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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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greifen der Wirklichkeit in das Subjekt hinein besteht: einmal in der
Antizipation ihres Inhaltes in der Form der subjektiven Absicht und
zweitens in der Rückwirksamkeit ihrer Realisierung in der Form eines
subjektiven Gefühls. Aus diesen Bestimmungen entwickelt sich die
Rolle des Zwecks im Lebenssystem.

Es geht zunächst daraus hervor, dass sogenannte unmittelbare
Zwecke einen Widerspruch gegen den Begriff des Zweckes selbst be-
deuten. Wenn der Zweck eine Modifikation innerhalb des objektiven
Seins bedeutet, so kann dieselbe doch nur durch ein Thun realisiert
werden, welches die innere Zwecksetzung mit dem ihr äusseren Dasein
vermittelt; unser Handeln ist die Brücke, über welche der Zweckinhalt
aus seiner psychischen Form in die Wirklichkeitsform übergeht. Der
Zweck ist seinem Wesen nach an die Thatsache des Mittels gebunden.
Hierdurch unterscheidet er sich einerseits vom blossen Mechanismus --
und seinem psychischen Korrelat, dem Trieb --, in dem die Energien
jedes Momentes sich in dem unmittelbar folgenden vollständig ent-
laden, ohne über diesen hinaus auf einen nächsten zu weisen; welcher
nächste vielmehr nur von dem unmittelbar vorhergehenden ressortiert.
Die Formel des Zweckes ist dreigliedrig, die des Mechanismus nur
zweigliedrig. Andrerseits unterscheidet sich der Zweck durch sein An-
gewiesensein auf das Mittel auch von demjenigen Handeln, das man
sich als das göttliche denken mag. Für die Macht eines Gottes kann
unmöglich ein zeitliches oder sachliches Intervall zwischen dem Willens-
gedanken und seiner Verwirklichung bestehen. Das menschliche
Handeln, zwischen diese beiden Momente eingeschoben, ist nicht als
das Überwinden von Hemmungen, die für einen Gott nicht bestehen
können; wenn wir ihn nicht nach dem Bilde irdischer Unvollkommen-
heit denken, so muss sein Wille unmittelbar als solcher schon Realität
des Gewollten sein. Von einem Endzweck, den Gott mit der Welt
hätte, kann man nur in einem sehr modifizierten Sinne reden, nämlich
als dem zeitlich letzten Zustand, der ihre Schicksale abschliesst. Ver-
hielte sich aber für den göttlichen Ratschluss jener zu diesen vorher-
gehenden, wie sich ein menschlicher Zweck zu seinen Mitteln verhält:
nämlich als das allein Wertvolle und Gewollte -- so wäre nicht ab-
zusehen, weshalb Gott ihn nicht unmittelbar und mit Übergehung jener
wertlosen und hemmenden Zwischenstadien sollte herbeigeführt haben;
denn er bedarf doch nicht der technischen Mittel, wie wir, die wir der
selbständigen Welt mit sehr beschränkter, auf Kompromisse mit ihren
Hemmungen und auf Allmählichkeit des Durchsetzens angewiesenen
Kräften gegenüberstehen. Oder anders ausgedrückt: für Gott kann es
keinen Zweck geben, weil es für ihn keine Mittel giebt.

greifen der Wirklichkeit in das Subjekt hinein besteht: einmal in der
Antizipation ihres Inhaltes in der Form der subjektiven Absicht und
zweitens in der Rückwirksamkeit ihrer Realisierung in der Form eines
subjektiven Gefühls. Aus diesen Bestimmungen entwickelt sich die
Rolle des Zwecks im Lebenssystem.

