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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Achte Geistliche Lection
ewige Verdamnuß zum Lohn der langwirich geführten Feindschafft be-
kommen.

8. Kan wohl einer so hartnäckig gefunden werden der sich über so grausamt
Sach nicht hefftig entsetze? kan man allhier nicht füglich sagen von Brüdern/
was der weise Mann mit seiner selbst eigenen Verwunderung von den
c. 28. v. 3.Menschen insgemein außschreyet: Ein Mensch haltet Zorn wi-
den den andern/ wie suchet er dann Artzney bey Gott[:]

Ein Bruder will dem andern nicht verzeyhen/ wie darff er dann begehren/
daß ihm GOtt seine Sünden vergebe? Es ist/ leyder! viel zu wahr das
Sprichwort: der Groll unter Brüdern ist der allergrimmigste. Diese
waren Brüder/ dieweilen sie eines Ordens Kinder; an einem Tisch mit
gleicher Speise gespeiset; eines Herrn Diener (doch vielmehr deß Teuffels
Schlaven/ deme sie sich durch so verfluchten Haß unterworffen) in einer
Schul der Tugenden erzogen; mit gleichen Gesetzen in dem herrlichen
Werck der Vollkommenheit unterwiesen; durch die heiligen Bände der
Gelübten ihrem himmlischen Vatter und sich miteinander verbunden/ mit
so vieler-Jahren strengen Ubungen versuchet: und haben gleichwohl von der
gifftigen Pest deß innerlichen Zweytrags angeblasen/ unter dem Geistlichen
Kleid diese Teuffelische Schlang herumbgetragen: sie haben lieber wollen
den Himmel quittiren/ als eben die Rachgierigkeit auß dem Hertzen auß-
schliessen: lieber auff ihre Erbschafft/ als sich einander/ wie einem Bruder
und Geistlichen zustehet/ verzeyhen. Nehme mir nun nicht übel auff/ mein
Christliche Seel/ wann ich sage/ daß die GOtt verlobte Ordens-Persohnen
nach verlassener aller zeitlichen Ergötzlichkeit armseeliger seyen als andere
Menschen/ wann sie das kostbahre Kleinod der Liebe verlohren haben: dann
was ist zu achten derselben Keuschheit/ Armuth und Gehorsamb/ wann die
Liebe nicht zu gegen ist? Eine Ampel ohne Oel/ ein Baum ohne Früch-
ten/ ein Leib ohne Seel/ ein Schiff ohne Mast-Baum/ ein Marter ohne
Verdienst/ seynd solche Geistliche. Darumb so bald der H. Apostel Paulus
die Ephesier zu Meydung deß Zorns mit diesen Worten ermahnet hatte: die
Sonn soll über eurem Zorn nicht untergehtn/ setzet er hinzu: Gebet kei-
nen Platz dem Teuffel.
Als wolte er sagen: Oihr Christ-Glaubige;
und sonderbahr ihr Geistliche/ haltet euren Zorn im Zaum/ zerbrechet und
vernichtiget denselben in seiner Geburt; widerstehet ihm gleich im Anfang/
damit er in eine grobere That nicht außbreche: dann so ihr dieser Alteration
nur etwan weniges nachgebet; wann ihr den gefasten Zorn in den Gedan-
cken behaltet; so machet ihr Platz dem Teuffel/ ihr sperret ihm auff den Ein-

gang

Die Achte Geiſtliche Lection
ewige Verdamnuß zum Lohn der langwirich gefuͤhrten Feindſchafft be-
kommen.

8. Kan wohl einer ſo hartnaͤckig gefunden werden der ſich uͤber ſo grauſamt
Sach nicht hefftig entſetze? kan man allhier nicht fuͤglich ſagen von Bruͤdern/
was der weiſe Mann mit ſeiner ſelbſt eigenen Verwunderung von den
c. 28. v. 3.Menſchen insgemein außſchreyet: Ein Menſch haltet Zorn wi-
den den andern/ wie ſuchet er dann Artzney bey Gott[:]

Ein Bruder will dem andern nicht verzeyhen/ wie darff er dann begehren/
daß ihm GOtt ſeine Suͤnden vergebe? Es iſt/ leyder! viel zu wahr das
Sprichwort: der Groll unter Bruͤdern iſt der allergrimmigſte. Dieſe
waren Bruͤder/ dieweilen ſie eines Ordens Kinder; an einem Tiſch mit
gleicher Speiſe geſpeiſet; eines Herrn Diener (doch vielmehr deß Teuffels
Schlaven/ deme ſie ſich durch ſo verfluchten Haß unterworffen) in einer
Schul der Tugenden erzogen; mit gleichen Geſetzen in dem herrlichen
Werck der Vollkommenheit unterwieſen; durch die heiligen Baͤnde der
Geluͤbten ihrem himmliſchen Vatter und ſich miteinander verbunden/ mit
ſo vieler-Jahren ſtrengen Ubungen verſuchet: und haben gleichwohl von der
gifftigen Peſt deß innerlichen Zweytrags angeblaſen/ unter dem Geiſtlichen
Kleid dieſe Teuffeliſche Schlang herumbgetragen: ſie haben lieber wollen
den Himmel quittiren/ als eben die Rachgierigkeit auß dem Hertzen auß-
ſchlieſſen: lieber auff ihre Erbſchafft/ als ſich einander/ wie einem Bruder
und Geiſtlichen zuſtehet/ verzeyhen. Nehme mir nun nicht uͤbel auff/ mein
Chriſtliche Seel/ wann ich ſage/ daß die GOtt verlobte Ordens-Perſohnen
nach verlaſſener aller zeitlichen Ergoͤtzlichkeit armſeeliger ſeyen als andere
Menſchen/ wann ſie das koſtbahre Kleinod der Liebe verlohren haben: dann
was iſt zu achten derſelben Keuſchheit/ Armuth und Gehorſamb/ wann die
Liebe nicht zu gegen iſt? Eine Ampel ohne Oel/ ein Baum ohne Fruͤch-
ten/ ein Leib ohne Seel/ ein Schiff ohne Maſt-Baum/ ein Marter ohne
Verdienſt/ ſeynd ſolche Geiſtliche. Darumb ſo bald der H. Apoſtel Paulus
die Epheſier zu Meydung deß Zorns mit dieſen Worten ermahnet hatte: die
Sonn ſoll uͤber eurem Zorn nicht untergehtn/ ſetzet er hinzu: Gebet kei-
nen Platz dem Teuffel.
Als wolte er ſagen: Oihr Chriſt-Glaubige;
und ſonderbahr ihr Geiſtliche/ haltet euren Zorn im Zaum/ zerbrechet und
vernichtiget denſelben in ſeiner Geburt; widerſtehet ihm gleich im Anfang/
damit er in eine grobere That nicht außbreche: dann ſo ihr dieſer Alteration
nur etwan weniges nachgebet; wann ihr den gefaſten Zorn in den Gedan-
cken behaltet; ſo machet ihr Platz dem Teuffel/ ihr ſperret ihm auff den Ein-

gang
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[80/0108] Die Achte Geiſtliche Lection ewige Verdamnuß zum Lohn der langwirich gefuͤhrten Feindſchafft be- kommen. 8. Kan wohl einer ſo hartnaͤckig gefunden werden der ſich uͤber ſo grauſamt Sach nicht hefftig entſetze? kan man allhier nicht fuͤglich ſagen von Bruͤdern/ was der weiſe Mann mit ſeiner ſelbſt eigenen Verwunderung von den Menſchen insgemein außſchreyet: Ein Menſch haltet Zorn wi- den den andern/ wie ſuchet er dann Artzney bey Gott: Ein Bruder will dem andern nicht verzeyhen/ wie darff er dann begehren/ daß ihm GOtt ſeine Suͤnden vergebe? Es iſt/ leyder! viel zu wahr das Sprichwort: der Groll unter Bruͤdern iſt der allergrimmigſte. Dieſe waren Bruͤder/ dieweilen ſie eines Ordens Kinder; an einem Tiſch mit gleicher Speiſe geſpeiſet; eines Herrn Diener (doch vielmehr deß Teuffels Schlaven/ deme ſie ſich durch ſo verfluchten Haß unterworffen) in einer Schul der Tugenden erzogen; mit gleichen Geſetzen in dem herrlichen Werck der Vollkommenheit unterwieſen; durch die heiligen Baͤnde der Geluͤbten ihrem himmliſchen Vatter und ſich miteinander verbunden/ mit ſo vieler-Jahren ſtrengen Ubungen verſuchet: und haben gleichwohl von der gifftigen Peſt deß innerlichen Zweytrags angeblaſen/ unter dem Geiſtlichen Kleid dieſe Teuffeliſche Schlang herumbgetragen: ſie haben lieber wollen den Himmel quittiren/ als eben die Rachgierigkeit auß dem Hertzen auß- ſchlieſſen: lieber auff ihre Erbſchafft/ als ſich einander/ wie einem Bruder und Geiſtlichen zuſtehet/ verzeyhen. Nehme mir nun nicht uͤbel auff/ mein Chriſtliche Seel/ wann ich ſage/ daß die GOtt verlobte Ordens-Perſohnen nach verlaſſener aller zeitlichen Ergoͤtzlichkeit armſeeliger ſeyen als andere Menſchen/ wann ſie das koſtbahre Kleinod der Liebe verlohren haben: dann was iſt zu achten derſelben Keuſchheit/ Armuth und Gehorſamb/ wann die Liebe nicht zu gegen iſt? Eine Ampel ohne Oel/ ein Baum ohne Fruͤch- ten/ ein Leib ohne Seel/ ein Schiff ohne Maſt-Baum/ ein Marter ohne Verdienſt/ ſeynd ſolche Geiſtliche. Darumb ſo bald der H. Apoſtel Paulus die Epheſier zu Meydung deß Zorns mit dieſen Worten ermahnet hatte: die Sonn ſoll uͤber eurem Zorn nicht untergehtn/ ſetzet er hinzu: Gebet kei- nen Platz dem Teuffel. Als wolte er ſagen: Oihr Chriſt-Glaubige; und ſonderbahr ihr Geiſtliche/ haltet euren Zorn im Zaum/ zerbrechet und vernichtiget denſelben in ſeiner Geburt; widerſtehet ihm gleich im Anfang/ damit er in eine grobere That nicht außbreche: dann ſo ihr dieſer Alteration nur etwan weniges nachgebet; wann ihr den gefaſten Zorn in den Gedan- cken behaltet; ſo machet ihr Platz dem Teuffel/ ihr ſperret ihm auff den Ein- gang c. 28. v. 3.

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/108>, abgerufen am 19.04.2024.