Als die Revolution die Gleichheit zu einem "Rechte" stempelte, flüchtete sie ins religiöse Gebiet, in die Region des Heiligen, des Ideals. Daher seitdem der Kampf um die "hei¬ ligen, unveräußerlichen Menschenrechte". Gegen das "ewige Menschenrecht" wird ganz natürlich und gleichberechtigt das "wohlerworbene Recht des Bestehenden" geltend gemacht: Recht gegen Recht, wo natürlich eines vom andern als "Unrecht" verschrieen wird. Das ist der Rechtsstreit seit der Revo¬ lution.
Ihr wollt gegen die Andern "im Rechte sein". Das könnt Ihr nicht, gegen sie bleibt Ihr ewig "im Unrecht"; denn sie wären ja eure Gegner nicht, wenn sie nicht auch in "ihrem Rechte" wären: sie werden Euch stets "Unrecht geben". Aber euer Recht ist gegen das der Anderen ein höheres, größe¬ res, mächtigeres, nicht so? Mit Nichten! Euer Recht ist nicht mächtiger, wenn Ihr nicht mächtiger seid. Haben chine¬ sische Unterthanen ein Recht auf Freiheit? Schenkt sie ihnen doch, und seht dann zu, wie sehr Ihr Euch darin vergriffen habt: weil sie die Freiheit nicht zu nutzen wissen, darum ha¬ ben sie kein Recht darauf, oder deutlicher, weil sie die Freiheit nicht haben, haben sie eben das Recht dazu nicht. Kinder ha¬ ben kein Recht auf die Mündigkeit, weil sie nicht mündig sind, d. h. weil sie Kinder sind. Völker, die sich in Unmündigkeit halten lassen, haben kein Recht auf Mündigkeit; hörten sie auf, unmündig zu sein, dann erst hätten sie das Recht, mündig zu sein. Dieß heißt nichts anderes, als: was Du zu sein die Macht hast, dazu hast Du das Recht. Ich leite alles Recht und alle Berechtigung aus Mir her; Ich bin zu allem berech¬ tigt, dessen Ich mächtig bin. Ich bin berechtigt, Zeus, Je¬ hova, Gott u. s. w. zu stürzen, wenn Ich's kann; kann
Als die Revolution die Gleichheit zu einem „Rechte“ ſtempelte, flüchtete ſie ins religiöſe Gebiet, in die Region des Heiligen, des Ideals. Daher ſeitdem der Kampf um die „hei¬ ligen, unveräußerlichen Menſchenrechte“. Gegen das „ewige Menſchenrecht“ wird ganz natürlich und gleichberechtigt das „wohlerworbene Recht des Beſtehenden“ geltend gemacht: Recht gegen Recht, wo natürlich eines vom andern als „Unrecht“ verſchrieen wird. Das iſt der Rechtsſtreit ſeit der Revo¬ lution.
Ihr wollt gegen die Andern „im Rechte ſein“. Das könnt Ihr nicht, gegen ſie bleibt Ihr ewig „im Unrecht“; denn ſie wären ja eure Gegner nicht, wenn ſie nicht auch in „ihrem Rechte“ wären: ſie werden Euch ſtets „Unrecht geben“. Aber euer Recht iſt gegen das der Anderen ein höheres, größe¬ res, mächtigeres, nicht ſo? Mit Nichten! Euer Recht iſt nicht mächtiger, wenn Ihr nicht mächtiger ſeid. Haben chine¬ ſiſche Unterthanen ein Recht auf Freiheit? Schenkt ſie ihnen doch, und ſeht dann zu, wie ſehr Ihr Euch darin vergriffen habt: weil ſie die Freiheit nicht zu nutzen wiſſen, darum ha¬ ben ſie kein Recht darauf, oder deutlicher, weil ſie die Freiheit nicht haben, haben ſie eben das Recht dazu nicht. Kinder ha¬ ben kein Recht auf die Mündigkeit, weil ſie nicht mündig ſind, d. h. weil ſie Kinder ſind. Völker, die ſich in Unmündigkeit halten laſſen, haben kein Recht auf Mündigkeit; hörten ſie auf, unmündig zu ſein, dann erſt hätten ſie das Recht, mündig zu ſein. Dieß heißt nichts anderes, als: was Du zu ſein die Macht haſt, dazu haſt Du das Recht. Ich leite alles Recht und alle Berechtigung aus Mir her; Ich bin zu allem berech¬ tigt, deſſen Ich mächtig bin. Ich bin berechtigt, Zeus, Je¬ hova, Gott u. ſ. w. zu ſtürzen, wenn Ich's kann; kann
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0256"n="248"/><p>Als die Revolution die Gleichheit zu einem „Rechte“<lb/>ſtempelte, flüchtete ſie ins religiöſe Gebiet, in die Region des<lb/>
Heiligen, des Ideals. Daher ſeitdem der Kampf um die „hei¬<lb/>
