[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.Die Geschichte würdiger wird, weil sie sich zu Jhrer Gemüths-Beschaffenheit schickt. Allein verlassen Sie sich nicht zuviel darauf: Sie sind in Gefahr; Sie mögen es wissen oder nicht, so will doch die Liebe in Jhrem Hertzen Platz nehmen. Selbst Jhre angebohrne Grosmuth und Jhr edles Hertz setzen Sie in Gefahr: und alle die Jhrigen streiten für ihn, wenn Sie auf eine unvernünftige Weise wider ihn streiten. Jch will Leib und Leben da- bey verpfänden, daß Lovelace ungeachtet aller seiner Beständigkeit und Ehrerbietung doch schon weiter gesehen hat, als seine Beständigkeit und Ehrerbietung, diese so glücklich angenommene Ei- genschaften wenn er Jhr Hertz besiegen will, ihm erlauben werden, frey zu gestehen. Er hat gesehen, daß seine Feinde besser für ihn arbeiten, als er selbst zu thun im Stande seyn würde. Sie haben bey andern bemerckt, daß nichts so scharfsichtig ist, als ein hochmüthiger Liebhaber, denn dieser entdecke so gar Zuneigung, wo keine ist, und werde schwer- lich die Zuneigung unbemerckt lassen, wo sie sich in der That befindet. Wer aber hat jemals Herrn Lovelace für demüthig gehalten. Kurtz, ich mache aus seinem freymüthigen Be- den
Die Geſchichte wuͤrdiger wird, weil ſie ſich zu Jhrer Gemuͤths-Beſchaffenheit ſchickt. Allein verlaſſen Sie ſich nicht zuviel darauf: Sie ſind in Gefahr; Sie moͤgen es wiſſen oder nicht, ſo will doch die Liebe in Jhrem Hertzen Platz nehmen. Selbſt Jhre angebohrne Grosmuth und Jhr edles Hertz ſetzen Sie in Gefahr: und alle die Jhrigen ſtreiten fuͤr ihn, wenn Sie auf eine unvernuͤnftige Weiſe wider ihn ſtreiten. Jch will Leib und Leben da- bey verpfaͤnden, daß Lovelace ungeachtet aller ſeiner Beſtaͤndigkeit und Ehrerbietung doch ſchon weiter geſehen hat, als ſeine Beſtaͤndigkeit und Ehrerbietung, dieſe ſo gluͤcklich angenommene Ei- genſchaften wenn er Jhr Hertz beſiegen will, ihm erlauben werden, frey zu geſtehen. Er hat geſehen, daß ſeine Feinde beſſer fuͤr ihn arbeiten, als er ſelbſt zu thun im Stande ſeyn wuͤrde. Sie haben bey andern bemerckt, daß nichts ſo ſcharfſichtig iſt, als ein hochmuͤthiger Liebhaber, denn dieſer entdecke ſo gar Zuneigung, wo keine iſt, und werde ſchwer- lich die Zuneigung unbemerckt laſſen, wo ſie ſich in der That befindet. Wer aber hat jemals Herrn Lovelace fuͤr demuͤthig gehalten. Kurtz, ich mache aus ſeinem freymuͤthigen Be- den
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Die Geſchichte
wuͤrdiger wird, weil ſie ſich zu Jhrer Gemuͤths-
Beſchaffenheit ſchickt. Allein verlaſſen Sie ſich
nicht zuviel darauf: Sie ſind in Gefahr; Sie
moͤgen es wiſſen oder nicht, ſo will doch die Liebe
in Jhrem Hertzen Platz nehmen. Selbſt Jhre
angebohrne Grosmuth und Jhr edles Hertz ſetzen
Sie in Gefahr: und alle die Jhrigen ſtreiten fuͤr
ihn, wenn Sie auf eine unvernuͤnftige Weiſe
wider ihn ſtreiten. Jch will Leib und Leben da-
bey verpfaͤnden, daß Lovelace ungeachtet aller
ſeiner Beſtaͤndigkeit und Ehrerbietung doch ſchon
weiter geſehen hat, als ſeine Beſtaͤndigkeit und
Ehrerbietung, dieſe ſo gluͤcklich angenommene Ei-
genſchaften wenn er Jhr Hertz beſiegen will, ihm
erlauben werden, frey zu geſtehen. Er hat geſehen,
daß ſeine Feinde beſſer fuͤr ihn arbeiten, als er ſelbſt
zu thun im Stande ſeyn wuͤrde. Sie haben bey
andern bemerckt, daß nichts ſo ſcharfſichtig iſt, als
ein hochmuͤthiger Liebhaber, denn dieſer entdecke
ſo gar Zuneigung, wo keine iſt, und werde ſchwer-
lich die Zuneigung unbemerckt laſſen, wo ſie ſich in
der That befindet. Wer aber hat jemals Herrn
Lovelace fuͤr demuͤthig gehalten.
Kurtz, ich mache aus ſeinem freymuͤthigen Be-
tragen, und daraus, daß man keine Spur einer
Bekuͤmmerniß bey ihm wahrnimt, den Schluß,
daß er tiefer in ihr Hertz geſehen haben muͤſſe,
als ich; tiefer als Sie glauben daß man ſehen
koͤnne; ja tiefer als Sie ſelbſt ſehen. Denn da-
von bin ich verſichert, daß ſie es mir nicht wuͤr-
den
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