Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Frische der unberührten Seele herausschaute, mit einer Innigkeit, einem Glanz und einer Unschuldsfreudigkeit, wie sie nur dieses glückliche, noch von den Engeln gehütete Alter gewährt. Beide Nonnen hielten sich umschlungen, die feine langgeformte Hand Scholastika's, der ältern der Freundinnen, ruhte in der vollen, gerundeten Feodora's. Der Aermelüberwurf von grobem Wollengewebe war aufgeschlagen und ließ die Arme der Mädchen sehen. Die Form der Einen zeigte Fülle und Gedrungenheit, die der Andern war zierlich, aber abgemagert, ein leichter bläulicher Streifen unter dem Handgelenk wies die Spur des Malerstocks; dieses Zeichen anhaltender und anstrengender Arbeit fehlte an dem runden Arm Feodora's; dagegen schimmerte etwas höher hinauf und unter dem Aermel nur wenig sichtbar ein goldner Reif, mit einem Schlößchen in Herzform. Die junge Nonne trug diesen weltlichen Putz nur verstohlen; es war das Andenken einer geliebten Schwester, die auf ihrem Sterbelager das Armband, zugleich mit manchem Segens- und Liebeskuß, der Trauernden übergeben hatte. Ein solches Geschenk entweiht auch den Arm einer Nonne nicht. Du bist heute ganz besonders niedergeschlagen, mein theures Schätzchen, hob Feodora an, indem sie mit ihren großen, blitzenden Kinderaugen zur Schwester emporsah. Was ist dir denn, Scholastika? Du erzählst mir heute keine von deinen schönen Geschichten. Willst du, daß ich Marfa wecke? Die Stille um uns her hat sie in Schlaf gewiegt; und in der That, es erregt Grausen, Frische der unberührten Seele herausschaute, mit einer Innigkeit, einem Glanz und einer Unschuldsfreudigkeit, wie sie nur dieses glückliche, noch von den Engeln gehütete Alter gewährt. Beide Nonnen hielten sich umschlungen, die feine langgeformte Hand Scholastika's, der ältern der Freundinnen, ruhte in der vollen, gerundeten Feodora's. Der Aermelüberwurf von grobem Wollengewebe war aufgeschlagen und ließ die Arme der Mädchen sehen. Die Form der Einen zeigte Fülle und Gedrungenheit, die der Andern war zierlich, aber abgemagert, ein leichter bläulicher Streifen unter dem Handgelenk wies die Spur des Malerstocks; dieses Zeichen anhaltender und anstrengender Arbeit fehlte an dem runden Arm Feodora's; dagegen schimmerte etwas höher hinauf und unter dem Aermel nur wenig sichtbar ein goldner Reif, mit einem Schlößchen in Herzform. Die junge Nonne trug diesen weltlichen Putz nur verstohlen; es war das Andenken einer geliebten Schwester, die auf ihrem Sterbelager das Armband, zugleich mit manchem Segens- und Liebeskuß, der Trauernden übergeben hatte. Ein solches Geschenk entweiht auch den Arm einer Nonne nicht. Du bist heute ganz besonders niedergeschlagen, mein theures Schätzchen, hob Feodora an, indem sie mit ihren großen, blitzenden Kinderaugen zur Schwester emporsah. Was ist dir denn, Scholastika? Du erzählst mir heute keine von deinen schönen Geschichten. Willst du, daß ich Marfa wecke? Die Stille um uns her hat sie in Schlaf gewiegt; und in der That, es erregt Grausen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0018"/> Frische der unberührten Seele herausschaute, mit einer Innigkeit, einem Glanz und einer Unschuldsfreudigkeit, wie sie nur dieses glückliche, noch von den Engeln gehütete Alter gewährt. Beide Nonnen hielten sich umschlungen, die feine langgeformte Hand Scholastika's, der ältern der Freundinnen, ruhte in der vollen, gerundeten Feodora's. Der Aermelüberwurf von grobem Wollengewebe war aufgeschlagen und ließ die Arme der Mädchen sehen. Die Form der Einen zeigte Fülle und Gedrungenheit, die der Andern war zierlich, aber abgemagert, ein leichter bläulicher Streifen unter dem Handgelenk wies die Spur des Malerstocks; dieses Zeichen anhaltender und anstrengender Arbeit fehlte an dem runden Arm Feodora's; dagegen schimmerte etwas höher hinauf und unter dem Aermel nur wenig sichtbar ein goldner Reif, mit einem Schlößchen in Herzform. Die junge Nonne trug diesen weltlichen Putz nur verstohlen; es war das Andenken einer geliebten Schwester, die auf ihrem Sterbelager das Armband, zugleich mit manchem Segens- und Liebeskuß, der Trauernden übergeben hatte. Ein solches Geschenk entweiht auch den Arm einer Nonne nicht.</p><lb/> <p>Du bist heute ganz besonders niedergeschlagen, mein theures Schätzchen, hob Feodora an, indem sie mit ihren großen, blitzenden Kinderaugen zur Schwester emporsah. Was ist dir denn, Scholastika? Du erzählst mir heute keine von deinen schönen Geschichten. Willst du, daß ich Marfa wecke? Die Stille um uns her hat sie in Schlaf gewiegt; und in der That, es erregt Grausen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0018]
Frische der unberührten Seele herausschaute, mit einer Innigkeit, einem Glanz und einer Unschuldsfreudigkeit, wie sie nur dieses glückliche, noch von den Engeln gehütete Alter gewährt. Beide Nonnen hielten sich umschlungen, die feine langgeformte Hand Scholastika's, der ältern der Freundinnen, ruhte in der vollen, gerundeten Feodora's. Der Aermelüberwurf von grobem Wollengewebe war aufgeschlagen und ließ die Arme der Mädchen sehen. Die Form der Einen zeigte Fülle und Gedrungenheit, die der Andern war zierlich, aber abgemagert, ein leichter bläulicher Streifen unter dem Handgelenk wies die Spur des Malerstocks; dieses Zeichen anhaltender und anstrengender Arbeit fehlte an dem runden Arm Feodora's; dagegen schimmerte etwas höher hinauf und unter dem Aermel nur wenig sichtbar ein goldner Reif, mit einem Schlößchen in Herzform. Die junge Nonne trug diesen weltlichen Putz nur verstohlen; es war das Andenken einer geliebten Schwester, die auf ihrem Sterbelager das Armband, zugleich mit manchem Segens- und Liebeskuß, der Trauernden übergeben hatte. Ein solches Geschenk entweiht auch den Arm einer Nonne nicht.
Du bist heute ganz besonders niedergeschlagen, mein theures Schätzchen, hob Feodora an, indem sie mit ihren großen, blitzenden Kinderaugen zur Schwester emporsah. Was ist dir denn, Scholastika? Du erzählst mir heute keine von deinen schönen Geschichten. Willst du, daß ich Marfa wecke? Die Stille um uns her hat sie in Schlaf gewiegt; und in der That, es erregt Grausen,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T12:43:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T12:43:38Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |