Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_104.001 § 67. Chorlied. pbo_104.011 pbo_104.001 § 67. Chorlied. pbo_104.011 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0108" n="104"/><lb n="pbo_104.001"/> (Schillers „Spaziergang“, Goethes „Euphrosyne“). Jm <lb n="pbo_104.002"/> <hi rendition="#g">Panegyrikus</hi> (<foreign xml:lang="grc">πανηγυρικός</foreign> sc. <foreign xml:lang="grc">λόγος</foreign>, Lied der allgemeinen <lb n="pbo_104.003"/> Festversammlung) wird das lobende Wort zur weitausgeführten <lb n="pbo_104.004"/> Lobrede an Große jeder Art, zu allen Zeiten meist an Machthaber, <lb n="pbo_104.005"/> an letztere mehr zu Lebzeiten, als nach dem Tode <lb n="pbo_104.006"/> (poetischer Nekrolog). Erhabenes Muster eines klassischen <lb n="pbo_104.007"/> Panegyrikus (in dialogisch-dramatischer Form) ist Schillers <lb n="pbo_104.008"/> „Huldigung der Künste“ (an die Erbprinzessin von Weimar <lb n="pbo_104.009"/> Maria Paulowna, Großfürstin von Rußland).</p> <lb n="pbo_104.010"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 67. Chorlied.</hi> </head> <p><lb n="pbo_104.011"/> Der gerade Gegensatz zum Epigramm, als der litterarischen <lb n="pbo_104.012"/> Festlegung des <hi rendition="#g">Einzel</hi>spruches, der <hi rendition="#g">Gnome,</hi> ist <lb n="pbo_104.013"/> das <hi rendition="#g">Chorlied,</hi> die einheitliche Zusammenfassung einer lyrischen <lb n="pbo_104.014"/> Mehrheit. Jn unserer vielstimmigen polyphonen <hi rendition="#g">Musik</hi> <lb n="pbo_104.015"/> (nicht so in der antiken <hi rendition="#g">homo</hi>phonen, einstimmigen) tritt <lb n="pbo_104.016"/> diese Mehrheit in der harmonischen Vielfältigkeit der <hi rendition="#g">Stimmen</hi> <lb n="pbo_104.017"/> sinnfällig hervor. Jn der <hi rendition="#g">Poesie</hi> aber zeigt sich die Mehrheit <lb n="pbo_104.018"/> streng zur Einheit zusammengefaßt. Jm <hi rendition="#g">Text</hi> weichen die <lb n="pbo_104.019"/> Stimmen nicht, höchstens im Zeitpunkt der Einsätze, von einander <lb n="pbo_104.020"/> ab. Jm Chor findet sich also eine einheitlich (harmonisch) <lb n="pbo_104.021"/> gestimmte Gesamtheit ebenso streng zusammen, wie <lb n="pbo_104.022"/> sich im Epigramm eine abweichend gestimmte Jndividualität <lb n="pbo_104.023"/> scharf von der Masse heraushebt und sich ihr gegenüberstellt. <lb n="pbo_104.024"/> Jm Chor schießt jene Punktualität der lyrischen Poesie gleichsam <lb n="pbo_104.025"/> in Radien nach allen Seiten aus, teilt sich mit. Der <lb n="pbo_104.026"/> Chor bildet den Umkreis für die lyrische Situation. Daher <lb n="pbo_104.027"/> ist ihm der Kehrreim (Refrain) so gemäß, in welchem der Chor <lb n="pbo_104.028"/> die Abschlüsse der Solostrophen oder ihren Grundgedanken <lb n="pbo_104.029"/> aufgreift, sich so das Einzelgedicht durch Anteil zu eigen <lb n="pbo_104.030"/> macht. Vergl. Goethe, Kophtisches Lied:</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [104/0108]
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(Schillers „Spaziergang“, Goethes „Euphrosyne“). Jm pbo_104.002
Panegyrikus (πανηγυρικός sc. λόγος, Lied der allgemeinen pbo_104.003
Festversammlung) wird das lobende Wort zur weitausgeführten pbo_104.004
Lobrede an Große jeder Art, zu allen Zeiten meist an Machthaber, pbo_104.005
an letztere mehr zu Lebzeiten, als nach dem Tode pbo_104.006
(poetischer Nekrolog). Erhabenes Muster eines klassischen pbo_104.007
Panegyrikus (in dialogisch-dramatischer Form) ist Schillers pbo_104.008
„Huldigung der Künste“ (an die Erbprinzessin von Weimar pbo_104.009
Maria Paulowna, Großfürstin von Rußland).
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§ 67. Chorlied. pbo_104.011
Der gerade Gegensatz zum Epigramm, als der litterarischen pbo_104.012
Festlegung des Einzelspruches, der Gnome, ist pbo_104.013
das Chorlied, die einheitliche Zusammenfassung einer lyrischen pbo_104.014
Mehrheit. Jn unserer vielstimmigen polyphonen Musik pbo_104.015
(nicht so in der antiken homophonen, einstimmigen) tritt pbo_104.016
diese Mehrheit in der harmonischen Vielfältigkeit der Stimmen pbo_104.017
sinnfällig hervor. Jn der Poesie aber zeigt sich die Mehrheit pbo_104.018
streng zur Einheit zusammengefaßt. Jm Text weichen die pbo_104.019
Stimmen nicht, höchstens im Zeitpunkt der Einsätze, von einander pbo_104.020
ab. Jm Chor findet sich also eine einheitlich (harmonisch) pbo_104.021
gestimmte Gesamtheit ebenso streng zusammen, wie pbo_104.022
sich im Epigramm eine abweichend gestimmte Jndividualität pbo_104.023
scharf von der Masse heraushebt und sich ihr gegenüberstellt. pbo_104.024
Jm Chor schießt jene Punktualität der lyrischen Poesie gleichsam pbo_104.025
in Radien nach allen Seiten aus, teilt sich mit. Der pbo_104.026
Chor bildet den Umkreis für die lyrische Situation. Daher pbo_104.027
ist ihm der Kehrreim (Refrain) so gemäß, in welchem der Chor pbo_104.028
die Abschlüsse der Solostrophen oder ihren Grundgedanken pbo_104.029
aufgreift, sich so das Einzelgedicht durch Anteil zu eigen pbo_104.030
macht. Vergl. Goethe, Kophtisches Lied:
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