Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
sind, sagen, daß sich die Hitze des jungen Herrn
sehr abgekühlet, als er sein Blut von dem Arm
häuffig herab fliessen sahe, und daß er die großmü-
thigen Dienste seines Gegners angenommen, der
ihm Rock und Weste ausziehen half, und ihm den
Arm bis auf Ankunft des Wund-Artztes verband.
Er soll dieses alles so geduldig gelitten haben, daß
dadurch der Besuch, welchen sein Gegner hernach
bey ihm abstatten wollte, um sich nach seinem Be-
finden zu erkundigen, weder für eine Verspottung
noch für unzeitig konnte gehalten werden.

Doch dem sey wie ihm wolle, jederman bedau-
ret Sie. So standhaft und immer einerley in
Jhrer Aufführung! So begierig, wie Sie oft ge-
sagt haben, unbemerckt durch das Leben hin-
durch zu schleichen,
und welches ich noch hinzu
setzen möchte, in Jhren verborgenen Gutthätigkei-
ten nicht erkannt und beobachtet zu werden, weil
Jhnen das blosse Bewustseyn derselben, der edelste
und vortreflichste Lohn schien! Nützlich ohne es
scheinen zu wollen!
nach Jhrem wohl ausge-
suchten Wahlspruch: Und dennoch auf einmahl
zu Jhrem grossem Verdruß in die Nachrede der
Leute gebracht! und in ihrem eigenen Hause mit
der Schuld fremder Vergehungen belästiget!
Wie muß eine solche Tugend in jedem Stücke lei-
den! Unterdessen muß man gestehen, daß Jhre
Prüfung Jhrer Klugheit gemäß ist.

Da Jhre Freunde ausser Hause besorget sind,
daß ein so hefftiger Streit, dessen sich dem Anschein
nach die beyden Häuser annehmen und ihn zu ei-

nem
A 2

der Clariſſa.
ſind, ſagen, daß ſich die Hitze des jungen Herrn
ſehr abgekuͤhlet, als er ſein Blut von dem Arm
haͤuffig herab flieſſen ſahe, und daß er die großmuͤ-
thigen Dienſte ſeines Gegners angenommen, der
ihm Rock und Weſte ausziehen half, und ihm den
Arm bis auf Ankunft des Wund-Artztes verband.
Er ſoll dieſes alles ſo geduldig gelitten haben, daß
dadurch der Beſuch, welchen ſein Gegner hernach
bey ihm abſtatten wollte, um ſich nach ſeinem Be-
finden zu erkundigen, weder fuͤr eine Verſpottung
noch fuͤr unzeitig konnte gehalten werden.

Doch dem ſey wie ihm wolle, jederman bedau-
ret Sie. So ſtandhaft und immer einerley in
Jhrer Auffuͤhrung! So begierig, wie Sie oft ge-
ſagt haben, unbemerckt durch das Leben hin-
durch zu ſchleichen,
und welches ich noch hinzu
ſetzen moͤchte, in Jhren verborgenen Gutthaͤtigkei-
ten nicht erkannt und beobachtet zu werden, weil
Jhnen das bloſſe Bewuſtſeyn derſelben, der edelſte
und vortreflichſte Lohn ſchien! Nuͤtzlich ohne es
ſcheinen zu wollen!
nach Jhrem wohl ausge-
ſuchten Wahlſpruch: Und dennoch auf einmahl
zu Jhrem groſſem Verdruß in die Nachrede der
Leute gebracht! und in ihrem eigenen Hauſe mit
der Schuld fremder Vergehungen belaͤſtiget!
Wie muß eine ſolche Tugend in jedem Stuͤcke lei-
den! Unterdeſſen muß man geſtehen, daß Jhre
Pruͤfung Jhrer Klugheit gemaͤß iſt.

Da Jhre Freunde auſſer Hauſe beſorget ſind,
daß ein ſo hefftiger Streit, deſſen ſich dem Anſchein
nach die beyden Haͤuſer annehmen und ihn zu ei-

