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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
zaubernden Phantomen sind die sie hervorbringen;
allein ob diese Träume ausser dem Gehirn ihrer Ersin-
der, und derjenigen, deren Einbildungskraft so glük-
lich ist ihnen nachfliegen zu können, einige Wahrheit
oder Würklichkeit haben, ist eine Frage, deren Erör-
terung nicht zum Vortheil derselben ausfällt, wenn sie
der gesunden Vernunft aufgetragen wird. Je weni-
ger die Menschen wissen, desto geneigter sind sie, zu wäh-
nen und zu glauben. Wenn anders als der Unwissen-
heit und dem Aberglauben der ältesten Welt haben die
Nymphen und Faunen, die Najaden und Tritonen, die
Furien und die erscheinenden Schatten der Verstorbnen
ihre vermeynte Würklichkeit zu danken? Je besser wir
die Körperwelt kennen lernen, desto enger werden die
Grenzen des Geister-Reichs. Jch will izo nichts da-
von sagen, ob es wahrscheinlich sey, daß die Priester-
schaft, die von jeher einen so zahlreichen Orden unter
den Menschen ausgemacht, bald genug die Entdekung
machen mußte, was für grosse Vortheile man durch
diesen Hang der Menschen zum Wunderbaren von ih-
ren beyden heftigsten Leidenschaften, der Furcht und
der Hofnung, ziehen könne. Wir wollen bey der
Sache selbst bleiben. Worauf gründet sich die er-
habne Theorie, von der wir reden? Wer hat je-
mals diese Götter, diese Geister gesehen, deren Da-
seyn sie voraussezt? Welcher Mensch erinnert sich des-
sen, daß er ehmals ohne Körper in den etherischen Ge-
genden geschwebt, den geflügelten Wagen Jupiters be-
gleitet, und mit den Göttern Nectar getrunken habe?

Was

Agathon.
zaubernden Phantomen ſind die ſie hervorbringen;
allein ob dieſe Traͤume auſſer dem Gehirn ihrer Erſin-
der, und derjenigen, deren Einbildungskraft ſo gluͤk-
lich iſt ihnen nachfliegen zu koͤnnen, einige Wahrheit
oder Wuͤrklichkeit haben, iſt eine Frage, deren Eroͤr-
terung nicht zum Vortheil derſelben ausfaͤllt, wenn ſie
der geſunden Vernunft aufgetragen wird. Je weni-
ger die Menſchen wiſſen, deſto geneigter ſind ſie, zu waͤh-
nen und zu glauben. Wenn anders als der Unwiſſen-
heit und dem Aberglauben der aͤlteſten Welt haben die
Nymphen und Faunen, die Najaden und Tritonen, die
Furien und die erſcheinenden Schatten der Verſtorbnen
ihre vermeynte Wuͤrklichkeit zu danken? Je beſſer wir
die Koͤrperwelt kennen lernen, deſto enger werden die
Grenzen des Geiſter-Reichs. Jch will izo nichts da-
von ſagen, ob es wahrſcheinlich ſey, daß die Prieſter-
ſchaft, die von jeher einen ſo zahlreichen Orden unter
den Menſchen ausgemacht, bald genug die Entdekung
machen mußte, was fuͤr groſſe Vortheile man durch
dieſen Hang der Menſchen zum Wunderbaren von ih-
ren beyden heftigſten Leidenſchaften, der Furcht und
der Hofnung, ziehen koͤnne. Wir wollen bey der
Sache ſelbſt bleiben. Worauf gruͤndet ſich die er-
habne Theorie, von der wir reden? Wer hat je-
mals dieſe Goͤtter, dieſe Geiſter geſehen, deren Da-
ſeyn ſie vorausſezt? Welcher Menſch erinnert ſich deſ-
ſen, daß er ehmals ohne Koͤrper in den etheriſchen Ge-
genden geſchwebt, den gefluͤgelten Wagen Jupiters be-
gleitet, und mit den Goͤttern Nectar getrunken habe?

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[96/0118] Agathon. zaubernden Phantomen ſind die ſie hervorbringen; allein ob dieſe Traͤume auſſer dem Gehirn ihrer Erſin- der, und derjenigen, deren Einbildungskraft ſo gluͤk- lich iſt ihnen nachfliegen zu koͤnnen, einige Wahrheit oder Wuͤrklichkeit haben, iſt eine Frage, deren Eroͤr- terung nicht zum Vortheil derſelben ausfaͤllt, wenn ſie der geſunden Vernunft aufgetragen wird. Je weni- ger die Menſchen wiſſen, deſto geneigter ſind ſie, zu waͤh- nen und zu glauben. Wenn anders als der Unwiſſen- heit und dem Aberglauben der aͤlteſten Welt haben die Nymphen und Faunen, die Najaden und Tritonen, die Furien und die erſcheinenden Schatten der Verſtorbnen ihre vermeynte Wuͤrklichkeit zu danken? Je beſſer wir die Koͤrperwelt kennen lernen, deſto enger werden die Grenzen des Geiſter-Reichs. Jch will izo nichts da- von ſagen, ob es wahrſcheinlich ſey, daß die Prieſter- ſchaft, die von jeher einen ſo zahlreichen Orden unter den Menſchen ausgemacht, bald genug die Entdekung machen mußte, was fuͤr groſſe Vortheile man durch dieſen Hang der Menſchen zum Wunderbaren von ih- ren beyden heftigſten Leidenſchaften, der Furcht und der Hofnung, ziehen koͤnne. Wir wollen bey der Sache ſelbſt bleiben. Worauf gruͤndet ſich die er- habne Theorie, von der wir reden? Wer hat je- mals dieſe Goͤtter, dieſe Geiſter geſehen, deren Da- ſeyn ſie vorausſezt? Welcher Menſch erinnert ſich deſ- ſen, daß er ehmals ohne Koͤrper in den etheriſchen Ge- genden geſchwebt, den gefluͤgelten Wagen Jupiters be- gleitet, und mit den Goͤttern Nectar getrunken habe? Was

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/118>, abgerufen am 23.11.2024.