daß der Lebensroman von diesem Standpunkte <lb n="pbo_134.012"/> aus, der in der Prosa die Poesie zur Geltung bringt, <lb n="pbo_134.013"/> sich aller ihrer Vorwürfe in seiner Weise bemächtigen kann <lb n="pbo_134.014"/> und dies in unseren Zeiten der Prosa denn auch im ausgiebigsten <lb n="pbo_134.015"/> Maße thut. Beschränkt er sich hierbei in seiner <lb n="pbo_134.016"/> Breite und Beziehungsmöglichkeit, die sich früher gern in endlosen <lb n="pbo_134.017"/> Bänden erging (Gutzkows „Roman des <hi rendition="#g">Nebeneinander</hi>“ <lb n="pbo_134.018"/> (!): „Der Zauberer von Rom“, „Die Ritter <lb n="pbo_134.019"/> vom Geist“), so wird er zur <hi rendition="#g">Novelle.</hi> Die Novelle stellt <lb n="pbo_134.020"/> sich eine einzelne Begebenheit, ein isoliertes Lebensverhältnis <lb n="pbo_134.021"/> und dessen Durchführung zu einer in ihm spezifisch vorgebildeten <lb n="pbo_134.022"/> Katastrophe (Paul Heyses Exemplifizierung auf den <lb n="pbo_134.023"/> „Falken“ in der Novelle des Boccaccio) zum Vorwurf. Hierbei <lb n="pbo_134.024"/> kann sie in der leicht verfließenden Form die Charaktere <lb n="pbo_134.025"/> gewisser und reiner, die Situationen strenger und in sich geschlossener <lb n="pbo_134.026"/> halten, als der uferlose Roman. Die Meisterwerke <lb n="pbo_134.027"/> der Romankunst sind in diesem Betracht Novellen (Cervantes <lb n="pbo_134.028"/> novelas exemplares, Goethes Werther und Wahlverwandtschaften, <lb n="pbo_134.029"/> die reine Novellistik Gottfr. Kellers, Paul <lb n="pbo_134.030"/> Heyses u. a.).</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [134/0138]
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Guten und Tüchtigen. Diese höchste Form des Lebensromans pbo_134.002
spricht also nur trocken und ernsthaft aus, was der pbo_134.003
komische Roman in das Gewand des Humors und der Jronie pbo_134.004
kleidet, ohne doch vollständig auf dessen Farben in seiner pbo_134.005
Schilderung gänzlich verzichten zu können. Denn der Jrrende pbo_134.006
und Suchende, zumal nach einem sonst niemandem ringsum pbo_134.007
angelegenen Ziele, wirkt immer lächerlich, mag er auch am pbo_134.008
Schlusse wie jener Hirtensohn „statt seines Vaters Eselinnen pbo_134.009
ein Königreich finden.“
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§ 94. Jnhalt und Umfang des Lebensromans. Novelle. pbo_134.011
Man sieht also, daß der Lebensroman von diesem Standpunkte pbo_134.012
aus, der in der Prosa die Poesie zur Geltung bringt, pbo_134.013
sich aller ihrer Vorwürfe in seiner Weise bemächtigen kann pbo_134.014
und dies in unseren Zeiten der Prosa denn auch im ausgiebigsten pbo_134.015
Maße thut. Beschränkt er sich hierbei in seiner pbo_134.016
Breite und Beziehungsmöglichkeit, die sich früher gern in endlosen pbo_134.017
Bänden erging (Gutzkows „Roman des Nebeneinander“ pbo_134.018
(!): „Der Zauberer von Rom“, „Die Ritter pbo_134.019
vom Geist“), so wird er zur Novelle. Die Novelle stellt pbo_134.020
sich eine einzelne Begebenheit, ein isoliertes Lebensverhältnis pbo_134.021
und dessen Durchführung zu einer in ihm spezifisch vorgebildeten pbo_134.022
Katastrophe (Paul Heyses Exemplifizierung auf den pbo_134.023
„Falken“ in der Novelle des Boccaccio) zum Vorwurf. Hierbei pbo_134.024
kann sie in der leicht verfließenden Form die Charaktere pbo_134.025
gewisser und reiner, die Situationen strenger und in sich geschlossener pbo_134.026
halten, als der uferlose Roman. Die Meisterwerke pbo_134.027
der Romankunst sind in diesem Betracht Novellen (Cervantes pbo_134.028
novelas exemplares, Goethes Werther und Wahlverwandtschaften, pbo_134.029
die reine Novellistik Gottfr. Kellers, Paul pbo_134.030
Heyses u. a.).
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