pse_004.001 und durch höfisch-gesellschaftliche Formbildungen. pse_004.002 So erhielt die Barockpoetik einen mehr kompilatorischen pse_004.003 Charakter. Aber es treten damals schon erste Spuren eines pse_004.004 langsamen Zurückweichens der lehrhaften Poetik auf. Bei pse_004.005 Gryphius spürt man schon Ansätze zu einer irgendwie geahnten pse_004.006 Poetik als unmittelbaren Ausdruck des Kunstwollens.
pse_004.007 Im Zeitalter der Aufklärung scheiden sich die Nationen pse_004.008 schon deutlicher: die französische Poetik arbeitet seit Boileau pse_004.009 mehr an einer gleichsam mathematischen Demonstrierbarkeit pse_004.010 der Regeln, England bringt eine Lockerung durch stärkere pse_004.011 Betonung des Gefühls und den im englischen Roman aufkommenden pse_004.012 Realismus. Welche Bedeutung die Bemühungen pse_004.013 um die Poetik in Deutschland während der Aufklärungszeit pse_004.014 hatten, ist bekannt. Es geht jetzt um eine mehr philosophische pse_004.015 Grundlegung der Poetik, und so wird die Ästhetik als pse_004.016 Wissenschaft vorbereitet. So im Streit Gottscheds mit den pse_004.017 Schweizern, von Johann Elias Schlegel besonders fürs Drama, pse_004.018 von Baumgarten und seinem Schüler Meier, dann vor allem pse_004.019 im Briefwechsel zwischen Lessing, Nicolai und Mendelssohn, pse_004.020 endlich in den Arbeiten Lessings, der um eine feste Ordnung pse_004.021 der Gattungen ringt. Dabei wird aber damals der Gattungsbegriff pse_004.022 noch nicht klar entwickelt, vor allem fehlt eine tiefere pse_004.023 Erkenntnis der Lyrik, die Didaktik ist noch überbetont.
pse_004.024 Mit dem deutschen Idealismus, der im Sturm und Drang pse_004.025 sich gegen die Aufklärung durchsetzt und mit der Klassik pse_004.026 und vor allem mit der Romantik sich voll entfaltet, vollzieht pse_004.027 sich ein entscheidender Wandel in der Auffassung von der pse_004.028 Poetik. Herder, Goethe, Gerstenberg und Lenz setzen statt pse_004.029 Kritik Deutung, d. h. aber, daß es nicht mehr so sehr auf die pse_004.030 Aufstellung von Regeln ankommt, auch nicht mehr auf die pse_004.031 Dichtung als erlernbare Technik. Goethe und Schiller ringen pse_004.032 um eine tiefere Begründung der Gattungen und sehen die pse_004.033 Dichtungslehre schon in einem entscheidenden Zusammenhang pse_004.034 mit der Kulturphilosophie. Von jetzt an beginnt die pse_004.035 Philosophie ihren Anspruch als Grundlage jeder Poetik zu pse_004.036 stellen, eine Forderung, die noch an Heideggers Schriften zur pse_004.037 "Poetik" zu erkennen ist. Besonders die Romantik, sowohl pse_004.038 die Philosophen wie Schelling und Solger als auch alle Theoretiker
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pse_004.007 Im Zeitalter der Aufklärung scheiden sich die Nationen pse_004.008 schon deutlicher: die französische Poetik arbeitet seit Boileau pse_004.009 mehr an einer gleichsam mathematischen Demonstrierbarkeit pse_004.010 der Regeln, England bringt eine Lockerung durch stärkere pse_004.011 Betonung des Gefühls und den im englischen Roman aufkommenden pse_004.012 Realismus. Welche Bedeutung die Bemühungen pse_004.013 um die Poetik in Deutschland während der Aufklärungszeit pse_004.014 hatten, ist bekannt. Es geht jetzt um eine mehr philosophische pse_004.015 Grundlegung der Poetik, und so wird die Ästhetik als pse_004.016 Wissenschaft vorbereitet. So im Streit Gottscheds mit den pse_004.017 Schweizern, von Johann Elias Schlegel besonders fürs Drama, pse_004.018 von Baumgarten und seinem Schüler Meier, dann vor allem pse_004.019 im Briefwechsel zwischen Lessing, Nicolai und Mendelssohn, pse_004.020 endlich in den Arbeiten Lessings, der um eine feste Ordnung pse_004.021 der Gattungen ringt. Dabei wird aber damals der Gattungsbegriff pse_004.022 noch nicht klar entwickelt, vor allem fehlt eine tiefere pse_004.023 Erkenntnis der Lyrik, die Didaktik ist noch überbetont.
pse_004.024 Mit dem deutschen Idealismus, der im Sturm und Drang pse_004.025 sich gegen die Aufklärung durchsetzt und mit der Klassik pse_004.026 und vor allem mit der Romantik sich voll entfaltet, vollzieht pse_004.027 sich ein entscheidender Wandel in der Auffassung von der pse_004.028 Poetik. Herder, Goethe, Gerstenberg und Lenz setzen statt pse_004.029 Kritik Deutung, d. h. aber, daß es nicht mehr so sehr auf die pse_004.030 Aufstellung von Regeln ankommt, auch nicht mehr auf die pse_004.031 Dichtung als erlernbare Technik. Goethe und Schiller ringen pse_004.032 um eine tiefere Begründung der Gattungen und sehen die pse_004.033 Dichtungslehre schon in einem entscheidenden Zusammenhang pse_004.034 mit der Kulturphilosophie. Von jetzt an beginnt die pse_004.035 Philosophie ihren Anspruch als Grundlage jeder Poetik zu pse_004.036 stellen, eine Forderung, die noch an Heideggers Schriften zur pse_004.037 »Poetik« zu erkennen ist. Besonders die Romantik, sowohl pse_004.038 die Philosophen wie Schelling und Solger als auch alle Theoretiker
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schon deutlicher: die französische Poetik arbeitet seit Boileau pse_004.009
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von Baumgarten und seinem Schüler Meier, dann vor allem pse_004.019
im Briefwechsel zwischen Lessing, Nicolai und Mendelssohn, pse_004.020
endlich in den Arbeiten Lessings, der um eine feste Ordnung pse_004.021
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noch nicht klar entwickelt, vor allem fehlt eine tiefere pse_004.023
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pse_004.024
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/20>, abgerufen am 23.11.2024.
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