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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Von dem freventlichen Vrtheil.
nachdem sie die Thür wohl verschlossen/ haben die Flucht genommen: bey
so gestalten Sachen ist alles biß auff den folgenden Sontag geheim geblie-
ben/ da dann bey den Vauburgischen Jnwohnern der fromme Bawer ge-
mangelt; derhalben sie geargwohnet/ er müsse kranck seyn: deme sie dann
einige mit Allmosen und sonst anderer guter Labung zugeschickt/ umb den
Krancken zu besuchen/ und zu erquicken: nachdeme aber die Diener das
Hüttlein versperret gefunden/ und auch kein Zeichen von dem Jnwohner
gehöret/ haben sie jhrer Herrschafft bedeutet/ daß der Alte nicht zugegen seye;
und würde vielleicht nach seinem löblichen Gebrauch einer Pilgerfahrt oder
sonst andern Andacht beywohnen: Man hat aber inzwischen wahr genom-
men/ daß er wider seine Gewonheit gar zu langsamb erscheine/ und diesert-
wegen geargwohnet/ ob der arme Mensch in Verzweiffelung gerathen/
und sich selbst möchte entleibet haben: Man hat die Thüren mit Gewalt er-
öffnet/ und den Bauren an einem Balcken hangend gefunden: dieses er-
bärmliche Spectacul ist alsobald dem Magistrat zu Vauburg hinterbracht
worden; welcher dann den entleibten Bauren zu lösen/ und als einen Mord-
thätiger unter den Galgen zu begraben befohlen hat: dahero die von dem
Alten vorhin gehabte gute Meinung bey jederman bald verschwunden; und
hat man ihn als einen Gleißner und Betrieger allenthalben geurtheilet: es
hat aber der allerhöchste Richter und Schöpffer aller Dingen nicht wollen
zulassen/ daß dieser unschuldige Bawer mit solchem bösen Geschrey lang
solte getadelt werden; derhalben hat er desselben Heiligkeit alsbald auff fol-
gende Weiß kund gemacht; dieweilen der gewöhnliche Jahrmarck zu Vau-
burg bald heran kommen/ zu deme gemeiniglich ein sehr häuffige Menge
Volcks sich einfinden liesse; seynd auch viele Lahme/ Blinde und Außsä-
tzige nicht anders als die Gesunde zu diesem Marck hinzu gelauffen: un-
ter diesen hat ein Blinder/ so von einem andern bey der Hand geführet wor-
den/ da er den Galgen/ allwo deß unschuldigen Bawren Leichnamb begra-
ben gelegen/ gähling die Augen eröffnet/ und hat mit grosser Verwun-
derung den Himmel und die Erd angeschawet: Diesem ist zur selbigen Zeit
gefolget einer/ so mit höltzernen Füssen versehen; an selbigem Orth aber
gantz gerad worden/ die Krücken hinweg geworffen/ für grosser Frewd zu
lauffen und zu springen angefangen: Endlich ist auch hinzu kommen ein
Außsätziger/ so auch an gemeldtem Orth wider alle Hoffnung von seiner
abscheuligen Kranckheit genesen ist: Da diese seltzame Curen nun in der
Statt ruchtbahr worden/ haben die Einwonhner zu gedencken an-
gefangen/ ob vielleicht der offtgedachte Bawer unverdienter massen

auff
N 2

Von dem freventlichen Vrtheil.
nachdem ſie die Thuͤr wohl verſchloſſen/ haben die Flucht genommen: bey
ſo geſtalten Sachen iſt alles biß auff den folgenden Sontag geheim geblie-
ben/ da dann bey den Vauburgiſchen Jnwohnern der fromme Bawer ge-
mangelt; derhalben ſie geargwohnet/ er muͤſſe kranck ſeyn: deme ſie dann
einige mit Allmoſen und ſonſt anderer guter Labung zugeſchickt/ umb den
Krancken zu beſuchen/ und zu erquicken: nachdeme aber die Diener das
Huͤttlein verſperret gefunden/ und auch kein Zeichen von dem Jnwohner
gehoͤret/ haben ſie jhrer Herrſchafft bedeutet/ daß der Alte nicht zugegen ſeye;
und wuͤrde vielleicht nach ſeinem loͤblichen Gebrauch einer Pilgerfahrt oder
ſonſt andern Andacht beywohnen: Man hat aber inzwiſchen wahr genom-
men/ daß er wider ſeine Gewonheit gar zu langſamb erſcheine/ und dieſert-
wegen geargwohnet/ ob der arme Menſch in Verzweiffelung gerathen/
und ſich ſelbſt moͤchte entleibet haben: Man hat die Thuͤren mit Gewalt er-
oͤffnet/ und den Bauren an einem Balcken hangend gefunden: dieſes er-
baͤrmliche Spectacul iſt alſobald dem Magiſtrat zu Vauburg hinterbracht
worden; welcher dann den entleibten Bauren zu loͤſen/ und als einen Mord-
thaͤtiger unter den Galgen zu begraben befohlen hat: dahero die von dem
Alten vorhin gehabte gute Meinung bey jederman bald verſchwunden; und
hat man ihn als einen Gleißner und Betrieger allenthalben geurtheilet: es
hat aber der allerhoͤchſte Richter und Schoͤpffer aller Dingen nicht wollen
zulaſſen/ daß dieſer unſchuldige Bawer mit ſolchem boͤſen Geſchrey lang
ſolte getadelt werden; derhalben hat er deſſelben Heiligkeit alsbald auff fol-
gende Weiß kund gemacht; dieweilen der gewoͤhnliche Jahrmarck zu Vau-
burg bald heran kommen/ zu deme gemeiniglich ein ſehr haͤuffige Menge
Volcks ſich einfinden lieſſe; ſeynd auch viele Lahme/ Blinde und Außſaͤ-
tzige nicht anders als die Geſunde zu dieſem Marck hinzu gelauffen: un-
ter dieſen hat ein Blinder/ ſo von einem andern bey der Hand gefuͤhret wor-
den/ da er den Galgen/ allwo deß unſchuldigen Bawren Leichnamb begra-
ben gelegen/ gaͤhling die Augen eroͤffnet/ und hat mit groſſer Verwun-
derung den Himmel und die Erd angeſchawet: Dieſem iſt zur ſelbigen Zeit
gefolget einer/ ſo mit hoͤltzernen Fuͤſſen verſehen; an ſelbigem Orth aber
gantz gerad worden/ die Kruͤcken hinweg geworffen/ fuͤr groſſer Frewd zu
lauffen und zu ſpringen angefangen: Endlich iſt auch hinzu kommen ein
Außſaͤtziger/ ſo auch an gemeldtem Orth wider alle Hoffnung von ſeiner
abſcheuligen Kranckheit geneſen iſt: Da dieſe ſeltzame Curen nun in der
Statt ruchtbahr worden/ haben die Einwonhner zu gedencken an-
gefangen/ ob vielleicht der offtgedachte Bawer unverdienter maſſen

