Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.Drittes Buch, zweytes Capitel. nen Uebermuth, seinen schleppenden Purpur, seineSchmäuse und Liebeshändel bedekt; der es den Athenien- sern erträglich macht, den Liebesgott, mit dem Blize Jupiters bewafnet, auf dem Schilde seines Feldherrn zu sehen; der die Gemahlin eines spartanischen Kö- nigs so sehr verblendet, daß sie stolz darauf ist, für seine Buhlerin gehalten zu werden. Ohne diese Vor- theile würde ihm Ansehn und Ruhm so gleichgültig seyn, als ein Hauffen Rechenpfennige einem corinthischen Wucherer. Allein, spricht man, wenn es seine Rich- tigkeit hat, daß die Vergnügen der Sinne alles sind, was uns die Natur zuerkannt hat, was ist leichter und was braucht weniger Kunst und Anstalten, als glüklich zu seyn? "Wie wenig bedarf die Natur um zu frie- den zu seyn?" Es ist wahr, die rohe Natur bedarf wenig. Jhre Unwissenheit ist ihr Reichthum. Eine Bewegung, die seinen Körper munter erhält, eine Nah- rung die den Hunger stillt, ein Weib, schön oder häß- lich, wenn ihn die Ungeduld eines gewissen Bedürfnis- ses beunruhiget, ein schattichter Rasen, wenn er des Schlafs bedarf, und eine Höle, sich vor dem Unge- witter zu sichern, ist alles was der wilde Mensch nö- thig hat, um in dem Lauf von achtzig oder hundert Jahren sich nur nicht einmal einfallen zu lassen, daß man mehr brauchen könne. Die Vergnügen der Ein- bildungskraft und des Geschmaks sind nicht für ihn; er genießt nicht mehr als die übrigen Thiere, und genießt wie sie. Wenn er glüklich ist, weil er sich nicht für nnglüklich hält, so ist er es doch nicht in Vergleichung mit
Drittes Buch, zweytes Capitel. nen Uebermuth, ſeinen ſchleppenden Purpur, ſeineSchmaͤuſe und Liebeshaͤndel bedekt; der es den Athenien- ſern ertraͤglich macht, den Liebesgott, mit dem Blize Jupiters bewafnet, auf dem Schilde ſeines Feldherrn zu ſehen; der die Gemahlin eines ſpartaniſchen Koͤ- nigs ſo ſehr verblendet, daß ſie ſtolz darauf iſt, fuͤr ſeine Buhlerin gehalten zu werden. Ohne dieſe Vor- theile wuͤrde ihm Anſehn und Ruhm ſo gleichguͤltig ſeyn, als ein Hauffen Rechenpfennige einem corinthiſchen Wucherer. Allein, ſpricht man, wenn es ſeine Rich- tigkeit hat, daß die Vergnuͤgen der Sinne alles ſind, was uns die Natur zuerkannt hat, was iſt leichter und was braucht weniger Kunſt und Anſtalten, als gluͤklich zu ſeyn? „Wie wenig bedarf die Natur um zu frie- den zu ſeyn?„ Es iſt wahr, die rohe Natur bedarf wenig. Jhre Unwiſſenheit iſt ihr Reichthum. Eine Bewegung, die ſeinen Koͤrper munter erhaͤlt, eine Nah- rung die den Hunger ſtillt, ein Weib, ſchoͤn oder haͤß- lich, wenn ihn die Ungeduld eines gewiſſen Beduͤrfniſ- ſes beunruhiget, ein ſchattichter Raſen, wenn er des Schlafs bedarf, und eine Hoͤle, ſich vor dem Unge- witter zu ſichern, iſt alles was der wilde Menſch noͤ- thig hat, um in dem Lauf von achtzig oder hundert Jahren ſich nur nicht einmal einfallen zu laſſen, daß man mehr brauchen koͤnne. Die Vergnuͤgen der Ein- bildungskraft und des Geſchmaks ſind nicht fuͤr ihn; er genießt nicht mehr als die uͤbrigen Thiere, und genießt wie ſie. Wenn er gluͤklich iſt, weil er ſich nicht fuͤr nngluͤklich haͤlt, ſo iſt er es doch nicht in Vergleichung mit
