Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_122.001 Kapitel 3. Das Epos. pbo_122.002§ 82. Verhältnis des epischen zum dramatischen Dichter. pbo_122.003 § 83. Stellung des epischen Dichters zu seinem Stoff. pbo_122.023 pbo_122.001 Kapitel 3. Das Epos. pbo_122.002§ 82. Verhältnis des epischen zum dramatischen Dichter. pbo_122.003 § 83. Stellung des epischen Dichters zu seinem Stoff. pbo_122.023 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0126" n="122"/> <lb n="pbo_122.001"/> </div> </div> <div n="3"> <head> <hi rendition="#c">Kapitel 3. Das Epos.</hi> </head> <lb n="pbo_122.002"/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 82. Verhältnis des epischen zum dramatischen Dichter.</hi> </head> <p><lb n="pbo_122.003"/> Jm Epos kehrt der Dichter, der im Drama ganz hinter <lb n="pbo_122.004"/> sein Werk zurückgetreten war, wieder gleichsam auf den poetischen <lb n="pbo_122.005"/> Schauplatz zurück. Er selber trägt wieder seine Schöpfung <lb n="pbo_122.006"/> vor, bleibt bei seiner eigenen Stimme, wie der Lyriker. Aber <lb n="pbo_122.007"/> es ist nun nicht mehr seine eigene Angelegenheit, die er <lb n="pbo_122.008"/> vorträgt. Es ist — wie im Drama — eine Handlung <lb n="pbo_122.009"/> fremder Persönlichkeiten, die er aber nun als vollständige Begebenheit <lb n="pbo_122.010"/> zu unserer Kenntnis bringt. Und seltsam! Während <lb n="pbo_122.011"/> der Dramatiker in der gegenwärtigen Ausgestaltung seines <lb n="pbo_122.012"/> Vorwurfs bei aller Selbstentäußerung im Ganzen sich im <lb n="pbo_122.013"/> Einzelnen doch in jede seiner Persönlichkeiten verwandeln, sein <lb n="pbo_122.014"/> Subjekt in sie versetzen muß, steht nun der Epiker, obwohl <lb n="pbo_122.015"/> ihr einziger Vermittler, ihnen allen abgetrennt, streng objektiv <lb n="pbo_122.016"/> gegenüber. Er berichtet, was er von ihnen gehört und gesehen <lb n="pbo_122.017"/> hat. Er macht vorstellig, wie er sie gehört und gesehen <lb n="pbo_122.018"/> hat. Sie selbst aber sind nicht <hi rendition="#g">er.</hi> Er leiht ihnen nicht <lb n="pbo_122.019"/> seinen Atem wie im Drama, vergegenwärtigt sie, wie sie <lb n="pbo_122.020"/> <hi rendition="#g">gewesen sein können,</hi> sondern führt sie uns vor, ihre <lb n="pbo_122.021"/> eigenen Worte und Thaten, wie sie <hi rendition="#g">gewesen sind.</hi></p> <lb n="pbo_122.022"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 83. Stellung des epischen Dichters zu seinem Stoff.</hi> </head> <p><lb n="pbo_122.023"/> Das Drama ist also nach seiner äußeren Erscheinung (als <lb n="pbo_122.024"/> Thatsächlichkeit auf „den Brettern, die die Welt bedeuten“) <lb n="pbo_122.025"/> zwar realistischer, seiner eigentlichen poetischen Bedeutung nach <lb n="pbo_122.026"/> aber idealistischer, als das vorgeblich streng ans Vorhandene <lb n="pbo_122.027"/> sich anschließende Epos. Nun ist dies Vorhandensein, die <lb n="pbo_122.028"/> Wirklichkeit der epischen Fakta freilich zunächst nur ein poetisches <lb n="pbo_122.029"/> Vorgeben. Zwar der ritterliche Erzähler des Mittelalters </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [122/0126]
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Kapitel 3. Das Epos. pbo_122.002
§ 82. Verhältnis des epischen zum dramatischen Dichter. pbo_122.003
Jm Epos kehrt der Dichter, der im Drama ganz hinter pbo_122.004
sein Werk zurückgetreten war, wieder gleichsam auf den poetischen pbo_122.005
Schauplatz zurück. Er selber trägt wieder seine Schöpfung pbo_122.006
vor, bleibt bei seiner eigenen Stimme, wie der Lyriker. Aber pbo_122.007
es ist nun nicht mehr seine eigene Angelegenheit, die er pbo_122.008
vorträgt. Es ist — wie im Drama — eine Handlung pbo_122.009
fremder Persönlichkeiten, die er aber nun als vollständige Begebenheit pbo_122.010
zu unserer Kenntnis bringt. Und seltsam! Während pbo_122.011
der Dramatiker in der gegenwärtigen Ausgestaltung seines pbo_122.012
Vorwurfs bei aller Selbstentäußerung im Ganzen sich im pbo_122.013
Einzelnen doch in jede seiner Persönlichkeiten verwandeln, sein pbo_122.014
Subjekt in sie versetzen muß, steht nun der Epiker, obwohl pbo_122.015
ihr einziger Vermittler, ihnen allen abgetrennt, streng objektiv pbo_122.016
gegenüber. Er berichtet, was er von ihnen gehört und gesehen pbo_122.017
hat. Er macht vorstellig, wie er sie gehört und gesehen pbo_122.018
hat. Sie selbst aber sind nicht er. Er leiht ihnen nicht pbo_122.019
seinen Atem wie im Drama, vergegenwärtigt sie, wie sie pbo_122.020
gewesen sein können, sondern führt sie uns vor, ihre pbo_122.021
eigenen Worte und Thaten, wie sie gewesen sind.
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§ 83. Stellung des epischen Dichters zu seinem Stoff. pbo_122.023
Das Drama ist also nach seiner äußeren Erscheinung (als pbo_122.024
Thatsächlichkeit auf „den Brettern, die die Welt bedeuten“) pbo_122.025
zwar realistischer, seiner eigentlichen poetischen Bedeutung nach pbo_122.026
aber idealistischer, als das vorgeblich streng ans Vorhandene pbo_122.027
sich anschließende Epos. Nun ist dies Vorhandensein, die pbo_122.028
Wirklichkeit der epischen Fakta freilich zunächst nur ein poetisches pbo_122.029
Vorgeben. Zwar der ritterliche Erzähler des Mittelalters
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