nem
A 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0023" n="3"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
&#x017F;ind, &#x017F;agen, daß &#x017F;ich die Hitze des jungen Herrn<lb/>
&#x017F;ehr abgeku&#x0364;hlet, als er &#x017F;ein Blut von dem Arm<lb/>
ha&#x0364;uffig herab flie&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ahe, und daß er die großmu&#x0364;-<lb/>
thigen Dien&#x017F;te &#x017F;eines Gegners angenommen, der<lb/>
ihm Rock und We&#x017F;te ausziehen half, und ihm den<lb/>
Arm bis auf Ankunft des Wund-Artztes verband.<lb/>
Er &#x017F;oll die&#x017F;es alles &#x017F;o geduldig gelitten haben, daß<lb/>
dadurch der Be&#x017F;uch, welchen &#x017F;ein Gegner hernach<lb/>
bey ihm ab&#x017F;tatten wollte, um &#x017F;ich nach &#x017F;einem Be-<lb/>
finden zu erkundigen, weder fu&#x0364;r eine Ver&#x017F;pottung<lb/>
noch fu&#x0364;r unzeitig konnte gehalten werden.</p><lb/>
          <p>Doch dem &#x017F;ey wie ihm wolle, jederman bedau-<lb/>
ret Sie. So &#x017F;tandhaft und immer einerley in<lb/>
Jhrer Auffu&#x0364;hrung! So begierig, wie Sie oft ge-<lb/>
&#x017F;agt haben, <hi rendition="#fr">unbemerckt durch das Leben hin-<lb/>
durch zu &#x017F;chleichen,</hi> und welches ich noch hinzu<lb/>
&#x017F;etzen mo&#x0364;chte, in Jhren verborgenen Guttha&#x0364;tigkei-<lb/>
ten nicht erkannt und beobachtet zu werden, weil<lb/>
Jhnen das blo&#x017F;&#x017F;e Bewu&#x017F;t&#x017F;eyn der&#x017F;elben, der edel&#x017F;te<lb/>
und vortreflich&#x017F;te Lohn &#x017F;chien! <hi rendition="#fr">Nu&#x0364;tzlich ohne es<lb/>
&#x017F;cheinen zu wollen!</hi> nach Jhrem wohl ausge-<lb/>
&#x017F;uchten Wahl&#x017F;pruch: Und dennoch auf einmahl<lb/>
zu Jhrem gro&#x017F;&#x017F;em Verdruß in die Nachrede der<lb/>
Leute gebracht! und in ihrem eigenen Hau&#x017F;e mit<lb/>
der Schuld fremder Vergehungen bela&#x0364;&#x017F;tiget!<lb/>
Wie muß eine &#x017F;olche Tugend in jedem Stu&#x0364;cke lei-<lb/>
den! Unterde&#x017F;&#x017F;en muß man ge&#x017F;tehen, daß Jhre<lb/>
Pru&#x0364;fung Jhrer Klugheit gema&#x0364;ß i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Da Jhre Freunde au&#x017F;&#x017F;er Hau&#x017F;e be&#x017F;orget &#x017F;ind,<lb/>
daß ein &#x017F;o hefftiger Streit, de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich dem An&#x017F;chein<lb/>
nach die beyden Ha&#x0364;u&#x017F;er annehmen und ihn zu ei-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 2</fw><fw place="bottom" type="catch">nem</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0023] der Clariſſa. ſind, ſagen, daß ſich die Hitze des jungen Herrn ſehr abgekuͤhlet, als er ſein Blut von dem Arm haͤuffig herab flieſſen ſahe, und daß er die großmuͤ- thigen Dienſte ſeines Gegners angenommen, der ihm Rock und Weſte ausziehen half, und ihm den Arm bis auf Ankunft des Wund-Artztes verband. Er ſoll dieſes alles ſo geduldig gelitten haben, daß dadurch der Beſuch, welchen ſein Gegner hernach bey ihm abſtatten wollte, um ſich nach ſeinem Be- finden zu erkundigen, weder fuͤr eine Verſpottung noch fuͤr unzeitig konnte gehalten werden. Doch dem ſey wie ihm wolle, jederman bedau- ret Sie. So ſtandhaft und immer einerley in Jhrer Auffuͤhrung! So begierig, wie Sie oft ge- ſagt haben, unbemerckt durch das Leben hin- durch zu ſchleichen, und welches ich noch hinzu ſetzen moͤchte, in Jhren verborgenen Gutthaͤtigkei- ten nicht erkannt und beobachtet zu werden, weil Jhnen das bloſſe Bewuſtſeyn derſelben, der edelſte und vortreflichſte Lohn ſchien! Nuͤtzlich ohne es ſcheinen zu wollen! nach Jhrem wohl ausge- ſuchten Wahlſpruch: Und dennoch auf einmahl zu Jhrem groſſem Verdruß in die Nachrede der Leute gebracht! und in ihrem eigenen Hauſe mit der Schuld fremder Vergehungen belaͤſtiget! Wie muß eine ſolche Tugend in jedem Stuͤcke lei- den! Unterdeſſen muß man geſtehen, daß Jhre Pruͤfung Jhrer Klugheit gemaͤß iſt. Da Jhre Freunde auſſer Hauſe beſorget ſind, daß ein ſo hefftiger Streit, deſſen ſich dem Anſchein nach die beyden Haͤuſer annehmen und ihn zu ei- nem A 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/23
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/23>, abgerufen am 25.04.2024.