Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Frauen, welche ausnahmsweise in das Thal hinein heirathen, am Ende selbst nichts anders übrig bleibt, als mit Geduld und Ausdauer das Grödnerische zu lernen. Sie, die Grödner, machen auch gar kein Geheimniß aus dieser Vorliebe. Warum, sagte mir einer, warum sollten wir diese Sprache aufgeben und ist so gut für uns gewesen und ist noch gut, wenn wir nach Wälschland gehen und haben sie so gern! Uebrigens ist wegen der Nähe des deutschen Gebietes, durch den vielfältigen Verkehr damit, durch die geschäftlichen Beziehungen zum Landgericht in Castelruth, wo alles deutsch verhandelt wird, endlich durch die Einrichtung, daß die Kinder gewöhnlich auf ein paar Jahre zum Schulbesuche nach Klausen und Bozen geschickt werden, die erwachsenen Jungen und Mädchen aber, die bis dahin säumig gewesen, sich bei deutschen Bauern eindingen, durch all das ist unsre Sprache in dem Thale so einheimisch, daß sie besser oder schlechter fast Jedermann zu sprechen weiß, so daß vielleicht nur im innersten Orte des Thales, in St. Maria noch einzelne zu finden, die dessen unkundig sind. Wenn die Kenntniß des Deutschen ihnen die Aussicht nach Norden öffnet, so haben sie in ihrer Muttersprache den Schlüssel zum Süden und sie stehen also in der Mitte zwischen zwei fremden Gebieten zum Verständniß beider gewappnet. Allerdings machen sie sich im Italienischen bälder heimisch als im Deutschen, und daher ist es ihnen auch in der Regel geläufiger, als dieses.

Auf seltsame Weise wird in diesen Thälern der Schulunterricht betrieben. Die Kinder lernen lesen und schreiben, aber nicht ladinisch, welches ja keine Schriftsprache, sondern deutsch und italienisch. Sie werden so weit gebracht, um Texte in diesen beiden Sprachen herunterlesen und nach Angabe schreiben zu können, wissen aber nicht, was das bedeutet. Die Lehrer trachten zwar, ihnen so viel möglich von dem Verständniß beizubringen, aber wie sie selbst gestehen, hat dieß nur im Italienischen einigen Erfolg. Am meisten Sorgfalt wird billigerweise auf Verdeutlichung des Katechismus gewendet, dessen Sprache italienisch ist. Wenn nun die Jungen und Mädchen im reifern Alter in deutsches Gebiet oder nach Italien

Frauen, welche ausnahmsweise in das Thal hinein heirathen, am Ende selbst nichts anders übrig bleibt, als mit Geduld und Ausdauer das Grödnerische zu lernen. Sie, die Grödner, machen auch gar kein Geheimniß aus dieser Vorliebe. Warum, sagte mir einer, warum sollten wir diese Sprache aufgeben und ist so gut für uns gewesen und ist noch gut, wenn wir nach Wälschland gehen und haben sie so gern! Uebrigens ist wegen der Nähe des deutschen Gebietes, durch den vielfältigen Verkehr damit, durch die geschäftlichen Beziehungen zum Landgericht in Castelruth, wo alles deutsch verhandelt wird, endlich durch die Einrichtung, daß die Kinder gewöhnlich auf ein paar Jahre zum Schulbesuche nach Klausen und Bozen geschickt werden, die erwachsenen Jungen und Mädchen aber, die bis dahin säumig gewesen, sich bei deutschen Bauern eindingen, durch all das ist unsre Sprache in dem Thale so einheimisch, daß sie besser oder schlechter fast Jedermann zu sprechen weiß, so daß vielleicht nur im innersten Orte des Thales, in St. Maria noch einzelne zu finden, die dessen unkundig sind. Wenn die Kenntniß des Deutschen ihnen die Aussicht nach Norden öffnet, so haben sie in ihrer Muttersprache den Schlüssel zum Süden und sie stehen also in der Mitte zwischen zwei fremden Gebieten zum Verständniß beider gewappnet. Allerdings machen sie sich im Italienischen bälder heimisch als im Deutschen, und daher ist es ihnen auch in der Regel geläufiger, als dieses.

Auf seltsame Weise wird in diesen Thälern der Schulunterricht betrieben. Die Kinder lernen lesen und schreiben, aber nicht ladinisch, welches ja keine Schriftsprache, sondern deutsch und italienisch. Sie werden so weit gebracht, um Texte in diesen beiden Sprachen herunterlesen und nach Angabe schreiben zu können, wissen aber nicht, was das bedeutet. Die Lehrer trachten zwar, ihnen so viel möglich von dem Verständniß beizubringen, aber wie sie selbst gestehen, hat dieß nur im Italienischen einigen Erfolg. Am meisten Sorgfalt wird billigerweise auf Verdeutlichung des Katechismus gewendet, dessen Sprache italienisch ist. Wenn nun die Jungen und Mädchen im reifern Alter in deutsches Gebiet oder nach Italien