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0113" n="91"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Drittes Buch, zweytes Capitel.</hi></fw><lb/> nen Uebermuth, ſeinen ſchleppenden Purpur, ſeine<lb/> Schmaͤuſe und Liebeshaͤndel bedekt; der es den Athenien-<lb/> ſern ertraͤglich macht, den Liebesgott, mit dem Blize<lb/> Jupiters bewafnet, auf dem Schilde ſeines Feldherrn<lb/> zu ſehen; der die Gemahlin eines ſpartaniſchen Koͤ-<lb/> nigs ſo ſehr verblendet, daß ſie ſtolz darauf iſt, fuͤr<lb/> ſeine Buhlerin gehalten zu werden. Ohne dieſe Vor-<lb/> theile wuͤrde ihm Anſehn und Ruhm ſo gleichguͤltig<lb/> ſeyn, als ein Hauffen Rechenpfennige einem corinthiſchen<lb/> Wucherer. Allein, ſpricht man, wenn es ſeine Rich-<lb/> tigkeit hat, daß die Vergnuͤgen der Sinne alles ſind,<lb/> was uns die Natur zuerkannt hat, was iſt leichter und<lb/> was braucht weniger Kunſt und Anſtalten, als gluͤklich<lb/> zu ſeyn? „Wie wenig bedarf die Natur um zu frie-<lb/> den zu ſeyn?„ Es iſt wahr, die rohe Natur bedarf<lb/> wenig. Jhre Unwiſſenheit iſt ihr Reichthum. Eine<lb/> Bewegung, die ſeinen Koͤrper munter erhaͤlt, eine Nah-<lb/> rung die den Hunger ſtillt, ein Weib, ſchoͤn oder haͤß-<lb/> lich, wenn ihn die Ungeduld eines gewiſſen Beduͤrfniſ-<lb/> ſes beunruhiget, ein ſchattichter Raſen, wenn er des<lb/> Schlafs bedarf, und eine Hoͤle, ſich vor dem Unge-<lb/> witter zu ſichern, iſt alles was der wilde Menſch noͤ-<lb/> thig hat, um in dem Lauf von achtzig oder hundert<lb/> Jahren ſich nur nicht einmal einfallen zu laſſen, daß<lb/> man mehr brauchen koͤnne. Die Vergnuͤgen der Ein-<lb/> bildungskraft und des Geſchmaks ſind nicht fuͤr ihn; er<lb/> genießt nicht mehr als die uͤbrigen Thiere, und genießt<lb/> wie ſie. Wenn er gluͤklich iſt, weil er ſich nicht fuͤr<lb/> nngluͤklich haͤlt, ſo iſt er es doch nicht in Vergleichung<lb/> <fw place="bottom" type="catch">mit</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [91/0113]
Drittes Buch, zweytes Capitel.
nen Uebermuth, ſeinen ſchleppenden Purpur, ſeine
Schmaͤuſe und Liebeshaͤndel bedekt; der es den Athenien-
ſern ertraͤglich macht, den Liebesgott, mit dem Blize
Jupiters bewafnet, auf dem Schilde ſeines Feldherrn
zu ſehen; der die Gemahlin eines ſpartaniſchen Koͤ-
nigs ſo ſehr verblendet, daß ſie ſtolz darauf iſt, fuͤr
ſeine Buhlerin gehalten zu werden. Ohne dieſe Vor-
theile wuͤrde ihm Anſehn und Ruhm ſo gleichguͤltig
ſeyn, als ein Hauffen Rechenpfennige einem corinthiſchen
Wucherer. Allein, ſpricht man, wenn es ſeine Rich-
tigkeit hat, daß die Vergnuͤgen der Sinne alles ſind,
was uns die Natur zuerkannt hat, was iſt leichter und
was braucht weniger Kunſt und Anſtalten, als gluͤklich
zu ſeyn? „Wie wenig bedarf die Natur um zu frie-
den zu ſeyn?„ Es iſt wahr, die rohe Natur bedarf
wenig. Jhre Unwiſſenheit iſt ihr Reichthum. Eine
Bewegung, die ſeinen Koͤrper munter erhaͤlt, eine Nah-
rung die den Hunger ſtillt, ein Weib, ſchoͤn oder haͤß-
lich, wenn ihn die Ungeduld eines gewiſſen Beduͤrfniſ-
ſes beunruhiget, ein ſchattichter Raſen, wenn er des
Schlafs bedarf, und eine Hoͤle, ſich vor dem Unge-
witter zu ſichern, iſt alles was der wilde Menſch noͤ-
thig hat, um in dem Lauf von achtzig oder hundert
Jahren ſich nur nicht einmal einfallen zu laſſen, daß
man mehr brauchen koͤnne. Die Vergnuͤgen der Ein-
bildungskraft und des Geſchmaks ſind nicht fuͤr ihn; er
genießt nicht mehr als die uͤbrigen Thiere, und genießt
wie ſie. Wenn er gluͤklich iſt, weil er ſich nicht fuͤr
nngluͤklich haͤlt, ſo iſt er es doch nicht in Vergleichung
mit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |