Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
giebt, dem geben andre auch nichts nach, und
wer zuviel erhalten will, der verliert alles.

Können Sie wol rathen, mein Hertz, was
der alte lehreiche Knabe, der immer prediget, die
unempfindliche Seele von groben Sinnen, Jhr
Onckle Anton/ was der für eine Absicht hat, die
ihn so oft in unser Haus führet? Man sieht nichts
als Freundlichkeit und Lächeln an ihm und meiner
Mutter: einer rühmt immer des andern Haus-
haltung. "So fange ich das Ding an" heißt
"es:" und so mache ich es auch "- -" ich
"freue mich/ mein Herr daß Jhnen meine
"Weise gefällt/ "- -" Sie sehen recht ge-
"nau auf alles/ gnädige Frau. " - -" Ach!
"es würde nichts im Hause geschehen/ al-
"les würde liegen bleiben/ wenn ich nicht
"da wäre."
Beyde schelten auf ihre Bedienten,
und rühmen ihre eigene Klugheit in der Haushal-
tung. Man hört so viel von, mein Hertz! und,
in aller Welt - - - um Gottes willen/ wie
verständig fangen sie es an!
Bisweilen reden
sie gantz leise, und wispern sich noch etwas in die
Ohren, wenn ich über ihrer Unterredung unver-
muthet in die Stube komme. Jn der That, das
Ding fängt mir an nur halb zu gefallen.

Mein eintziger Trost ist, daß die alten Hägestol-
tzen so viel Jahre Zeit brauchen, sich auf das Hey-
rathen zu bedencken, als sie etwan hoffen können
noch in der Welt zu leben. Wäre das nicht, so
würde ich Feuer geben, wenn er meine Mutter zu
oft besucht: und würde lieber Herrn Hickman als

einen
Erster Theil. G

der Clariſſa.
giebt, dem geben andre auch nichts nach, und
wer zuviel erhalten will, der verliert alles.

Koͤnnen Sie wol rathen, mein Hertz, was
der alte lehreiche Knabe, der immer prediget, die
unempfindliche Seele von groben Sinnen, Jhr
Onckle Anton/ was der fuͤr eine Abſicht hat, die
ihn ſo oft in unſer Haus fuͤhret? Man ſieht nichts
als Freundlichkeit und Laͤcheln an ihm und meiner
Mutter: einer ruͤhmt immer des andern Haus-
haltung. „So fange ich das Ding an„ heißt
„es:„ und ſo mache ich es auch „‒ ‒„ ich
„freue mich/ mein Herr daß Jhnen meine
„Weiſe gefaͤllt/ „‒ ‒„ Sie ſehen recht ge-
„nau auf alles/ gnaͤdige Frau. „ ‒ ‒„ Ach!
„es wuͤrde nichts im Hauſe geſchehen/ al-
„les wuͤrde liegen bleiben/ wenn ich nicht
„da waͤre.„
Beyde ſchelten auf ihre Bedienten,
und ruͤhmen ihre eigene Klugheit in der Haushal-
tung. Man hoͤrt ſo viel von, mein Hertz! und,
in aller Welt ‒ ‒ ‒ um Gottes willen/ wie
verſtaͤndig fangen ſie es an!
Bisweilen reden
ſie gantz leiſe, und wiſpern ſich noch etwas in die
Ohren, wenn ich uͤber ihrer Unterredung unver-
muthet in die Stube komme. Jn der That, das
Ding faͤngt mir an nur halb zu gefallen.

Mein eintziger Troſt iſt, daß die alten Haͤgeſtol-
tzen ſo viel Jahre Zeit brauchen, ſich auf das Hey-
rathen zu bedencken, als ſie etwan hoffen koͤnnen
noch in der Welt zu leben. Waͤre das nicht, ſo
wuͤrde ich Feuer geben, wenn er meine Mutter zu
oft beſucht: und wuͤrde lieber Herrn Hickman als

