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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
Persepolis, und eine Spartanerin zu Corinth wo nicht
eben so schädlich, doch wenigstens ganz unnüzlich seyn.
Die Jdealisten, wie ich diese Philosophen zu nennen
pflege, welche die Welt nach ihren Jdeen umschmelzen
wollen, bilden ihre Lehrjünger zu Menschen, die man
nirgends für einheimisch erkennen kann, weil ihre Mo-
ral eine Gesezgebung voraussezt, welche nirgends vor-
handen ist. Sie bleiben arm und ungeachtet, weil ein
Volk nur demjenigen Hochachtung und Belohnung zuer-
kennt, der seinen Nuzen befördert oder doch zu beför-
dern scheint; ja sie werden als Verderber der Jugend,
und als heimliche Feinde der Gesellschaft angesehen,
und die Landesverweisung oder der Giftbecher ist zu-
lezt alles, was sie für die undankbare Bemühung da-
von tragen, die Menschen zu entkörpern, um sie in die
Classe der idealischen Wesen, der mathematischen Puncte,
Linien und Dreyeke zu erhöhen. Klüger, als diese ein-
gebildeten Weisen, die, wie jener Flötenspieler von
Aspondus, nur für sich selbst singen, überlassen die
Sophisten den Gesezen eines jeden Volks ihre Bürger
zu lehren, was Recht oder Unrecht sey. Da sie selbst
zu keinem besondern Staatskörper gehören, so genies-
sen sie die Vorrechte eines Weltbürgers, und indem sie
den Gesezen und der Religion eines jeden Volkes bey
dem sie sich besinden, eine äusserliche Achtung bezeugen,
wodurch sie vor allen Ungelegenheiten mit den Hand-
habern derselben gesichert werden; so erkennen und be-
folgen sie doch in der That kein andres als jenes allge-
meine Gesez der Natur, welches dem Menschen sein

eignes

Agathon.
Perſepolis, und eine Spartanerin zu Corinth wo nicht
eben ſo ſchaͤdlich, doch wenigſtens ganz unnuͤzlich ſeyn.
Die Jdealiſten, wie ich dieſe Philoſophen zu nennen
pflege, welche die Welt nach ihren Jdeen umſchmelzen
wollen, bilden ihre Lehrjuͤnger zu Menſchen, die man
nirgends fuͤr einheimiſch erkennen kann, weil ihre Mo-
ral eine Geſezgebung vorausſezt, welche nirgends vor-
handen iſt. Sie bleiben arm und ungeachtet, weil ein
Volk nur demjenigen Hochachtung und Belohnung zuer-
kennt, der ſeinen Nuzen befoͤrdert oder doch zu befoͤr-
dern ſcheint; ja ſie werden als Verderber der Jugend,
und als heimliche Feinde der Geſellſchaft angeſehen,
und die Landesverweiſung oder der Giftbecher iſt zu-
lezt alles, was ſie fuͤr die undankbare Bemuͤhung da-
von tragen, die Menſchen zu entkoͤrpern, um ſie in die
Claſſe der idealiſchen Weſen, der mathematiſchen Puncte,
Linien und Dreyeke zu erhoͤhen. Kluͤger, als dieſe ein-
gebildeten Weiſen, die, wie jener Floͤtenſpieler von
Aſpondus, nur fuͤr ſich ſelbſt ſingen, uͤberlaſſen die
Sophiſten den Geſezen eines jeden Volks ihre Buͤrger
zu lehren, was Recht oder Unrecht ſey. Da ſie ſelbſt
zu keinem beſondern Staatskoͤrper gehoͤren, ſo genieſ-
ſen ſie die Vorrechte eines Weltbuͤrgers, und indem ſie
den Geſezen und der Religion eines jeden Volkes bey
dem ſie ſich beſinden, eine aͤuſſerliche Achtung bezeugen,
wodurch ſie vor allen Ungelegenheiten mit den Hand-
habern derſelben geſichert werden; ſo erkennen und be-
folgen ſie doch in der That kein andres als jenes allge-
meine Geſez der Natur, welches dem Menſchen ſein

eignes
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[118/0140] Agathon. Perſepolis, und eine Spartanerin zu Corinth wo nicht eben ſo ſchaͤdlich, doch wenigſtens ganz unnuͤzlich ſeyn. Die Jdealiſten, wie ich dieſe Philoſophen zu nennen pflege, welche die Welt nach ihren Jdeen umſchmelzen wollen, bilden ihre Lehrjuͤnger zu Menſchen, die man nirgends fuͤr einheimiſch erkennen kann, weil ihre Mo- ral eine Geſezgebung vorausſezt, welche nirgends vor- handen iſt. Sie bleiben arm und ungeachtet, weil ein Volk nur demjenigen Hochachtung und Belohnung zuer- kennt, der ſeinen Nuzen befoͤrdert oder doch zu befoͤr- dern ſcheint; ja ſie werden als Verderber der Jugend, und als heimliche Feinde der Geſellſchaft angeſehen, und die Landesverweiſung oder der Giftbecher iſt zu- lezt alles, was ſie fuͤr die undankbare Bemuͤhung da- von tragen, die Menſchen zu entkoͤrpern, um ſie in die Claſſe der idealiſchen Weſen, der mathematiſchen Puncte, Linien und Dreyeke zu erhoͤhen. Kluͤger, als dieſe ein- gebildeten Weiſen, die, wie jener Floͤtenſpieler von Aſpondus, nur fuͤr ſich ſelbſt ſingen, uͤberlaſſen die Sophiſten den Geſezen eines jeden Volks ihre Buͤrger zu lehren, was Recht oder Unrecht ſey. Da ſie ſelbſt zu keinem beſondern Staatskoͤrper gehoͤren, ſo genieſ- ſen ſie die Vorrechte eines Weltbuͤrgers, und indem ſie den Geſezen und der Religion eines jeden Volkes bey dem ſie ſich beſinden, eine aͤuſſerliche Achtung bezeugen, wodurch ſie vor allen Ungelegenheiten mit den Hand- habern derſelben geſichert werden; ſo erkennen und be- folgen ſie doch in der That kein andres als jenes allge- meine Geſez der Natur, welches dem Menſchen ſein eignes

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/140>, abgerufen am 29.03.2024.