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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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gehn, ließ sich der Banquier des Prinzen mel¬
den, an den der Auftrag ergangen war, für einen
neuen Bedienten zu sorgen. Dieser stellte dem
Prinzen einen gut gebildeten und wohl gekleideten
Menschen in mittlern Jahren vor, der lange Zeit
in Diensten eines Prokurators als Sekretär gestan¬
den, französisch und auch etwas deutsch sprach, übri¬
gens mit den besten Zeugnissen versehen war.
Seine Physionomie gefiel, und da er sich übrigens
erklärte, daß sein Gehalt von der Zufriedenheit
des Prinzen mit seinen Diensten abhängen sollte, so
ließ er ihn ohne Verzug eintreten.

Wir fanden den Sicilianer in einem Privatge¬
fängniß, wohin er, dem Prinzen zu Gefallen, wie
der Gerichtsdiener sagte, einstweilen gebracht wor¬
den war, ehe er unter die Bleydächer gesetzt wur¬
de, zu denen kein Zugang mehr offen steht. Die¬
se Bleydächer sind das fürchterlichste Gefängniß in
Venedig, unter dem Dach des St. Markuspalla¬
stes, worin die unglücklichen Verbrecher von der
dörrenden Sonnenhitze, die sich auf der Bleyfläche
sammelt, oft bis zum Wahnwitze leiden. Der Si¬
cilianer hatte sich von dem geistigen Zufalle wieder
erholt, und stand ehrerbietig auf, als er den Prin¬
zen ansichtig wurde. Ein Bein und eine Hand waren
gefesselt, sonst aber konnte er frey durch das Zim¬
mer gehen. Bey unserm Eintritt entfernte sich die
Wache vor die Thüre.

"Ich komme," sagte der Prinz, "über zwey
Punkte eine Erklärung von Ihnen zu verlangen.

Die

gehn, ließ ſich der Banquier des Prinzen mel¬
den, an den der Auftrag ergangen war, für einen
neuen Bedienten zu ſorgen. Dieſer ſtellte dem
Prinzen einen gut gebildeten und wohl gekleideten
Menſchen in mittlern Jahren vor, der lange Zeit
in Dienſten eines Prokurators als Sekretär geſtan¬
den, franzöſiſch und auch etwas deutſch ſprach, übri¬
gens mit den beſten Zeugniſſen verſehen war.
Seine Phyſionomie gefiel, und da er ſich übrigens
erklärte, daß ſein Gehalt von der Zufriedenheit
des Prinzen mit ſeinen Dienſten abhängen ſollte, ſo
ließ er ihn ohne Verzug eintreten.

Wir fanden den Sicilianer in einem Privatge¬
fängniß, wohin er, dem Prinzen zu Gefallen, wie
der Gerichtsdiener ſagte, einſtweilen gebracht wor¬
den war, ehe er unter die Bleydächer geſetzt wur¬
de, zu denen kein Zugang mehr offen ſteht. Die¬
ſe Bleydächer ſind das fürchterlichſte Gefängniß in
Venedig, unter dem Dach des St. Markuspalla¬
ſtes, worin die unglücklichen Verbrecher von der
dörrenden Sonnenhitze, die ſich auf der Bleyfläche
ſammelt, oft bis zum Wahnwitze leiden. Der Si¬
cilianer hatte ſich von dem geiſtigen Zufalle wieder
erholt, und ſtand ehrerbietig auf, als er den Prin¬
zen anſichtig wurde. Ein Bein und eine Hand waren
gefeſſelt, ſonſt aber konnte er frey durch das Zim¬
mer gehen. Bey unſerm Eintritt entfernte ſich die
Wache vor die Thüre.

„Ich komme,“ ſagte der Prinz, „über zwey
Punkte eine Erklärung von Ihnen zu verlangen.

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[40/0048] gehn, ließ ſich der Banquier des Prinzen mel¬ den, an den der Auftrag ergangen war, für einen neuen Bedienten zu ſorgen. Dieſer ſtellte dem Prinzen einen gut gebildeten und wohl gekleideten Menſchen in mittlern Jahren vor, der lange Zeit in Dienſten eines Prokurators als Sekretär geſtan¬ den, franzöſiſch und auch etwas deutſch ſprach, übri¬ gens mit den beſten Zeugniſſen verſehen war. Seine Phyſionomie gefiel, und da er ſich übrigens erklärte, daß ſein Gehalt von der Zufriedenheit des Prinzen mit ſeinen Dienſten abhängen ſollte, ſo ließ er ihn ohne Verzug eintreten. Wir fanden den Sicilianer in einem Privatge¬ fängniß, wohin er, dem Prinzen zu Gefallen, wie der Gerichtsdiener ſagte, einſtweilen gebracht wor¬ den war, ehe er unter die Bleydächer geſetzt wur¬ de, zu denen kein Zugang mehr offen ſteht. Die¬ ſe Bleydächer ſind das fürchterlichſte Gefängniß in Venedig, unter dem Dach des St. Markuspalla¬ ſtes, worin die unglücklichen Verbrecher von der dörrenden Sonnenhitze, die ſich auf der Bleyfläche ſammelt, oft bis zum Wahnwitze leiden. Der Si¬ cilianer hatte ſich von dem geiſtigen Zufalle wieder erholt, und ſtand ehrerbietig auf, als er den Prin¬ zen anſichtig wurde. Ein Bein und eine Hand waren gefeſſelt, ſonſt aber konnte er frey durch das Zim¬ mer gehen. Bey unſerm Eintritt entfernte ſich die Wache vor die Thüre. „Ich komme,“ ſagte der Prinz, „über zwey Punkte eine Erklärung von Ihnen zu verlangen. Die

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/48>, abgerufen am 29.11.2024.