Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.die Verhältnisse zu seiner Sinnlichkeit und Vernunft zu rauben. Er würde sich gewiß nicht wie eine Sappho ins Meer gestürzt, oder wie ein Rance in ein Karthäuserkloster geworfen haben. Er vergaß sich selbst und sein Verhältniß zu den Dingen um ihn her nie weiter, als es nöthig war, um seiner Imagination ein freyes Feld zu lieblichen Schöpfungen zu lassen. Er liebte nicht Lauren selbst, sondern die Bilder, die er von ihrer Person und ihren Beschaffenheiten aufnahm, und vermittelst seines Schönheitssinnes verarbeitete. Das Außerordentliche in dieser Stimmung ist bloß die Dauer derselben, der Reichthum und die Vortrefflichkeit der Bilder, die sie ihm eingab. Aber die Dauer läßt sich aus den Lagen und Umständen erklären, die ich vorhin entwickelt habe. Der Reichthum gehört großen Theils seinen Vorgängern, den Alten und den Troubadours. Die mehrsten seiner Bilder findet man schon bey diesen. Petrarka hatte weit mehr Talent als Genie, weit mehr Kunst, zu bearbeiten und auszuschmücken, als zu schaffen. Seine Bekanntschaft mit den Alten, und besonders mit den Ideen des Plato, hatte aber seinen Geschmack gebildet, und erhob ihn über die Dichter seines Jahrhunderts und der beyden vorhergegangenen. Daher finden wir so viel schönere und so viel erhabenere Bilder bey ihm als bey seinen Vorgängern. Es läßt sich nach dem Charakter des Petrarka und nach der ganzen Art seines Genies kaum erwarten, daß er ein völlig zusammenhängendes System über die Liebe gehabt habe. Diejenigen, welche ihm das System des Plato beylegen, haben wahrscheinlich das Charakteristische des letzten nicht völlig begriffen. die Verhältnisse zu seiner Sinnlichkeit und Vernunft zu rauben. Er würde sich gewiß nicht wie eine Sappho ins Meer gestürzt, oder wie ein Rance in ein Karthäuserkloster geworfen haben. Er vergaß sich selbst und sein Verhältniß zu den Dingen um ihn her nie weiter, als es nöthig war, um seiner Imagination ein freyes Feld zu lieblichen Schöpfungen zu lassen. Er liebte nicht Lauren selbst, sondern die Bilder, die er von ihrer Person und ihren Beschaffenheiten aufnahm, und vermittelst seines Schönheitssinnes verarbeitete. Das Außerordentliche in dieser Stimmung ist bloß die Dauer derselben, der Reichthum und die Vortrefflichkeit der Bilder, die sie ihm eingab. Aber die Dauer läßt sich aus den Lagen und Umständen erklären, die ich vorhin entwickelt habe. Der Reichthum gehört großen Theils seinen Vorgängern, den Alten und den Troubadours. Die mehrsten seiner Bilder findet man schon bey diesen. Petrarka hatte weit mehr Talent als Genie, weit mehr Kunst, zu bearbeiten und auszuschmücken, als zu schaffen. Seine Bekanntschaft mit den Alten, und besonders mit den Ideen des Plato, hatte aber seinen Geschmack gebildet, und erhob ihn über die Dichter seines Jahrhunderts und der beyden vorhergegangenen. Daher finden wir so viel schönere und so viel erhabenere Bilder bey ihm als bey seinen Vorgängern. Es läßt sich nach dem Charakter des Petrarka und nach der ganzen Art seines Genies kaum erwarten, daß er ein völlig zusammenhängendes System über die Liebe gehabt habe. Diejenigen, welche ihm das System des Plato beylegen, haben wahrscheinlich das Charakteristische des letzten nicht völlig begriffen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0225" n="225"/> die Verhältnisse zu seiner Sinnlichkeit und Vernunft zu rauben. Er würde sich gewiß nicht wie eine Sappho ins Meer gestürzt, oder wie ein Rance in ein Karthäuserkloster geworfen haben. Er vergaß sich selbst und sein Verhältniß zu den Dingen um ihn her nie weiter, als es nöthig war, um seiner Imagination ein freyes Feld zu lieblichen Schöpfungen zu lassen. Er liebte nicht Lauren selbst, sondern die Bilder, die er von ihrer Person und ihren Beschaffenheiten aufnahm, und vermittelst seines Schönheitssinnes verarbeitete.</p> <p>Das Außerordentliche in dieser Stimmung ist bloß die Dauer derselben, der Reichthum und die Vortrefflichkeit der Bilder, die sie ihm eingab. Aber die Dauer läßt sich aus den Lagen und Umständen erklären, die ich vorhin entwickelt habe. Der Reichthum gehört großen Theils seinen Vorgängern, den Alten und den Troubadours. Die mehrsten seiner Bilder findet man schon bey diesen. Petrarka hatte weit mehr Talent als Genie, weit mehr Kunst, zu bearbeiten und auszuschmücken, als zu schaffen. Seine Bekanntschaft mit den Alten, und besonders mit den Ideen des Plato, hatte aber seinen Geschmack gebildet, und erhob ihn über die Dichter seines Jahrhunderts und der beyden vorhergegangenen. Daher finden wir so viel schönere und so viel erhabenere Bilder bey ihm als bey seinen Vorgängern.</p> <p>Es läßt sich nach dem Charakter des Petrarka und nach der ganzen Art seines Genies kaum erwarten, daß er ein völlig zusammenhängendes System über die Liebe gehabt habe. Diejenigen, welche ihm das System des Plato beylegen, haben wahrscheinlich das Charakteristische des letzten nicht völlig begriffen. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [225/0225]
die Verhältnisse zu seiner Sinnlichkeit und Vernunft zu rauben. Er würde sich gewiß nicht wie eine Sappho ins Meer gestürzt, oder wie ein Rance in ein Karthäuserkloster geworfen haben. Er vergaß sich selbst und sein Verhältniß zu den Dingen um ihn her nie weiter, als es nöthig war, um seiner Imagination ein freyes Feld zu lieblichen Schöpfungen zu lassen. Er liebte nicht Lauren selbst, sondern die Bilder, die er von ihrer Person und ihren Beschaffenheiten aufnahm, und vermittelst seines Schönheitssinnes verarbeitete.
Das Außerordentliche in dieser Stimmung ist bloß die Dauer derselben, der Reichthum und die Vortrefflichkeit der Bilder, die sie ihm eingab. Aber die Dauer läßt sich aus den Lagen und Umständen erklären, die ich vorhin entwickelt habe. Der Reichthum gehört großen Theils seinen Vorgängern, den Alten und den Troubadours. Die mehrsten seiner Bilder findet man schon bey diesen. Petrarka hatte weit mehr Talent als Genie, weit mehr Kunst, zu bearbeiten und auszuschmücken, als zu schaffen. Seine Bekanntschaft mit den Alten, und besonders mit den Ideen des Plato, hatte aber seinen Geschmack gebildet, und erhob ihn über die Dichter seines Jahrhunderts und der beyden vorhergegangenen. Daher finden wir so viel schönere und so viel erhabenere Bilder bey ihm als bey seinen Vorgängern.
Es läßt sich nach dem Charakter des Petrarka und nach der ganzen Art seines Genies kaum erwarten, daß er ein völlig zusammenhängendes System über die Liebe gehabt habe. Diejenigen, welche ihm das System des Plato beylegen, haben wahrscheinlich das Charakteristische des letzten nicht völlig begriffen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-20T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-20T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |