Der acht und dreyssigste Brief von Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein Howe.
Montags den 20sten Märtz.
Jhr letzter Brief rührt mich so sehr, daß ich alles andere hinten ansetzen muß, um ihn zu beantworten. Es soll dieses Stück vor Stück und mit aller der Offenhertzigkeit geschehen, die unsere Freundschaft erfodert.
Jch muß danckbahr erkennen, daß Sie mit mir so grosmüthig umgegangen sind, als es Jhre Na- tur mit sich bringt, wenn Sie bey funfzig Stellen, in denen ich unleugbare Proben meiner Hochach- tung gegen Herrn Lovelace gegeben habe, mei- ner blos deswegen geschonet haben, weil ich offen- hertzig gewesen bin.
Was meinen Sie aber: sollte wol ein Mensch auf der Welt so lasterhaft seyn, mit dem ein zwei- felhaftes Gemüth nicht einmahl besser als das an- dere mahl zu Frieden seyn müßte? Und ist es nicht billig, daß man sich um solche Zeit seinen Einsich- ten gemäß ausdrückt? Jch muß doch dem, der sich um mich bewirbt, eben die Gerechtigkeit widerfah- ren lassen, die ich dem schuldig bin, der sich nicht um mich bekümmert. Mir kommt es so tyrannisch, so niederträchtig vor, einem der sonst keine Geringschä- tzung verdient deswegen schlimmer zu begegnen, weil er uns hoch schätzt, daß ich nicht Lust habe, mich durch eine solche Aufführung herunter zu setzen.
Ob
Die Geſchichte
Der acht und dreysſigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.
Montags den 20ſten Maͤrtz.
Jhr letzter Brief ruͤhrt mich ſo ſehr, daß ich alles andere hinten anſetzen muß, um ihn zu beantworten. Es ſoll dieſes Stuͤck vor Stuͤck und mit aller der Offenhertzigkeit geſchehen, die unſere Freundſchaft erfodert.
Jch muß danckbahr erkennen, daß Sie mit mir ſo grosmuͤthig umgegangen ſind, als es Jhre Na- tur mit ſich bringt, wenn Sie bey funfzig Stellen, in denen ich unleugbare Proben meiner Hochach- tung gegen Herrn Lovelace gegeben habe, mei- ner blos deswegen geſchonet haben, weil ich offen- hertzig geweſen bin.
Was meinen Sie aber: ſollte wol ein Menſch auf der Welt ſo laſterhaft ſeyn, mit dem ein zwei- felhaftes Gemuͤth nicht einmahl beſſer als das an- dere mahl zu Frieden ſeyn muͤßte? Und iſt es nicht billig, daß man ſich um ſolche Zeit ſeinen Einſich- ten gemaͤß ausdruͤckt? Jch muß doch dem, der ſich um mich bewirbt, eben die Gerechtigkeit widerfah- ren laſſen, die ich dem ſchuldig bin, der ſich nicht um mich bekuͤmmert. Mir kommt es ſo tyranniſch, ſo niedertraͤchtig vor, einem der ſonſt keine Geringſchaͤ- tzung verdient deswegen ſchlimmer zu begegnen, weil er uns hoch ſchaͤtzt, daß ich nicht Luſt habe, mich durch eine ſolche Auffuͤhrung herunter zu ſetzen.
Ob
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Die Geſchichte
Der acht und dreysſigſte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.
Montags den 20ſten Maͤrtz.
Jhr letzter Brief ruͤhrt mich ſo ſehr, daß ich
alles andere hinten anſetzen muß, um ihn
zu beantworten. Es ſoll dieſes Stuͤck vor Stuͤck
und mit aller der Offenhertzigkeit geſchehen, die
unſere Freundſchaft erfodert.
Jch muß danckbahr erkennen, daß Sie mit mir
ſo grosmuͤthig umgegangen ſind, als es Jhre Na-
tur mit ſich bringt, wenn Sie bey funfzig Stellen,
in denen ich unleugbare Proben meiner Hochach-
tung gegen Herrn Lovelace gegeben habe, mei-
ner blos deswegen geſchonet haben, weil ich offen-
hertzig geweſen bin.
Was meinen Sie aber: ſollte wol ein Menſch
auf der Welt ſo laſterhaft ſeyn, mit dem ein zwei-
felhaftes Gemuͤth nicht einmahl beſſer als das an-
dere mahl zu Frieden ſeyn muͤßte? Und iſt es nicht
billig, daß man ſich um ſolche Zeit ſeinen Einſich-
ten gemaͤß ausdruͤckt? Jch muß doch dem, der ſich
um mich bewirbt, eben die Gerechtigkeit widerfah-
ren laſſen, die ich dem ſchuldig bin, der ſich nicht um
mich bekuͤmmert. Mir kommt es ſo tyranniſch, ſo
niedertraͤchtig vor, einem der ſonſt keine Geringſchaͤ-
tzung verdient deswegen ſchlimmer zu begegnen,
weil er uns hoch ſchaͤtzt, daß ich nicht Luſt habe, mich
durch eine ſolche Auffuͤhrung herunter zu ſetzen.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/448>, abgerufen am 23.11.2024.
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