Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_113.001 § 74. Tragödie. pbo_113.002 § 75. Katharsis. pbo_113.026 pbo_113.001 § 74. Tragödie. pbo_113.002 § 75. Katharsis. pbo_113.026 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0117" n="113"/> <lb n="pbo_113.001"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 74. Tragödie.</hi> </head> <p><lb n="pbo_113.002"/> Dieses griechische Wort (Katastrophe) hat nun, und zwar <lb n="pbo_113.003"/> vom Drama her, ganz die Bedeutung eines unglücklichen, erschütternden <lb n="pbo_113.004"/> Ausgangs angenommen. Ja, man bezeichnet einen solchen <lb n="pbo_113.005"/> Ausgang geradezu als <hi rendition="#g">tragisch,</hi> d. h. als den Ausgang einer <lb n="pbo_113.006"/> <hi rendition="#g">Tragödie.</hi> Das griechische Wort Tragödie würde demnach <lb n="pbo_113.007"/> einfach ein Drama mit unglücklichem Ausgang bedeuten. <lb n="pbo_113.008"/> Dies bedeutete es jedoch den Griechen selber nicht. Die <lb n="pbo_113.009"/> Griechen nannten ein Drama mit glücklichem Ausgange ebenso <lb n="pbo_113.010"/> gut Tragödie, ganz einfach darum, weil bei ihnen das Wort <lb n="pbo_113.011"/> noch die außerpoetische Bedeutung einer religiösen Kultushandlung <lb n="pbo_113.012"/> (des Bacchusopfers, eines Bockes <foreign xml:lang="grc">τράγος</foreign>) besaß, <lb n="pbo_113.013"/> während es für uns sich völlig mit der dramatischen Aufführung <lb n="pbo_113.014"/> deckt. Aus der Bedeutung aber, die das Wort angenommen <lb n="pbo_113.015"/> hat, kann man unschwer entnehmen, daß der tragische <lb n="pbo_113.016"/> Ausgang seiner Jdee nach ein unglücklicher sein muß. Etwas <lb n="pbo_113.017"/> von diesem Bewußtsein scheint trotz seiner sonstigen, die allgemeine <lb n="pbo_113.018"/> griechische Anschauung wiedergebenden Theorie die <lb n="pbo_113.019"/> berühmte <hi rendition="#g">Definition des Aristoteles von der Tragödie</hi> <lb n="pbo_113.020"/> (6. Kap. seiner Poetik) zu erfüllen. Dieselbe läuft <lb n="pbo_113.021"/> bekanntlich auf die merkwürdige Bestimmung der Aufgabe der <lb n="pbo_113.022"/> Tragödie hinaus, daß sie <hi rendition="#g">durch Mitleid und Furcht <lb n="pbo_113.023"/> eine Reinigung von solchen Leidenschaften</hi> (<foreign xml:lang="grc">τὴν</foreign> <lb n="pbo_113.024"/> <foreign xml:lang="grc">τοιούτων παθημάτων κάθαρσιν</foreign>) bewirke.</p> <lb n="pbo_113.025"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 75. Katharsis.</hi> </head> <p><lb n="pbo_113.026"/> Diese Aristotelischen Worte von der <hi rendition="#g">Katharsis</hi> haben <lb n="pbo_113.027"/> die reichste und mannigfaltigste Auslegung erfahren. Ganze <lb n="pbo_113.028"/> Zeitalter und fast alle bedeutenden Geister haben sich mit dem <lb n="pbo_113.029"/> ihnen zugrunde liegenden Problem auseinandergesetzt. Aus <lb n="pbo_113.030"/> allen ihren mitunter stark abweichenden Erklärungen geht zum </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [113/0117]
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§ 74. Tragödie. pbo_113.002
Dieses griechische Wort (Katastrophe) hat nun, und zwar pbo_113.003
vom Drama her, ganz die Bedeutung eines unglücklichen, erschütternden pbo_113.004
Ausgangs angenommen. Ja, man bezeichnet einen solchen pbo_113.005
Ausgang geradezu als tragisch, d. h. als den Ausgang einer pbo_113.006
Tragödie. Das griechische Wort Tragödie würde demnach pbo_113.007
einfach ein Drama mit unglücklichem Ausgang bedeuten. pbo_113.008
Dies bedeutete es jedoch den Griechen selber nicht. Die pbo_113.009
Griechen nannten ein Drama mit glücklichem Ausgange ebenso pbo_113.010
gut Tragödie, ganz einfach darum, weil bei ihnen das Wort pbo_113.011
noch die außerpoetische Bedeutung einer religiösen Kultushandlung pbo_113.012
(des Bacchusopfers, eines Bockes τράγος) besaß, pbo_113.013
während es für uns sich völlig mit der dramatischen Aufführung pbo_113.014
deckt. Aus der Bedeutung aber, die das Wort angenommen pbo_113.015
hat, kann man unschwer entnehmen, daß der tragische pbo_113.016
Ausgang seiner Jdee nach ein unglücklicher sein muß. Etwas pbo_113.017
von diesem Bewußtsein scheint trotz seiner sonstigen, die allgemeine pbo_113.018
griechische Anschauung wiedergebenden Theorie die pbo_113.019
berühmte Definition des Aristoteles von der Tragödie pbo_113.020
(6. Kap. seiner Poetik) zu erfüllen. Dieselbe läuft pbo_113.021
bekanntlich auf die merkwürdige Bestimmung der Aufgabe der pbo_113.022
Tragödie hinaus, daß sie durch Mitleid und Furcht pbo_113.023
eine Reinigung von solchen Leidenschaften (τὴν pbo_113.024
τοιούτων παθημάτων κάθαρσιν) bewirke.
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§ 75. Katharsis. pbo_113.026
Diese Aristotelischen Worte von der Katharsis haben pbo_113.027
die reichste und mannigfaltigste Auslegung erfahren. Ganze pbo_113.028
Zeitalter und fast alle bedeutenden Geister haben sich mit dem pbo_113.029
ihnen zugrunde liegenden Problem auseinandergesetzt. Aus pbo_113.030
allen ihren mitunter stark abweichenden Erklärungen geht zum
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