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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Fünftes Buch, fünftes Capitel.
wäre; und der kühnste Wunsch, den er zu wagen fähig
war, war nur, in derjenigen sympathetischen Verbin-
dung der Seelen mit ihr zu stehen, wovon ihm Psyche
die Erfahrung gegeben hatte. Wie angenehm (dacht
er) wie entzük ungsvoll, wie sehr über alles, was die
Sprache der Sterblichen ausdrüken kan, müste eine
solche Sympathie mit einer Danae seyn, da sie mit
Psyche schon so angenehm gewesen war! Zum Unglük
für unsern Platoniker war dieses ein Plan, wozu Da-
nae, welche dieses mal keine Sylphide spielen wollte,
sich nicht so gut anließ, als er es gewünscht hatte. Sie
fuhr immer fort sich in den Grenzen der Freundschaft zu
halten, und, die Wahrheit zu sagen, sie war entweder
nicht geistig genug, sich von dieser intellectualischen Liebe,
von der er ihr so viel schönes vorsagte, einen rechten
Begriff zu machen; oder sie fand es lächerlich, in ih-
rem Alter und mit ihrer Figur eine Rolle zu spielen, die,
nach ihrer Denkungsart, sich nur für eine Person fchikte,
die im Bade keine Besuche mehr annimmt; wenn sie gleich
allzu bescheiden war, ihm dieses mit Worten zu sagen,
so fand sie doch Mittel genug, ihm ihre Gedanken über
diesen Punct auf eine vielleicht eben so nachdrükliche Art zu
erkennen zu geben. Gewisse kleine Nachläßigkeiten in
ihrem Puz, ein verrätherischer Zephir, oder ihr Sper-
ling, der indem sie neben Agathon auf einer Ruhe-
bank saß, mit muthwilligem Schnabel an dem Gewand
zerrte, das zu ihren Füssen herabfloß, schienen seiner
ätherischen Liebe zu spotten, und ihm Aufmunterungen
zu geben, die ein minder bezauberter Liebhaber nicht

nöthig
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Fuͤnftes Buch, fuͤnftes Capitel.
waͤre; und der kuͤhnſte Wunſch, den er zu wagen faͤhig
war, war nur, in derjenigen ſympathetiſchen Verbin-
dung der Seelen mit ihr zu ſtehen, wovon ihm Pſyche
die Erfahrung gegeben hatte. Wie angenehm (dacht
er) wie entzuͤk ungsvoll, wie ſehr uͤber alles, was die
Sprache der Sterblichen ausdruͤken kan, muͤſte eine
ſolche Sympathie mit einer Danae ſeyn, da ſie mit
Pſyche ſchon ſo angenehm geweſen war! Zum Ungluͤk
fuͤr unſern Platoniker war dieſes ein Plan, wozu Da-
nae, welche dieſes mal keine Sylphide ſpielen wollte,
ſich nicht ſo gut anließ, als er es gewuͤnſcht hatte. Sie
fuhr immer fort ſich in den Grenzen der Freundſchaft zu
halten, und, die Wahrheit zu ſagen, ſie war entweder
nicht geiſtig genug, ſich von dieſer intellectualiſchen Liebe,
von der er ihr ſo viel ſchoͤnes vorſagte, einen rechten
Begriff zu machen; oder ſie fand es laͤcherlich, in ih-
rem Alter und mit ihrer Figur eine Rolle zu ſpielen, die,
nach ihrer Denkungsart, ſich nur fuͤr eine Perſon fchikte,
die im Bade keine Beſuche mehr annimmt; wenn ſie gleich
allzu beſcheiden war, ihm dieſes mit Worten zu ſagen,
ſo fand ſie doch Mittel genug, ihm ihre Gedanken uͤber
dieſen Punct auf eine vielleicht eben ſo nachdruͤkliche Art zu
erkennen zu geben. Gewiſſe kleine Nachlaͤßigkeiten in
ihrem Puz, ein verraͤtheriſcher Zephir, oder ihr Sper-
ling, der indem ſie neben Agathon auf einer Ruhe-
bank ſaß, mit muthwilligem Schnabel an dem Gewand
zerrte, das zu ihren Fuͤſſen herabfloß, ſchienen ſeiner
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noͤthig
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[185/0207] Fuͤnftes Buch, fuͤnftes Capitel. waͤre; und der kuͤhnſte Wunſch, den er zu wagen faͤhig war, war nur, in derjenigen ſympathetiſchen Verbin- dung der Seelen mit ihr zu ſtehen, wovon ihm Pſyche die Erfahrung gegeben hatte. Wie angenehm (dacht er) wie entzuͤk ungsvoll, wie ſehr uͤber alles, was die Sprache der Sterblichen ausdruͤken kan, muͤſte eine ſolche Sympathie mit einer Danae ſeyn, da ſie mit Pſyche ſchon ſo angenehm geweſen war! Zum Ungluͤk fuͤr unſern Platoniker war dieſes ein Plan, wozu Da- nae, welche dieſes mal keine Sylphide ſpielen wollte, ſich nicht ſo gut anließ, als er es gewuͤnſcht hatte. Sie fuhr immer fort ſich in den Grenzen der Freundſchaft zu halten, und, die Wahrheit zu ſagen, ſie war entweder nicht geiſtig genug, ſich von dieſer intellectualiſchen Liebe, von der er ihr ſo viel ſchoͤnes vorſagte, einen rechten Begriff zu machen; oder ſie fand es laͤcherlich, in ih- rem Alter und mit ihrer Figur eine Rolle zu ſpielen, die, nach ihrer Denkungsart, ſich nur fuͤr eine Perſon fchikte, die im Bade keine Beſuche mehr annimmt; wenn ſie gleich allzu beſcheiden war, ihm dieſes mit Worten zu ſagen, ſo fand ſie doch Mittel genug, ihm ihre Gedanken uͤber dieſen Punct auf eine vielleicht eben ſo nachdruͤkliche Art zu erkennen zu geben. Gewiſſe kleine Nachlaͤßigkeiten in ihrem Puz, ein verraͤtheriſcher Zephir, oder ihr Sper- ling, der indem ſie neben Agathon auf einer Ruhe- bank ſaß, mit muthwilligem Schnabel an dem Gewand zerrte, das zu ihren Fuͤſſen herabfloß, ſchienen ſeiner aͤtheriſchen Liebe zu ſpotten, und ihm Aufmunterungen zu geben, die ein minder bezauberter Liebhaber nicht noͤthig M 5

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/207>, abgerufen am 25.04.2024.