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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Von dem freventlichen Vrtheil.
zu schäumen anfangt/ und vom Teuffel besessen wird. Nach einigen
Stunden kombt er wiederumb zu sich/ lauffet in aller Cyl nach der Cellen
deß Vitalii, bekennet seine Schuld/ und sagt: du Diener GOttes erbarm
dich meiner. Vitalius verzeyhet ihm/ und erlediget ihn durch sein Gebett
von diesem bösen Gast. Jn selbiger Cellen ist von den Umbstehenden ge-
funden worden diese Schrifft: Jhr Männer von Alexandria urtheilet nicht
vor der Zeit/ biß der HErr komme. Vialius aber gienge in die Häu-
ser der Sünderinnen/ damit er sie von dieser leichtfertigkeit abhalten mögte;
derhalben er mit ihnen auch offtermahl durch ein sicheres Stuck Gelds ei-
nig worden/ diese und andere Nachten sich von den Sünden zu enthalten.
Auß sothaner Geschichterhellet/ wie gefährlich es seye/ die Thaten sei-
nes Nächsten zu urtheilen. Damit aber die Warheit dieser Sachen noch
mehr an Tagkomme/ so wollen wir auß dem Leben der H. H. Vättern
eins erzehlen.

4. Es waren zwey Brüder in der Gemeinschafft/ so beyderseits einHistoria.
heiliges Leben führeten/ und waren von GOtt begnädiget; daß einer deß
andern Gnad/ so er von GOtt erlangte/ sehen könnte. Nun trägt sichs
zu/ daß einer von beyden am Freytag außgehet; und sichet einen München
deß Vormittags essen: fragt ihn aber dessenthalben nicht/ ob er vielleicht
schwach seye/ oder sonsten zu essen genöthiget werde; sondern er sagte: Bru-
der/ warumb essest du so frühe/ weist du dann nicht/ daß es heut Freytag seye?
dann er vermeinte/ der geistliche Bruder hätte durch dieses Essen wider seine
Regul gehandlet. Deß andern Tags seynd nach dem Gebrauch die H. H.
Messen gehalten worden/ und da deren obgemeldten Brüdern einer den an-
dern anschauet/ vermerckt er/ daß die Gnad/ so ihm vorhin gegeben ware/
von ihm gewichen; darüber er dann nicht wenig entrüstet/ seinen Bruder/
nachdem sie zur Cellen kommen/ fraget: Bruder/ was hastu außgerich-
tet/ daß ich heut die Gnad GOttes an dir nicht gesehen/ wie gestrigen Tags
geschehen? dieser aber antwortet/ daß er weder in den Wercken/ weder in
den Worten/ weder auch in den Gedancken sich übel bewust seye. Hastu
nicht vielleicht/ fragt der andere/ einige müssige Wort geredet? da hat die-
ser sich erinnert daß er am vorigen Tag. einen habe sehen essen/ und ihme
gesagt/ essestu zu dieser Stund am Freytag? dieses wird villeicht meine
Sünd seyn. Derhalben sagt er zu seinem Bruder: befleisse dich mit mir
zwey Wochen lang GOtt zu bitten/ daß er mirs verzeyhe Nachdem nun
diese zwey Wochen also vollbracht worden/ sehet der andere Bruder die Gnad
GOttes wiederumb über seinen Mit-Bruder kommen; derhalben sie zu-

mahln
L 3

Von dem freventlichen Vrtheil.
zu ſchaͤumen anfangt/ und vom Teuffel beſeſſen wird. Nach einigen
Stunden kombt er wiederumb zu ſich/ lauffet in aller Cyl nach der Cellen
deß Vitalii, bekennet ſeine Schuld/ und ſagt: du Diener GOttes erbarm
dich meiner. Vitalius verzeyhet ihm/ und erlediget ihn durch ſein Gebett
von dieſem boͤſen Gaſt. Jn ſelbiger Cellen iſt von den Umbſtehenden ge-
funden worden dieſe Schrifft: Jhr Maͤnner von Alexandria urtheilet nicht
vor der Zeit/ biß der HErr komme. Vialius aber gienge in die Haͤu-
ſer der Suͤnderinnen/ damit er ſie von dieſer leichtfertigkeit abhalten moͤgte;
derhalben er mit ihnen auch offtermahl durch ein ſicheres Stuck Gelds ei-
nig worden/ dieſe und andere Nachten ſich von den Suͤnden zu enthalten.
Auß ſothaner Geſchichterhellet/ wie gefaͤhrlich es ſeye/ die Thaten ſei-
nes Naͤchſten zu urtheilen. Damit aber die Warheit dieſer Sachen noch
mehr an Tagkomme/ ſo wollen wir auß dem Leben der H. H. Vaͤttern
eins erzehlen.

