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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Drittes Buch, sechstes Capitel.
sten Verdienste seyen, die einen Archonten, einen Heer-
führer, einen Satrapen, oder den Günstling eines Für-
sten machen? Siehe dich in den Republiken um; du
wirst finden, daß dieser sein Ansehen der lächelnden
Mine zu danken hat, womit er die Bürger grüßt; ein
andrer der emphatischen Peripherie seines Wanstes; ein
dritter der Schönheit seiner Gemalin, und ein vier-
ter seiner brüllenden Stimme. Gehe an die Höfe, du
wirst Leute finden, welche das Glük, worinn sie schim-
mern, der Empfelung eines Kammerdieners, der Gunst
einer Dame, die sich für ihre Talente verbürgt hat,
oder der Gabe des Schlafs schuldig sind, womit sie be-
fallen werden, wenn der Vezier mit ihren Weibern
scherzt. Nichts ist in diesem Lande der Bezauberungen
gewöhnlicher, als einen unbärtigen Knaben in einen Ge-
neral, einen Pantomimen in einen Staatsminister, ei-
nen Kupler in einen Oberpriester verwandelt zu se-
hen; ein Mensch ohne alle Verdienste kann oft durch
ein einziges Talent, und wenn es auch nur das Talent
eines Esels wäre, zu einem Glüke gelangen, das ein
andrer durch die grösten Verdienste vergeblich zu erhal-
ten gesucht hat. Wer könnte demnach zweifeln, daß
die Kunst der Sophisten nicht fähig seyn sollte, ihrem
Besizer auf diese oder jene Art die Gunst des Glükes zu
verschaffen? Vorausgesezt, daß er die natürlichen Ga-
ben besize, ohne welche der Mann von Verstand in
der Welt allezeit dem Narren Plaz machen muß, der
damit versehen ist. Allein selbst auf dem Wege der
Verdienste ist niemand gewisser sein Glük zu machen,

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Drittes Buch, ſechſtes Capitel.
ſten Verdienſte ſeyen, die einen Archonten, einen Heer-
fuͤhrer, einen Satrapen, oder den Guͤnſtling eines Fuͤr-
ſten machen? Siehe dich in den Republiken um; du
wirſt finden, daß dieſer ſein Anſehen der laͤchelnden
Mine zu danken hat, womit er die Buͤrger gruͤßt; ein
andrer der emphatiſchen Peripherie ſeines Wanſtes; ein
dritter der Schoͤnheit ſeiner Gemalin, und ein vier-
ter ſeiner bruͤllenden Stimme. Gehe an die Hoͤfe, du
wirſt Leute finden, welche das Gluͤk, worinn ſie ſchim-
mern, der Empfelung eines Kammerdieners, der Gunſt
einer Dame, die ſich fuͤr ihre Talente verbuͤrgt hat,
oder der Gabe des Schlafs ſchuldig ſind, womit ſie be-
fallen werden, wenn der Vezier mit ihren Weibern
ſcherzt. Nichts iſt in dieſem Lande der Bezauberungen
gewoͤhnlicher, als einen unbaͤrtigen Knaben in einen Ge-
neral, einen Pantomimen in einen Staatsminiſter, ei-
nen Kupler in einen Oberprieſter verwandelt zu ſe-
hen; ein Menſch ohne alle Verdienſte kann oft durch
ein einziges Talent, und wenn es auch nur das Talent
eines Eſels waͤre, zu einem Gluͤke gelangen, das ein
andrer durch die groͤſten Verdienſte vergeblich zu erhal-
ten geſucht hat. Wer koͤnnte demnach zweifeln, daß
die Kunſt der Sophiſten nicht faͤhig ſeyn ſollte, ihrem
Beſizer auf dieſe oder jene Art die Gunſt des Gluͤkes zu
verſchaffen? Vorausgeſezt, daß er die natuͤrlichen Ga-
ben beſize, ohne welche der Mann von Verſtand in
der Welt allezeit dem Narren Plaz machen muß, der
damit verſehen iſt. Allein ſelbſt auf dem Wege der
Verdienſte iſt niemand gewiſſer ſein Gluͤk zu machen,

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[121/0143] Drittes Buch, ſechſtes Capitel. ſten Verdienſte ſeyen, die einen Archonten, einen Heer- fuͤhrer, einen Satrapen, oder den Guͤnſtling eines Fuͤr- ſten machen? Siehe dich in den Republiken um; du wirſt finden, daß dieſer ſein Anſehen der laͤchelnden Mine zu danken hat, womit er die Buͤrger gruͤßt; ein andrer der emphatiſchen Peripherie ſeines Wanſtes; ein dritter der Schoͤnheit ſeiner Gemalin, und ein vier- ter ſeiner bruͤllenden Stimme. Gehe an die Hoͤfe, du wirſt Leute finden, welche das Gluͤk, worinn ſie ſchim- mern, der Empfelung eines Kammerdieners, der Gunſt einer Dame, die ſich fuͤr ihre Talente verbuͤrgt hat, oder der Gabe des Schlafs ſchuldig ſind, womit ſie be- fallen werden, wenn der Vezier mit ihren Weibern ſcherzt. Nichts iſt in dieſem Lande der Bezauberungen gewoͤhnlicher, als einen unbaͤrtigen Knaben in einen Ge- neral, einen Pantomimen in einen Staatsminiſter, ei- nen Kupler in einen Oberprieſter verwandelt zu ſe- hen; ein Menſch ohne alle Verdienſte kann oft durch ein einziges Talent, und wenn es auch nur das Talent eines Eſels waͤre, zu einem Gluͤke gelangen, das ein andrer durch die groͤſten Verdienſte vergeblich zu erhal- ten geſucht hat. Wer koͤnnte demnach zweifeln, daß die Kunſt der Sophiſten nicht faͤhig ſeyn ſollte, ihrem Beſizer auf dieſe oder jene Art die Gunſt des Gluͤkes zu verſchaffen? Vorausgeſezt, daß er die natuͤrlichen Ga- ben beſize, ohne welche der Mann von Verſtand in der Welt allezeit dem Narren Plaz machen muß, der damit verſehen iſt. Allein ſelbſt auf dem Wege der Verdienſte iſt niemand gewiſſer ſein Gluͤk zu machen, als H 5

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/143>, abgerufen am 24.04.2024.