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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ARTIC. VI. SECT. XI.
dasselbige empfinden würden/ oder wo sie solche ängsten gefühlet/ wenig be-
gierde mehr darnach trügen. Was aber die ursach ihrer anfechtung selbs an-
langt/ achte ich sie nicht eine zu seyn/ sondern theils natürlich/ theils geistlich.
Natürliche ursach (wie ich vernehme/ daß auch Medici über sie zu rath gefragt
worden) wird wol seyn/ entweder insgesamt ein melancholisches und schwer-
müthiges temperament, oder einige miltz-beschwerung/ dazu auch bey weibs-
personen einige mutter-zustände kommen können: Daher ihre natur zweifels-
frey itzo allezeit zu einiger schwermuth und angsthafftigkeit wird geneigt seyn/
also daß sie entweder niemal auch in leiblichen dingen zu einer kräfftigen em-
pfindlichen freude komme/ oder wo dieses geschiehet/ gemeiniglich alsdann de-
sto mehrere schwermuth darauff folge. Wo nun diese naturen sich finden/
da ist der zunder vorhanden/ der ieden funcken der angst geschwind fasset: und
wird allezeit bey solchen leuten geschehen/ daß sie etwas haben müssen/ in wel-
chem ihre betrübnüß und angst sich übe. Was leute anlangt/ welche gantz
weltlich gesinnet sind/ da wird gemeiniglich geitz und furcht des mangels das-
jenige seyn/ das sie qvälet/ und wol gar zum selbsmord treibet/ oder es wird
sich etwas anderst/ womit sie sonderlich der welt verhafftet sind/ hervor thun/
daran sie ihre folter haben müssen/ offtmals so starck/ daß auch der verstand
darüber noth leidet. Es offenbahret sich aber in solchem zustand gemeinig-
lich/ was vorher in ihrem hertzen verborgen/ und dessen vornehmste absicht
gewesen. Wo dann einige sind/ denen das geistliche ihre vornehmste sorge
gewesen/ wird sichs insgemein zeigen/ daß bey denselben etwas geistliches
die materia ihrer angst werden muß/ durch welches feuer sie der HErr läutert:
weswegen alsobalden wo einige mit einer art dergleichen ängsten betreten wer-
den/ solches auffs wenigste stracks ein zeugnüß ist/ daß ihnen das geistliche
nicht wenig angelegen seye: Daher ich immer die beste gedancken von solchen
angefochtenen/ eben um der anfechtung selbs willen/ fasse.

Was dann die geistlicheursachen anlanget/ mögen dero unterschiedliche seyn.
1. Die hochhaltung des heiligen Abendmahls an sich selbs/ in erwegung nicht al-
lein der theueren darinnen anerbottenen güter/ sondern vornehmlich wegen der ge-
fahr der unwürdigen niessung/ welche die seele alsbald mit einem starcken eindruck
vorstellet. 2. Daß die liebe person sich gewehnet haben muß/ solches liebesmahl
des HErren nicht so wohl anzusehen/ wie der HErr die sünder und krancken darzu
ruffe/ als nach der angehengten drohung/ gegen dessen mißbrauch; also/ daß ob ich
wohl nicht zweifflen will/ daß sie das Evangelium von diesem gnadenmahl verste-
hen werde/ sie doch immermehr zuneigung findet zu der gleichsam gesetzlichen als E-
vangelischen betrachtung desselbigen: Also ob sie wohl befragt von der krafft des
heiligen abendmahls erkennen und bekennen wird/ daß dieselbe nicht von uns her-
komme/ sondern von der gnade unsers Heilandes und seines leibs und bluts selbs/

die
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ARTIC. VI. SECT. XI.
daſſelbige empfinden wuͤrden/ oder wo ſie ſolche aͤngſten gefuͤhlet/ wenig be-
gierde mehr darnach truͤgen. Was aber die urſach ihrer anfechtung ſelbs an-
langt/ achte ich ſie nicht eine zu ſeyn/ ſondern theils natuͤrlich/ theils geiſtlich.
Natuͤrliche urſach (wie ich vernehme/ daß auch Medici uͤber ſie zu rath gefragt
worden) wird wol ſeyn/ entweder insgeſamt ein melancholiſches und ſchwer-
muͤthiges temperament, oder einige miltz-beſchwerung/ dazu auch bey weibs-
perſonen einige mutter-zuſtaͤnde kommen koͤnnen: Daher ihre natur zweifels-
frey itzo allezeit zu einiger ſchwermuth und angſthafftigkeit wird geneigt ſeyn/
alſo daß ſie entweder niemal auch in leiblichen dingen zu einer kraͤfftigen em-
pfindlichen freude komme/ oder wo dieſes geſchiehet/ gemeiniglich alsdann de-
ſto mehrere ſchwermuth darauff folge. Wo nun dieſe naturen ſich finden/
da iſt der zunder vorhanden/ der ieden funcken der angſt geſchwind faſſet: und
wird allezeit bey ſolchen leuten geſchehen/ daß ſie etwas haben muͤſſen/ in wel-
chem ihre betruͤbnuͤß und angſt ſich uͤbe. Was leute anlangt/ welche gantz
weltlich geſinnet ſind/ da wird gemeiniglich geitz und furcht des mangels das-
jenige ſeyn/ das ſie qvaͤlet/ und wol gar zum ſelbsmord treibet/ oder es wird
ſich etwas anderſt/ womit ſie ſonderlich der welt verhafftet ſind/ hervor thun/
daran ſie ihre folter haben muͤſſen/ offtmals ſo ſtarck/ daß auch der verſtand
daruͤber noth leidet. Es offenbahret ſich aber in ſolchem zuſtand gemeinig-
lich/ was vorher in ihrem hertzen verborgen/ und deſſen vornehmſte abſicht
geweſen. Wo dann einige ſind/ denen das geiſtliche ihre vornehmſte ſorge
geweſen/ wird ſichs insgemein zeigen/ daß bey denſelben etwas geiſtliches
die materia ihrer angſt werden muß/ durch welches feuer ſie der HErr laͤutert:
weswegen alſobalden wo einige mit einer art dergleichen aͤngſten betreten wer-
den/ ſolches auffs wenigſte ſtracks ein zeugnuͤß iſt/ daß ihnen das geiſtliche
nicht wenig angelegen ſeye: Daher ich immer die beſte gedancken von ſolchen
angefochtenen/ eben um der anfechtung ſelbs willen/ faſſe.

Was dann die geiſtlicheurſachen anlanget/ moͤgen dero unterſchiedliche ſeyn.
1. Die hochhaltung des heiligen Abendmahls an ſich ſelbs/ in erwegung nicht al-
lein der theueren darinnen anerbottenen guͤter/ ſondern vornehmlich wegen der ge-
fahr der unwuͤrdigen nieſſung/ welche die ſeele alsbald mit einem ſtarcken eindruck
vorſtellet. 2. Daß die liebe perſon ſich gewehnet haben muß/ ſolches liebesmahl
des HErren nicht ſo wohl anzuſehen/ wie der HErr die ſuͤnder und krancken darzu
ruffe/ als nach der angehengten drohung/ gegen deſſen mißbrauch; alſo/ daß ob ich
wohl nicht zweifflen will/ daß ſie das Evangelium von dieſem gnadenmahl verſte-
hen werde/ ſie doch immermehr zuneigung findet zu der gleichſam geſetzlichen als E-
vangeliſchen betrachtung deſſelbigen: Alſo ob ſie wohl befragt von der krafft des
heiligen abendmahls erkennen und bekennen wird/ daß dieſelbe nicht von uns her-
komme/ ſondern von der gnade unſers Heilandes und ſeines leibs und bluts ſelbs/

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[119[219]/1019] ARTIC. VI. SECT. XI. daſſelbige empfinden wuͤrden/ oder wo ſie ſolche aͤngſten gefuͤhlet/ wenig be- gierde mehr darnach truͤgen. Was aber die urſach ihrer anfechtung ſelbs an- langt/ achte ich ſie nicht eine zu ſeyn/ ſondern theils natuͤrlich/ theils geiſtlich. Natuͤrliche urſach (wie ich vernehme/ daß auch Medici uͤber ſie zu rath gefragt worden) wird wol ſeyn/ entweder insgeſamt ein melancholiſches und ſchwer- muͤthiges temperament, oder einige miltz-beſchwerung/ dazu auch bey weibs- perſonen einige mutter-zuſtaͤnde kommen koͤnnen: Daher ihre natur zweifels- frey itzo allezeit zu einiger ſchwermuth und angſthafftigkeit wird geneigt ſeyn/ alſo daß ſie entweder niemal auch in leiblichen dingen zu einer kraͤfftigen em- pfindlichen freude komme/ oder wo dieſes geſchiehet/ gemeiniglich alsdann de- ſto mehrere ſchwermuth darauff folge. Wo nun dieſe naturen ſich finden/ da iſt der zunder vorhanden/ der ieden funcken der angſt geſchwind faſſet: und wird allezeit bey ſolchen leuten geſchehen/ daß ſie etwas haben muͤſſen/ in wel- chem ihre betruͤbnuͤß und angſt ſich uͤbe. Was leute anlangt/ welche gantz weltlich geſinnet ſind/ da wird gemeiniglich geitz und furcht des mangels das- jenige ſeyn/ das ſie qvaͤlet/ und wol gar zum ſelbsmord treibet/ oder es wird ſich etwas anderſt/ womit ſie ſonderlich der welt verhafftet ſind/ hervor thun/ daran ſie ihre folter haben muͤſſen/ offtmals ſo ſtarck/ daß auch der verſtand daruͤber noth leidet. Es offenbahret ſich aber in ſolchem zuſtand gemeinig- lich/ was vorher in ihrem hertzen verborgen/ und deſſen vornehmſte abſicht geweſen. Wo dann einige ſind/ denen das geiſtliche ihre vornehmſte ſorge geweſen/ wird ſichs insgemein zeigen/ daß bey denſelben etwas geiſtliches die materia ihrer angſt werden muß/ durch welches feuer ſie der HErr laͤutert: weswegen alſobalden wo einige mit einer art dergleichen aͤngſten betreten wer- den/ ſolches auffs wenigſte ſtracks ein zeugnuͤß iſt/ daß ihnen das geiſtliche nicht wenig angelegen ſeye: Daher ich immer die beſte gedancken von ſolchen angefochtenen/ eben um der anfechtung ſelbs willen/ faſſe. Was dann die geiſtlicheurſachen anlanget/ moͤgen dero unterſchiedliche ſeyn. 1. Die hochhaltung des heiligen Abendmahls an ſich ſelbs/ in erwegung nicht al- lein der theueren darinnen anerbottenen guͤter/ ſondern vornehmlich wegen der ge- fahr der unwuͤrdigen nieſſung/ welche die ſeele alsbald mit einem ſtarcken eindruck vorſtellet. 2. Daß die liebe perſon ſich gewehnet haben muß/ ſolches liebesmahl des HErren nicht ſo wohl anzuſehen/ wie der HErr die ſuͤnder und krancken darzu ruffe/ als nach der angehengten drohung/ gegen deſſen mißbrauch; alſo/ daß ob ich wohl nicht zweifflen will/ daß ſie das Evangelium von dieſem gnadenmahl verſte- hen werde/ ſie doch immermehr zuneigung findet zu der gleichſam geſetzlichen als E- vangeliſchen betrachtung deſſelbigen: Alſo ob ſie wohl befragt von der krafft des heiligen abendmahls erkennen und bekennen wird/ daß dieſelbe nicht von uns her- komme/ ſondern von der gnade unſers Heilandes und ſeines leibs und bluts ſelbs/ die e e 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 119[219]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/1019>, abgerufen am 23.11.2024.