andern Grundfuß wohl nicht stellen. Definitionen, meine Freude!
Mich darf meine Freundin beleidigen -- behandeln wie sie will. Darf man nicht mit sich umgehen wie man will? Aber in andern Dingen bin ich so streng mit ihr, als ich nur mit mir selbst bin.
J. Wie inkonsequent sind Sie! Erinnern Sie sich gar nicht mehr, wie Sie sonst sprachen?
R. Sie meinen, daß ich alles vergab! Jetzt will ich plötzlich einen Preis auf mein Ich setzen. Zeigen Sie meine Briefe, worin ich anders sprach; und sagen Sie: So hat sie sich verändert! --
Wer mir glaubt, dem nur kann ich die Wahrheit sagen.
An Frau von F., in Berlin.
Sommer 1806.
Wenn ich nicht so gesund bin, und solches Wetter ist, daß ich des Morgens kommen kann, so bleib ich dreist weg. Was hilft solches Visiten-Gesitze. Ich mache das zur Hand- lung, Visiten-gesitzen. Ist wohl dabei an Sprechen, Denken, Mittheilen, Blicken beinah, zu denken? Sahen Sie den grän- zenlosen Ennui des Einen? die Ungewißheit und Mattigkeit des Mahlers? der mir sonst unwidersprechlich die Cour macht -- nicht die man einer Frau, sondern die man einer Fürstin
andern Grundfuß wohl nicht ſtellen. Definitionen, meine Freude!
Mich darf meine Freundin beleidigen — behandeln wie ſie will. Darf man nicht mit ſich umgehen wie man will? Aber in andern Dingen bin ich ſo ſtreng mit ihr, als ich nur mit mir ſelbſt bin.
J. Wie inkonſequent ſind Sie! Erinnern Sie ſich gar nicht mehr, wie Sie ſonſt ſprachen?
R. Sie meinen, daß ich alles vergab! Jetzt will ich plötzlich einen Preis auf mein Ich ſetzen. Zeigen Sie meine Briefe, worin ich anders ſprach; und ſagen Sie: So hat ſie ſich verändert! —
Wer mir glaubt, dem nur kann ich die Wahrheit ſagen.
An Frau von F., in Berlin.
Sommer 1806.
Wenn ich nicht ſo geſund bin, und ſolches Wetter iſt, daß ich des Morgens kommen kann, ſo bleib ich dreiſt weg. Was hilft ſolches Viſiten-Geſitze. Ich mache das zur Hand- lung, Viſiten-geſitzen. Iſt wohl dabei an Sprechen, Denken, Mittheilen, Blicken beinah, zu denken? Sahen Sie den grän- zenloſen Ennui des Einen? die Ungewißheit und Mattigkeit des Mahlers? der mir ſonſt unwiderſprechlich die Cour macht — nicht die man einer Frau, ſondern die man einer Fürſtin
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andern Grundfuß wohl nicht ſtellen. Definitionen, meine
Freude!
Mich darf meine Freundin beleidigen — behandeln wie
ſie will. Darf man nicht mit ſich umgehen wie man will?
Aber in andern Dingen bin ich ſo ſtreng mit ihr, als ich nur
mit mir ſelbſt bin.
J. Wie inkonſequent ſind Sie! Erinnern Sie ſich gar
nicht mehr, wie Sie ſonſt ſprachen?
R. Sie meinen, daß ich alles vergab! Jetzt will ich
plötzlich einen Preis auf mein Ich ſetzen. Zeigen Sie meine
Briefe, worin ich anders ſprach; und ſagen Sie: So hat ſie
ſich verändert! —
Wer mir glaubt, dem nur kann ich die Wahrheit ſagen.
An Frau von F., in Berlin.
Sommer 1806.
Wenn ich nicht ſo geſund bin, und ſolches Wetter iſt,
daß ich des Morgens kommen kann, ſo bleib ich dreiſt weg.
Was hilft ſolches Viſiten-Geſitze. Ich mache das zur Hand-
lung, Viſiten-geſitzen. Iſt wohl dabei an Sprechen, Denken,
Mittheilen, Blicken beinah, zu denken? Sahen Sie den grän-
zenloſen Ennui des Einen? die Ungewißheit und Mattigkeit
des Mahlers? der mir ſonſt unwiderſprechlich die Cour macht
— nicht die man einer Frau, ſondern die man einer Fürſtin
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/299>, abgerufen am 29.11.2024.
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