ligen, unveräußerlichen Menſchenrechte“. Gegen das „ewige<lb/>
Menſchenrecht“ wird ganz natürlich und gleichberechtigt das<lb/>„wohlerworbene Recht des Beſtehenden“ geltend gemacht: Recht<lb/>
gegen Recht, wo natürlich eines vom andern als „Unrecht“<lb/>
verſchrieen wird. Das iſt der <hirendition="#g">Rechtsſtreit</hi>ſeit der Revo¬<lb/>
lution.</p><lb/><p>Ihr wollt gegen die Andern „im Rechte ſein“. Das<lb/>
könnt Ihr nicht, gegen ſie bleibt Ihr ewig „im Unrecht“;<lb/>
denn ſie wären ja eure Gegner nicht, wenn ſie nicht auch in<lb/>„ihrem Rechte“ wären: ſie werden Euch ſtets „Unrecht geben“.<lb/>
Aber euer Recht iſt gegen das der Anderen ein höheres, größe¬<lb/>
res, <hirendition="#g">mächtigeres</hi>, nicht ſo? Mit Nichten! Euer Recht iſt<lb/>
nicht mächtiger, wenn Ihr nicht mächtiger ſeid. Haben chine¬<lb/>ſiſche Unterthanen ein Recht auf Freiheit? Schenkt ſie ihnen<lb/>
doch, und ſeht dann zu, wie ſehr Ihr Euch darin vergriffen<lb/>
habt: weil ſie die Freiheit nicht zu nutzen wiſſen, darum ha¬<lb/>
ben ſie kein Recht darauf, oder deutlicher, weil ſie die Freiheit<lb/>
nicht haben, haben ſie eben das Recht dazu nicht. Kinder ha¬<lb/>
ben kein Recht auf die Mündigkeit, weil ſie nicht mündig ſind,<lb/>
d. h. weil ſie Kinder ſind. Völker, die ſich in Unmündigkeit<lb/>
halten laſſen, haben kein Recht auf Mündigkeit; hörten ſie auf,<lb/>
unmündig zu ſein, dann erſt hätten ſie das Recht, mündig zu<lb/>ſein. Dieß heißt nichts anderes, als: was Du zu ſein die<lb/><hirendition="#g">Macht</hi> haſt, dazu haſt Du das <hirendition="#g">Recht</hi>. Ich leite alles Recht<lb/>
und alle Berechtigung aus <hirendition="#g">Mir</hi> her; Ich bin zu allem <hirendition="#g">berech¬<lb/>
tigt</hi>, deſſen Ich mächtig bin. Ich bin berechtigt, Zeus, Je¬<lb/>
hova, Gott u. ſ. w. zu ſtürzen, wenn Ich's <hirendition="#g">kann</hi>; kann<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[248/0256]
Als die Revolution die Gleichheit zu einem „Rechte“
ſtempelte, flüchtete ſie ins religiöſe Gebiet, in die Region des
Heiligen, des Ideals. Daher ſeitdem der Kampf um die „hei¬
ligen, unveräußerlichen Menſchenrechte“. Gegen das „ewige
Menſchenrecht“ wird ganz natürlich und gleichberechtigt das
„wohlerworbene Recht des Beſtehenden“ geltend gemacht: Recht
gegen Recht, wo natürlich eines vom andern als „Unrecht“
verſchrieen wird. Das iſt der Rechtsſtreit ſeit der Revo¬
lution.
Ihr wollt gegen die Andern „im Rechte ſein“. Das
könnt Ihr nicht, gegen ſie bleibt Ihr ewig „im Unrecht“;
denn ſie wären ja eure Gegner nicht, wenn ſie nicht auch in
„ihrem Rechte“ wären: ſie werden Euch ſtets „Unrecht geben“.
Aber euer Recht iſt gegen das der Anderen ein höheres, größe¬
res, mächtigeres, nicht ſo? Mit Nichten! Euer Recht iſt
nicht mächtiger, wenn Ihr nicht mächtiger ſeid. Haben chine¬
ſiſche Unterthanen ein Recht auf Freiheit? Schenkt ſie ihnen
doch, und ſeht dann zu, wie ſehr Ihr Euch darin vergriffen
habt: weil ſie die Freiheit nicht zu nutzen wiſſen, darum ha¬
ben ſie kein Recht darauf, oder deutlicher, weil ſie die Freiheit
nicht haben, haben ſie eben das Recht dazu nicht. Kinder ha¬
ben kein Recht auf die Mündigkeit, weil ſie nicht mündig ſind,
d. h. weil ſie Kinder ſind. Völker, die ſich in Unmündigkeit
halten laſſen, haben kein Recht auf Mündigkeit; hörten ſie auf,
unmündig zu ſein, dann erſt hätten ſie das Recht, mündig zu
ſein. Dieß heißt nichts anderes, als: was Du zu ſein die
Macht haſt, dazu haſt Du das Recht. Ich leite alles Recht
und alle Berechtigung aus Mir her; Ich bin zu allem berech¬
tigt, deſſen Ich mächtig bin. Ich bin berechtigt, Zeus, Je¬
hova, Gott u. ſ. w. zu ſtürzen, wenn Ich's kann; kann
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/256>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.