4. Es waren zwey Bruͤder in der Gemeinſchafft/ ſo beyderſeits einHiſtoria.
heiliges Leben fuͤhreten/ und waren von GOtt begnaͤdiget; daß einer deß
andern Gnad/ ſo er von GOtt erlangte/ ſehen koͤnnte. Nun traͤgt ſichs
zu/ daß einer von beyden am Freytag außgehet; und ſichet einen Muͤnchen
deß Vormittags eſſen: fragt ihn aber deſſenthalben nicht/ ob er vielleicht
ſchwach ſeye/ oder ſonſten zu eſſen genoͤthiget werde; ſondern er ſagte: Bru-
der/ warumb eſſeſt du ſo fruͤhe/ weiſt du dann nicht/ daß es heut Freytag ſeye?
dann er vermeinte/ der geiſtliche Bruder haͤtte durch dieſes Eſſen wider ſeine
Regul gehandlet. Deß andern Tags ſeynd nach dem Gebrauch die H. H.
Meſſen gehalten worden/ und da deren obgemeldten Bruͤdern einer den an-
dern anſchauet/ vermerckt er/ daß die Gnad/ ſo ihm vorhin gegeben ware/
von ihm gewichen; daruͤber er dann nicht wenig entruͤſtet/ ſeinen Bruder/
nachdem ſie zur Cellen kommen/ fraget: Bruder/ was haſtu außgerich-
tet/ daß ich heut die Gnad GOttes an dir nicht geſehen/ wie geſtrigen Tags
geſchehen? dieſer aber antwortet/ daß er weder in den Wercken/ weder in
den Worten/ weder auch in den Gedancken ſich uͤbel bewuſt ſeye. Haſtu
nicht vielleicht/ fragt der andere/ einige muͤſſige Wort geredet? da hat die-
ſer ſich erinnert daß er am vorigen Tag. einen habe ſehen eſſen/ und ihme
geſagt/ eſſeſtu zu dieſer Stund am Freytag? dieſes wird villeicht meine
Suͤnd ſeyn. Derhalben ſagt er zu ſeinem Bruder: befleiſſe dich mit mir
zwey Wochen lang GOtt zu bitten/ daß er mirs verzeyhe Nachdem nun
dieſe zwey Wochen alſo vollbracht worden/ ſehet der andere Bruder die Gnad
GOttes wiederumb uͤber ſeinen Mit-Bruder kommen; derhalben ſie zu-

mahln
L 3
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[85/0113] Von dem freventlichen Vrtheil. zu ſchaͤumen anfangt/ und vom Teuffel beſeſſen wird. Nach einigen Stunden kombt er wiederumb zu ſich/ lauffet in aller Cyl nach der Cellen deß Vitalii, bekennet ſeine Schuld/ und ſagt: du Diener GOttes erbarm dich meiner. Vitalius verzeyhet ihm/ und erlediget ihn durch ſein Gebett von dieſem boͤſen Gaſt. Jn ſelbiger Cellen iſt von den Umbſtehenden ge- funden worden dieſe Schrifft: Jhr Maͤnner von Alexandria urtheilet nicht vor der Zeit/ biß der HErr komme. Vialius aber gienge in die Haͤu- ſer der Suͤnderinnen/ damit er ſie von dieſer leichtfertigkeit abhalten moͤgte; derhalben er mit ihnen auch offtermahl durch ein ſicheres Stuck Gelds ei- nig worden/ dieſe und andere Nachten ſich von den Suͤnden zu enthalten. Auß ſothaner Geſchichterhellet/ wie gefaͤhrlich es ſeye/ die Thaten ſei- nes Naͤchſten zu urtheilen. Damit aber die Warheit dieſer Sachen noch mehr an Tagkomme/ ſo wollen wir auß dem Leben der H. H. Vaͤttern eins erzehlen. 4. Es waren zwey Bruͤder in der Gemeinſchafft/ ſo beyderſeits ein heiliges Leben fuͤhreten/ und waren von GOtt begnaͤdiget; daß einer deß andern Gnad/ ſo er von GOtt erlangte/ ſehen koͤnnte. Nun traͤgt ſichs zu/ daß einer von beyden am Freytag außgehet; und ſichet einen Muͤnchen deß Vormittags eſſen: fragt ihn aber deſſenthalben nicht/ ob er vielleicht ſchwach ſeye/ oder ſonſten zu eſſen genoͤthiget werde; ſondern er ſagte: Bru- der/ warumb eſſeſt du ſo fruͤhe/ weiſt du dann nicht/ daß es heut Freytag ſeye? dann er vermeinte/ der geiſtliche Bruder haͤtte durch dieſes Eſſen wider ſeine Regul gehandlet. Deß andern Tags ſeynd nach dem Gebrauch die H. H. Meſſen gehalten worden/ und da deren obgemeldten Bruͤdern einer den an- dern anſchauet/ vermerckt er/ daß die Gnad/ ſo ihm vorhin gegeben ware/ von ihm gewichen; daruͤber er dann nicht wenig entruͤſtet/ ſeinen Bruder/ nachdem ſie zur Cellen kommen/ fraget: Bruder/ was haſtu außgerich- tet/ daß ich heut die Gnad GOttes an dir nicht geſehen/ wie geſtrigen Tags geſchehen? dieſer aber antwortet/ daß er weder in den Wercken/ weder in den Worten/ weder auch in den Gedancken ſich uͤbel bewuſt ſeye. Haſtu nicht vielleicht/ fragt der andere/ einige muͤſſige Wort geredet? da hat die- ſer ſich erinnert daß er am vorigen Tag. einen habe ſehen eſſen/ und ihme geſagt/ eſſeſtu zu dieſer Stund am Freytag? dieſes wird villeicht meine Suͤnd ſeyn. Derhalben ſagt er zu ſeinem Bruder: befleiſſe dich mit mir zwey Wochen lang GOtt zu bitten/ daß er mirs verzeyhe Nachdem nun dieſe zwey Wochen alſo vollbracht worden/ ſehet der andere Bruder die Gnad GOttes wiederumb uͤber ſeinen Mit-Bruder kommen; derhalben ſie zu- mahln Hiſtoria. L 3

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/113>, abgerufen am 16.04.2024.