einen
Erſter Theil. G
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0117" n="97"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
giebt, <choice><sic>denn</sic><corr>dem</corr></choice> geben andre auch nichts nach, und<lb/>
wer zuviel erhalten will, der verliert alles.</p><lb/>
        <p>Ko&#x0364;nnen Sie wol rathen, mein Hertz, was<lb/>
der alte lehreiche Knabe, der immer prediget, die<lb/>
unempfindliche Seele von groben Sinnen, Jhr<lb/>
Onckle <hi rendition="#fr">Anton/</hi> was der fu&#x0364;r eine Ab&#x017F;icht hat, die<lb/>
ihn &#x017F;o oft in un&#x017F;er Haus fu&#x0364;hret? Man &#x017F;ieht nichts<lb/>
als Freundlichkeit und La&#x0364;cheln an ihm und meiner<lb/>
Mutter: einer ru&#x0364;hmt immer des andern Haus-<lb/>
haltung. <hi rendition="#fr">&#x201E;So fange ich das Ding an&#x201E;</hi> heißt<lb/>
&#x201E;es:&#x201E; <hi rendition="#fr">und &#x017F;o mache ich es auch &#x201E;&#x2012; &#x2012;&#x201E; ich<lb/>
&#x201E;freue mich/ mein Herr daß Jhnen meine<lb/>
&#x201E;Wei&#x017F;e gefa&#x0364;llt/ &#x201E;&#x2012; &#x2012;&#x201E; Sie &#x017F;ehen recht ge-<lb/>
&#x201E;nau auf alles/ gna&#x0364;dige Frau. &#x201E; &#x2012; &#x2012;&#x201E; Ach!<lb/>
&#x201E;es wu&#x0364;rde nichts im Hau&#x017F;e ge&#x017F;chehen/ al-<lb/>
&#x201E;les wu&#x0364;rde liegen bleiben/ wenn ich nicht<lb/>
&#x201E;da wa&#x0364;re.&#x201E;</hi> Beyde &#x017F;chelten auf ihre Bedienten,<lb/>
und ru&#x0364;hmen ihre eigene Klugheit in der Haushal-<lb/>
tung. Man ho&#x0364;rt &#x017F;o viel von, <hi rendition="#fr">mein Hertz!</hi> und,<lb/><hi rendition="#fr">in aller Welt &#x2012; &#x2012; &#x2012; um Gottes willen/ wie<lb/>
ver&#x017F;ta&#x0364;ndig fangen &#x017F;ie es an!</hi> Bisweilen reden<lb/>
&#x017F;ie gantz lei&#x017F;e, und wi&#x017F;pern &#x017F;ich noch etwas in die<lb/>
Ohren, wenn ich u&#x0364;ber ihrer Unterredung unver-<lb/>
muthet in die Stube komme. Jn der That, das<lb/>
Ding fa&#x0364;ngt mir an nur halb zu gefallen.</p><lb/>
        <p>Mein eintziger Tro&#x017F;t i&#x017F;t, daß die alten Ha&#x0364;ge&#x017F;tol-<lb/>
tzen &#x017F;o viel Jahre Zeit brauchen, &#x017F;ich auf das Hey-<lb/>
rathen zu bedencken, als &#x017F;ie etwan hoffen ko&#x0364;nnen<lb/>
noch in der Welt zu leben. Wa&#x0364;re das nicht, &#x017F;o<lb/>
wu&#x0364;rde ich Feuer geben, wenn er meine Mutter zu<lb/>
oft be&#x017F;ucht: und wu&#x0364;rde lieber Herrn H<hi rendition="#fr">ickman</hi> als<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Er&#x017F;ter Theil.</hi> G</fw><fw place="bottom" type="catch">einen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0117] der Clariſſa. giebt, dem geben andre auch nichts nach, und wer zuviel erhalten will, der verliert alles. Koͤnnen Sie wol rathen, mein Hertz, was der alte lehreiche Knabe, der immer prediget, die unempfindliche Seele von groben Sinnen, Jhr Onckle Anton/ was der fuͤr eine Abſicht hat, die ihn ſo oft in unſer Haus fuͤhret? Man ſieht nichts als Freundlichkeit und Laͤcheln an ihm und meiner Mutter: einer ruͤhmt immer des andern Haus- haltung. „So fange ich das Ding an„ heißt „es:„ und ſo mache ich es auch „‒ ‒„ ich „freue mich/ mein Herr daß Jhnen meine „Weiſe gefaͤllt/ „‒ ‒„ Sie ſehen recht ge- „nau auf alles/ gnaͤdige Frau. „ ‒ ‒„ Ach! „es wuͤrde nichts im Hauſe geſchehen/ al- „les wuͤrde liegen bleiben/ wenn ich nicht „da waͤre.„ Beyde ſchelten auf ihre Bedienten, und ruͤhmen ihre eigene Klugheit in der Haushal- tung. Man hoͤrt ſo viel von, mein Hertz! und, in aller Welt ‒ ‒ ‒ um Gottes willen/ wie verſtaͤndig fangen ſie es an! Bisweilen reden ſie gantz leiſe, und wiſpern ſich noch etwas in die Ohren, wenn ich uͤber ihrer Unterredung unver- muthet in die Stube komme. Jn der That, das Ding faͤngt mir an nur halb zu gefallen. Mein eintziger Troſt iſt, daß die alten Haͤgeſtol- tzen ſo viel Jahre Zeit brauchen, ſich auf das Hey- rathen zu bedencken, als ſie etwan hoffen koͤnnen noch in der Welt zu leben. Waͤre das nicht, ſo wuͤrde ich Feuer geben, wenn er meine Mutter zu oft beſucht: und wuͤrde lieber Herrn Hickman als einen Erſter Theil. G

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/117
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/117>, abgerufen am 23.11.2024.