auff
N 2
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[99/0127] Von dem freventlichen Vrtheil. nachdem ſie die Thuͤr wohl verſchloſſen/ haben die Flucht genommen: bey ſo geſtalten Sachen iſt alles biß auff den folgenden Sontag geheim geblie- ben/ da dann bey den Vauburgiſchen Jnwohnern der fromme Bawer ge- mangelt; derhalben ſie geargwohnet/ er muͤſſe kranck ſeyn: deme ſie dann einige mit Allmoſen und ſonſt anderer guter Labung zugeſchickt/ umb den Krancken zu beſuchen/ und zu erquicken: nachdeme aber die Diener das Huͤttlein verſperret gefunden/ und auch kein Zeichen von dem Jnwohner gehoͤret/ haben ſie jhrer Herrſchafft bedeutet/ daß der Alte nicht zugegen ſeye; und wuͤrde vielleicht nach ſeinem loͤblichen Gebrauch einer Pilgerfahrt oder ſonſt andern Andacht beywohnen: Man hat aber inzwiſchen wahr genom- men/ daß er wider ſeine Gewonheit gar zu langſamb erſcheine/ und dieſert- wegen geargwohnet/ ob der arme Menſch in Verzweiffelung gerathen/ und ſich ſelbſt moͤchte entleibet haben: Man hat die Thuͤren mit Gewalt er- oͤffnet/ und den Bauren an einem Balcken hangend gefunden: dieſes er- baͤrmliche Spectacul iſt alſobald dem Magiſtrat zu Vauburg hinterbracht worden; welcher dann den entleibten Bauren zu loͤſen/ und als einen Mord- thaͤtiger unter den Galgen zu begraben befohlen hat: dahero die von dem Alten vorhin gehabte gute Meinung bey jederman bald verſchwunden; und hat man ihn als einen Gleißner und Betrieger allenthalben geurtheilet: es hat aber der allerhoͤchſte Richter und Schoͤpffer aller Dingen nicht wollen zulaſſen/ daß dieſer unſchuldige Bawer mit ſolchem boͤſen Geſchrey lang ſolte getadelt werden; derhalben hat er deſſelben Heiligkeit alsbald auff fol- gende Weiß kund gemacht; dieweilen der gewoͤhnliche Jahrmarck zu Vau- burg bald heran kommen/ zu deme gemeiniglich ein ſehr haͤuffige Menge Volcks ſich einfinden lieſſe; ſeynd auch viele Lahme/ Blinde und Außſaͤ- tzige nicht anders als die Geſunde zu dieſem Marck hinzu gelauffen: un- ter dieſen hat ein Blinder/ ſo von einem andern bey der Hand gefuͤhret wor- den/ da er den Galgen/ allwo deß unſchuldigen Bawren Leichnamb begra- ben gelegen/ gaͤhling die Augen eroͤffnet/ und hat mit groſſer Verwun- derung den Himmel und die Erd angeſchawet: Dieſem iſt zur ſelbigen Zeit gefolget einer/ ſo mit hoͤltzernen Fuͤſſen verſehen; an ſelbigem Orth aber gantz gerad worden/ die Kruͤcken hinweg geworffen/ fuͤr groſſer Frewd zu lauffen und zu ſpringen angefangen: Endlich iſt auch hinzu kommen ein Außſaͤtziger/ ſo auch an gemeldtem Orth wider alle Hoffnung von ſeiner abſcheuligen Kranckheit geneſen iſt: Da dieſe ſeltzame Curen nun in der Statt ruchtbahr worden/ haben die Einwonhner zu gedencken an- gefangen/ ob vielleicht der offtgedachte Bawer unverdienter maſſen auff N 2

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/127>, abgerufen am 28.03.2024.