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0446" n="442"/>
Frauen, welche ausnahmsweise in das Thal hinein heirathen, am Ende selbst nichts anders übrig bleibt, als mit Geduld und Ausdauer das Grödnerische zu lernen. Sie, die Grödner, machen auch gar kein Geheimniß aus dieser Vorliebe. Warum, sagte mir einer, warum sollten wir diese Sprache aufgeben und ist so gut für uns gewesen und ist noch gut, wenn wir nach Wälschland gehen und haben sie so gern! Uebrigens ist wegen der Nähe des deutschen Gebietes, durch den vielfältigen Verkehr damit, durch die geschäftlichen Beziehungen zum Landgericht in Castelruth, wo alles deutsch verhandelt wird, endlich durch die Einrichtung, daß die Kinder gewöhnlich auf ein paar Jahre zum Schulbesuche nach Klausen und Bozen geschickt werden, die erwachsenen Jungen und Mädchen aber, die bis dahin säumig gewesen, sich bei deutschen Bauern eindingen, durch all das ist unsre Sprache in dem Thale so einheimisch, daß sie besser oder schlechter fast Jedermann zu sprechen weiß, so daß vielleicht nur im innersten Orte des Thales, in St. Maria noch einzelne zu finden, die dessen unkundig sind. Wenn die Kenntniß des Deutschen ihnen die Aussicht nach Norden öffnet, so haben sie in ihrer Muttersprache den Schlüssel zum Süden und sie stehen also in der Mitte zwischen zwei fremden Gebieten zum Verständniß beider gewappnet. Allerdings machen sie sich im Italienischen bälder heimisch als im Deutschen, und daher ist es ihnen auch in der Regel geläufiger, als dieses.</p>
        <p>Auf seltsame Weise wird in diesen Thälern der Schulunterricht betrieben. Die Kinder lernen lesen und schreiben, aber nicht ladinisch, welches ja keine Schriftsprache, sondern deutsch und italienisch. Sie werden so weit gebracht, um Texte in diesen beiden Sprachen herunterlesen und nach Angabe schreiben zu können, wissen aber nicht, was das bedeutet. Die Lehrer trachten zwar, ihnen so viel möglich von dem Verständniß beizubringen, aber wie sie selbst gestehen, hat dieß nur im Italienischen einigen Erfolg. Am meisten Sorgfalt wird billigerweise auf Verdeutlichung des Katechismus gewendet, dessen Sprache italienisch ist. Wenn nun die Jungen und Mädchen im reifern Alter in deutsches Gebiet oder nach Italien
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[442/0446] Frauen, welche ausnahmsweise in das Thal hinein heirathen, am Ende selbst nichts anders übrig bleibt, als mit Geduld und Ausdauer das Grödnerische zu lernen. Sie, die Grödner, machen auch gar kein Geheimniß aus dieser Vorliebe. Warum, sagte mir einer, warum sollten wir diese Sprache aufgeben und ist so gut für uns gewesen und ist noch gut, wenn wir nach Wälschland gehen und haben sie so gern! Uebrigens ist wegen der Nähe des deutschen Gebietes, durch den vielfältigen Verkehr damit, durch die geschäftlichen Beziehungen zum Landgericht in Castelruth, wo alles deutsch verhandelt wird, endlich durch die Einrichtung, daß die Kinder gewöhnlich auf ein paar Jahre zum Schulbesuche nach Klausen und Bozen geschickt werden, die erwachsenen Jungen und Mädchen aber, die bis dahin säumig gewesen, sich bei deutschen Bauern eindingen, durch all das ist unsre Sprache in dem Thale so einheimisch, daß sie besser oder schlechter fast Jedermann zu sprechen weiß, so daß vielleicht nur im innersten Orte des Thales, in St. Maria noch einzelne zu finden, die dessen unkundig sind. Wenn die Kenntniß des Deutschen ihnen die Aussicht nach Norden öffnet, so haben sie in ihrer Muttersprache den Schlüssel zum Süden und sie stehen also in der Mitte zwischen zwei fremden Gebieten zum Verständniß beider gewappnet. Allerdings machen sie sich im Italienischen bälder heimisch als im Deutschen, und daher ist es ihnen auch in der Regel geläufiger, als dieses. Auf seltsame Weise wird in diesen Thälern der Schulunterricht betrieben. Die Kinder lernen lesen und schreiben, aber nicht ladinisch, welches ja keine Schriftsprache, sondern deutsch und italienisch. Sie werden so weit gebracht, um Texte in diesen beiden Sprachen herunterlesen und nach Angabe schreiben zu können, wissen aber nicht, was das bedeutet. Die Lehrer trachten zwar, ihnen so viel möglich von dem Verständniß beizubringen, aber wie sie selbst gestehen, hat dieß nur im Italienischen einigen Erfolg. Am meisten Sorgfalt wird billigerweise auf Verdeutlichung des Katechismus gewendet, dessen Sprache italienisch ist. Wenn nun die Jungen und Mädchen im reifern Alter in deutsches Gebiet oder nach Italien

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-05T13:27:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-05T13:27:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche werden als Halbgeviertstriche wiedergegeben.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/446
Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/446>, abgerufen am 23.11.2024.