Es geht zunächst daraus hervor, daſs sogenannte unmittelbare
Zwecke einen Widerspruch gegen den Begriff des Zweckes selbst be-
deuten. Wenn der Zweck eine Modifikation innerhalb des objektiven
Seins bedeutet, so kann dieselbe doch nur durch ein Thun realisiert
werden, welches die innere Zwecksetzung mit dem ihr äuſseren Dasein
vermittelt; unser Handeln ist die Brücke, über welche der Zweckinhalt
aus seiner psychischen Form in die Wirklichkeitsform übergeht. Der
Zweck ist seinem Wesen nach an die Thatsache des Mittels gebunden.
Hierdurch unterscheidet er sich einerseits vom bloſsen Mechanismus —
und seinem psychischen Korrelat, dem Trieb —, in dem die Energien
jedes Momentes sich in dem unmittelbar folgenden vollständig ent-
laden, ohne über diesen hinaus auf einen nächsten zu weisen; welcher
nächste vielmehr nur von dem unmittelbar vorhergehenden ressortiert.
Die Formel des Zweckes ist dreigliedrig, die des Mechanismus nur
zweigliedrig. Andrerseits unterscheidet sich der Zweck durch sein An-
gewiesensein auf das Mittel auch von demjenigen Handeln, das man
sich als das göttliche denken mag. Für die Macht eines Gottes kann
unmöglich ein zeitliches oder sachliches Intervall zwischen dem Willens-
gedanken und seiner Verwirklichung bestehen. Das menschliche
Handeln, zwischen diese beiden Momente eingeschoben, ist nicht als
das Überwinden von Hemmungen, die für einen Gott nicht bestehen
können; wenn wir ihn nicht nach dem Bilde irdischer Unvollkommen-
heit denken, so muſs sein Wille unmittelbar als solcher schon Realität
des Gewollten sein. Von einem Endzweck, den Gott mit der Welt
hätte, kann man nur in einem sehr modifizierten Sinne reden, nämlich
als dem zeitlich letzten Zustand, der ihre Schicksale abschlieſst. Ver-
hielte sich aber für den göttlichen Ratschluſs jener zu diesen vorher-
gehenden, wie sich ein menschlicher Zweck zu seinen Mitteln verhält:
nämlich als das allein Wertvolle und Gewollte — so wäre nicht ab-
zusehen, weshalb Gott ihn nicht unmittelbar und mit Übergehung jener
wertlosen und hemmenden Zwischenstadien sollte herbeigeführt haben;
denn er bedarf doch nicht der technischen Mittel, wie wir, die wir der
selbständigen Welt mit sehr beschränkter, auf Kompromisse mit ihren
Hemmungen und auf Allmählichkeit des Durchsetzens angewiesenen
Kräften gegenüberstehen. Oder anders ausgedrückt: für Gott kann es
keinen Zweck geben, weil es für ihn keine Mittel giebt.

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[186/0210] greifen der Wirklichkeit in das Subjekt hinein besteht: einmal in der Antizipation ihres Inhaltes in der Form der subjektiven Absicht und zweitens in der Rückwirksamkeit ihrer Realisierung in der Form eines subjektiven Gefühls. Aus diesen Bestimmungen entwickelt sich die Rolle des Zwecks im Lebenssystem. Es geht zunächst daraus hervor, daſs sogenannte unmittelbare Zwecke einen Widerspruch gegen den Begriff des Zweckes selbst be- deuten. Wenn der Zweck eine Modifikation innerhalb des objektiven Seins bedeutet, so kann dieselbe doch nur durch ein Thun realisiert werden, welches die innere Zwecksetzung mit dem ihr äuſseren Dasein vermittelt; unser Handeln ist die Brücke, über welche der Zweckinhalt aus seiner psychischen Form in die Wirklichkeitsform übergeht. Der Zweck ist seinem Wesen nach an die Thatsache des Mittels gebunden. Hierdurch unterscheidet er sich einerseits vom bloſsen Mechanismus — und seinem psychischen Korrelat, dem Trieb —, in dem die Energien jedes Momentes sich in dem unmittelbar folgenden vollständig ent- laden, ohne über diesen hinaus auf einen nächsten zu weisen; welcher nächste vielmehr nur von dem unmittelbar vorhergehenden ressortiert. Die Formel des Zweckes ist dreigliedrig, die des Mechanismus nur zweigliedrig. Andrerseits unterscheidet sich der Zweck durch sein An- gewiesensein auf das Mittel auch von demjenigen Handeln, das man sich als das göttliche denken mag. Für die Macht eines Gottes kann unmöglich ein zeitliches oder sachliches Intervall zwischen dem Willens- gedanken und seiner Verwirklichung bestehen. Das menschliche Handeln, zwischen diese beiden Momente eingeschoben, ist nicht als das Überwinden von Hemmungen, die für einen Gott nicht bestehen können; wenn wir ihn nicht nach dem Bilde irdischer Unvollkommen- heit denken, so muſs sein Wille unmittelbar als solcher schon Realität des Gewollten sein. Von einem Endzweck, den Gott mit der Welt hätte, kann man nur in einem sehr modifizierten Sinne reden, nämlich als dem zeitlich letzten Zustand, der ihre Schicksale abschlieſst. Ver- hielte sich aber für den göttlichen Ratschluſs jener zu diesen vorher- gehenden, wie sich ein menschlicher Zweck zu seinen Mitteln verhält: nämlich als das allein Wertvolle und Gewollte — so wäre nicht ab- zusehen, weshalb Gott ihn nicht unmittelbar und mit Übergehung jener wertlosen und hemmenden Zwischenstadien sollte herbeigeführt haben; denn er bedarf doch nicht der technischen Mittel, wie wir, die wir der selbständigen Welt mit sehr beschränkter, auf Kompromisse mit ihren Hemmungen und auf Allmählichkeit des Durchsetzens angewiesenen Kräften gegenüberstehen. Oder anders ausgedrückt: für Gott kann es keinen Zweck geben, weil es für ihn keine Mittel giebt.

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/210>, abgerufen am 29.03.2024.