Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_100.001 § 63. Einteilung der Lyrik. pbo_100.002 § 64. Allgemeinheit der lyrischen Dichtung. pbo_100.028 pbo_100.001 § 63. Einteilung der Lyrik. pbo_100.002 § 64. Allgemeinheit der lyrischen Dichtung. pbo_100.028 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0104" n="100"/> <lb n="pbo_100.001"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 63. Einteilung der Lyrik.</hi> </head> <p><lb n="pbo_100.002"/> Wir haben hiermit schon die Art der Einteilung für die <lb n="pbo_100.003"/> Lyrik angedeutet: Dem <hi rendition="#g">Grade</hi> nach — <hi rendition="#g">quantitativ</hi> — <lb n="pbo_100.004"/> vom kleinsten <hi rendition="#g">Lied,</hi> dem Ausdruck jeweiliger Stimmung, bis <lb n="pbo_100.005"/> zur vielumfassende <hi rendition="#g">Ode,</hi> die in fessellosem Schwunge <lb n="pbo_100.006"/> frei dahinströmt; dem gegensätzlichen Zustande (der Stimmung) <lb n="pbo_100.007"/> nach — <hi rendition="#g">qualitativ</hi> gleichsam im <hi rendition="#g">Dur</hi> und <hi rendition="#g">Moll</hi> <lb n="pbo_100.008"/> — Satire und Elegie; der <hi rendition="#g">Beziehung</hi> nach (relativ), in <lb n="pbo_100.009"/> die das Gemüt sein Erkennen und Wollen stellt, nach <hi rendition="#g">außen</hi> <lb n="pbo_100.010"/> oder nach <hi rendition="#g">innen (expansiv</hi> oder <hi rendition="#g">contraktiv) weltlich</hi> <lb n="pbo_100.011"/> und <hi rendition="#g">geistlich.</hi> Man wird nach dieser Einteilung die <lb n="pbo_100.012"/> alten Scheidungen der Poetik auf dem lyrischen Gebiete verstehen, <lb n="pbo_100.013"/> ohne sie sich dabei starr und uneingeschränkt zu eigen <lb n="pbo_100.014"/> zu machen. Hoher Dichtergeist vermag in das kleinste, anspruchlos <lb n="pbo_100.015"/> gestaltete Lied die Stärke des Ausdrucks, die Fülle <lb n="pbo_100.016"/> und Breite der Anschauung zu legen, welche die schulmäßige <lb n="pbo_100.017"/> Klassifizirung der Ode vorbehält. Jn erregten Gemütern <lb n="pbo_100.018"/> schwankt Hoch- und Niedergang der Stimmung, Lust und <lb n="pbo_100.019"/> Schmerz, Forderung und Nachlaß, Weltangriff und Weltflucht <lb n="pbo_100.020"/> viel zu sehr, um sich stets in sauber abgetrennten Kapiteln <lb n="pbo_100.021"/> gesondert auszutoben. Vollends die Scheidung zwischen geistlichem <lb n="pbo_100.022"/> und weltlichem Gebiete läßt reine Poesie, sobald sie <lb n="pbo_100.023"/> einmal die Fesseln der Culte von sich abgestreift hat, am <lb n="pbo_100.024"/> ehesten verschwinden. Gott in der Welt, die Welt in Gott <lb n="pbo_100.025"/> suchen und finden zu lehren, ist ja gerade das schöne Vorrecht <lb n="pbo_100.026"/> des Dichters vor dem Priester.</p> <lb n="pbo_100.027"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 64. Allgemeinheit der lyrischen Dichtung.</hi> </head> <p><lb n="pbo_100.028"/> Daß der oben abgehandelte Unterschied zwischen Natur- <lb n="pbo_100.029"/> und Kunstpoesie in der Lyrik am greifbarsten hervortreten <lb n="pbo_100.030"/> muß, erhellt schon aus der Kürze und Einfachheit der poetischen </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [100/0104]
pbo_100.001
§ 63. Einteilung der Lyrik. pbo_100.002
Wir haben hiermit schon die Art der Einteilung für die pbo_100.003
Lyrik angedeutet: Dem Grade nach — quantitativ — pbo_100.004
vom kleinsten Lied, dem Ausdruck jeweiliger Stimmung, bis pbo_100.005
zur vielumfassende Ode, die in fessellosem Schwunge pbo_100.006
frei dahinströmt; dem gegensätzlichen Zustande (der Stimmung) pbo_100.007
nach — qualitativ gleichsam im Dur und Moll pbo_100.008
— Satire und Elegie; der Beziehung nach (relativ), in pbo_100.009
die das Gemüt sein Erkennen und Wollen stellt, nach außen pbo_100.010
oder nach innen (expansiv oder contraktiv) weltlich pbo_100.011
und geistlich. Man wird nach dieser Einteilung die pbo_100.012
alten Scheidungen der Poetik auf dem lyrischen Gebiete verstehen, pbo_100.013
ohne sie sich dabei starr und uneingeschränkt zu eigen pbo_100.014
zu machen. Hoher Dichtergeist vermag in das kleinste, anspruchlos pbo_100.015
gestaltete Lied die Stärke des Ausdrucks, die Fülle pbo_100.016
und Breite der Anschauung zu legen, welche die schulmäßige pbo_100.017
Klassifizirung der Ode vorbehält. Jn erregten Gemütern pbo_100.018
schwankt Hoch- und Niedergang der Stimmung, Lust und pbo_100.019
Schmerz, Forderung und Nachlaß, Weltangriff und Weltflucht pbo_100.020
viel zu sehr, um sich stets in sauber abgetrennten Kapiteln pbo_100.021
gesondert auszutoben. Vollends die Scheidung zwischen geistlichem pbo_100.022
und weltlichem Gebiete läßt reine Poesie, sobald sie pbo_100.023
einmal die Fesseln der Culte von sich abgestreift hat, am pbo_100.024
ehesten verschwinden. Gott in der Welt, die Welt in Gott pbo_100.025
suchen und finden zu lehren, ist ja gerade das schöne Vorrecht pbo_100.026
des Dichters vor dem Priester.
pbo_100.027
§ 64. Allgemeinheit der lyrischen Dichtung. pbo_100.028
Daß der oben abgehandelte Unterschied zwischen Natur- pbo_100.029
und Kunstpoesie in der Lyrik am greifbarsten hervortreten pbo_100.030
muß, erhellt schon aus der Kürze und Einfachheit der poetischen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: manuell (doppelt erfasst). Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja; Hervorhebungen durch Wechsel von Fraktur zu Antiqua: nicht gekennzeichnet
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |