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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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auf den unser Handeln führe, zu begnügen, sondern für jeden eine
noch weitere Begründung in einem noch darüber gelegenen zu suchen?
Es tritt hinzu, dass kein erreichter Gewinn oder Zustand jene endgültige
Befriedigung gewährt, die mit dem Begriff eines Endzwecks logisch ver-
bunden ist, dass vielmehr jeder erreichte Punkt eigentlich nur als Durch-
gangsstadium zu einem darüber hinaus liegenden Definitivum empfunden
wird -- im Gebiete des Sinnlichen, weil dieses in ununterbrochenem
Fluss ist, der an jedes Geniessen ein neues Bedürfen kontinuierlich
ansetzt, im Gebiet des Idealen, weil die Forderungen desselben durch
keine empirische Wirklichkeit gedeckt werden. Nimmt man dies
alles zusammen, so scheint das, was wir den Endzweck nennen, über
den teleologischen Reihen zu schweben, zu diesen sich verhaltend wie
der Horizont zu den irdischen Wegen, die immer auf ihn zugehen,
aber ihn nach der längsten Wanderung nicht näher als an ihrem Be-
ginn vor sich haben. Das will nicht besagen, dass der Endzweck etwa
nur unerreichbar, sondern dass er eine überhaupt nicht mit einem
Inhalt zu erfüllende Vorstellungsform ist. Die teleologischen Reihen,
soweit sie sich überhaupt auf irdisch Realisierbares richten, kommen
nicht nur ihrer Verwirklichung, sondern schon ihrer inneren Struktur
nach nicht zum Stehen, und statt des festen Punktes, den eine
jede derselben in ihrem Endzweck zu besitzen schien, bietet sich
dieser grade nur als das heuristische, regulative Prinzip dar: dass
man kein einzelnes Willensziel für das letzte ansehe, sondern jedem
die Möglichkeit offen halte, die Stufe zu einem höheren zu werden.
Der Endzweck ist sozusagen nur eine Funktion oder eine Forderung;
als Begriff angesehen ist er nichts als die Verdichtung der Thatsache,
die er zunächst grade aufzuheben schien: dass der Weg des mensch-
lichen Wollens und Wertens ins Unendliche führt und kein auf ihm
erreichter Punkt sich dagegen wehren kann, so sehr er gleichsam von
vorn gesehen als Definitivum erschien, von rückwärts gesehen als blosses
Mittel zu gelten. Damit rückt jenes Aufsteigen der Mittel zu der
Würde des Endzwecks in eine viel weniger irrationelle Kategorie. Für
den einzelnen Fall zwar ist die Irrationalität nicht wegzuräumen, aber
die Gesamtheit der teleologischen Reihen trägt ein anderes Wesen als
die beschränkten Abschnitte: dass die Mittel zu Zwecken werden, recht-
fertigt sich dadurch, dass im letzten Grunde auch die Zwecke nur
Mittel sind. In den endlosen Reihen möglicher Wollungen, sich ent-
wickelnder Handlungen und Befriedigungen ergreifen wir fast willkür-
lich ein Moment, um es zum Endzweck zu designieren, zu dem alles
Vorhergehende nur Mittel sei, während ein objektiver Beobachter oder
wir selbst später die eigentlich wirksamen und gültigen Zwecke weit

auf den unser Handeln führe, zu begnügen, sondern für jeden eine
noch weitere Begründung in einem noch darüber gelegenen zu suchen?
Es tritt hinzu, daſs kein erreichter Gewinn oder Zustand jene endgültige
Befriedigung gewährt, die mit dem Begriff eines Endzwecks logisch ver-
bunden ist, daſs vielmehr jeder erreichte Punkt eigentlich nur als Durch-
gangsstadium zu einem darüber hinaus liegenden Definitivum empfunden
wird — im Gebiete des Sinnlichen, weil dieses in ununterbrochenem
Fluſs ist, der an jedes Genieſsen ein neues Bedürfen kontinuierlich
ansetzt, im Gebiet des Idealen, weil die Forderungen desselben durch
keine empirische Wirklichkeit gedeckt werden. Nimmt man dies
alles zusammen, so scheint das, was wir den Endzweck nennen, über
den teleologischen Reihen zu schweben, zu diesen sich verhaltend wie
der Horizont zu den irdischen Wegen, die immer auf ihn zugehen,
aber ihn nach der längsten Wanderung nicht näher als an ihrem Be-
ginn vor sich haben. Das will nicht besagen, daſs der Endzweck etwa
nur unerreichbar, sondern daſs er eine überhaupt nicht mit einem
Inhalt zu erfüllende Vorstellungsform ist. Die teleologischen Reihen,
soweit sie sich überhaupt auf irdisch Realisierbares richten, kommen
nicht nur ihrer Verwirklichung, sondern schon ihrer inneren Struktur
nach nicht zum Stehen, und statt des festen Punktes, den eine
jede derselben in ihrem Endzweck zu besitzen schien, bietet sich
dieser grade nur als das heuristische, regulative Prinzip dar: daſs
man kein einzelnes Willensziel für das letzte ansehe, sondern jedem
die Möglichkeit offen halte, die Stufe zu einem höheren zu werden.
Der Endzweck ist sozusagen nur eine Funktion oder eine Forderung;
als Begriff angesehen ist er nichts als die Verdichtung der Thatsache,
die er zunächst grade aufzuheben schien: daſs der Weg des mensch-
lichen Wollens und Wertens ins Unendliche führt und kein auf ihm
erreichter Punkt sich dagegen wehren kann, so sehr er gleichsam von
vorn gesehen als Definitivum erschien, von rückwärts gesehen als bloſses
Mittel zu gelten. Damit rückt jenes Aufsteigen der Mittel zu der
Würde des Endzwecks in eine viel weniger irrationelle Kategorie. Für
den einzelnen Fall zwar ist die Irrationalität nicht wegzuräumen, aber
die Gesamtheit der teleologischen Reihen trägt ein anderes Wesen als
die beschränkten Abschnitte: daſs die Mittel zu Zwecken werden, recht-
fertigt sich dadurch, daſs im letzten Grunde auch die Zwecke nur
Mittel sind. In den endlosen Reihen möglicher Wollungen, sich ent-
wickelnder Handlungen und Befriedigungen ergreifen wir fast willkür-
lich ein Moment, um es zum Endzweck zu designieren, zu dem alles
Vorhergehende nur Mittel sei, während ein objektiver Beobachter oder
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[221/0245] auf den unser Handeln führe, zu begnügen, sondern für jeden eine noch weitere Begründung in einem noch darüber gelegenen zu suchen? Es tritt hinzu, daſs kein erreichter Gewinn oder Zustand jene endgültige Befriedigung gewährt, die mit dem Begriff eines Endzwecks logisch ver- bunden ist, daſs vielmehr jeder erreichte Punkt eigentlich nur als Durch- gangsstadium zu einem darüber hinaus liegenden Definitivum empfunden wird — im Gebiete des Sinnlichen, weil dieses in ununterbrochenem Fluſs ist, der an jedes Genieſsen ein neues Bedürfen kontinuierlich ansetzt, im Gebiet des Idealen, weil die Forderungen desselben durch keine empirische Wirklichkeit gedeckt werden. Nimmt man dies alles zusammen, so scheint das, was wir den Endzweck nennen, über den teleologischen Reihen zu schweben, zu diesen sich verhaltend wie der Horizont zu den irdischen Wegen, die immer auf ihn zugehen, aber ihn nach der längsten Wanderung nicht näher als an ihrem Be- ginn vor sich haben. Das will nicht besagen, daſs der Endzweck etwa nur unerreichbar, sondern daſs er eine überhaupt nicht mit einem Inhalt zu erfüllende Vorstellungsform ist. Die teleologischen Reihen, soweit sie sich überhaupt auf irdisch Realisierbares richten, kommen nicht nur ihrer Verwirklichung, sondern schon ihrer inneren Struktur nach nicht zum Stehen, und statt des festen Punktes, den eine jede derselben in ihrem Endzweck zu besitzen schien, bietet sich dieser grade nur als das heuristische, regulative Prinzip dar: daſs man kein einzelnes Willensziel für das letzte ansehe, sondern jedem die Möglichkeit offen halte, die Stufe zu einem höheren zu werden. Der Endzweck ist sozusagen nur eine Funktion oder eine Forderung; als Begriff angesehen ist er nichts als die Verdichtung der Thatsache, die er zunächst grade aufzuheben schien: daſs der Weg des mensch- lichen Wollens und Wertens ins Unendliche führt und kein auf ihm erreichter Punkt sich dagegen wehren kann, so sehr er gleichsam von vorn gesehen als Definitivum erschien, von rückwärts gesehen als bloſses Mittel zu gelten. Damit rückt jenes Aufsteigen der Mittel zu der Würde des Endzwecks in eine viel weniger irrationelle Kategorie. Für den einzelnen Fall zwar ist die Irrationalität nicht wegzuräumen, aber die Gesamtheit der teleologischen Reihen trägt ein anderes Wesen als die beschränkten Abschnitte: daſs die Mittel zu Zwecken werden, recht- fertigt sich dadurch, daſs im letzten Grunde auch die Zwecke nur Mittel sind. In den endlosen Reihen möglicher Wollungen, sich ent- wickelnder Handlungen und Befriedigungen ergreifen wir fast willkür- lich ein Moment, um es zum Endzweck zu designieren, zu dem alles Vorhergehende nur Mittel sei, während ein objektiver Beobachter oder wir selbst später die eigentlich wirksamen und gültigen Zwecke weit

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/245>, abgerufen am 29.03.2024.