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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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Doktor Ypsilon war auch, wie ich er-
wartet, für mein Projekt sofort Feuer und
Flamme. "Verlassen Sie sich auf mich, er-
wiederte er, und sollte ich selbst darüber den
Kopf, und Theresel das Leben verlieren,
so muß sie doch bongre malgre den höch-
sten Grad des Hellsehens erreichen, und
hinter der großen Seherin in keiner ihrer
wunderbaren Fakultäten zurückbleiben.

In der That segnete der Himmel unsern
guten Vorsatz auf das sichtlichste. Der Er-
folg übertraf noch die kühnsten Wünsche,
denn ehe sechs Wochen vergingen, sah The-
resel schon oben und unten, rechts und links,
geistig und körperlich, durch sich und Andere
hindurch, und Geister aller Taillen und Far-
ben gingen bei ihr aus und ein, wie in einer
Schenke. Man muß zwar gestehen, es wa-
ren nicht immer die geistreichsten. Wir hat-
ten sogar in diesem Punkt Unglück, aber ein
sonderbares Vorurtheil dieser Erde ist es
auch, zu glauben: daß alle Geister Geist
haben müßten -- gewiß eben so wenig, als
alle Menschen menschlich sind. Gibt es doch
sogar dumme Teufel, warum sollte es
nicht auch dumme Geister geben!

Dem sey nun wie ihm wolle, kurz, der
von mir so lang ersehnte Zeitpunkt war da,

Doktor Ypſilon war auch, wie ich er-
wartet, fuͤr mein Projekt ſofort Feuer und
Flamme. »Verlaſſen Sie ſich auf mich, er-
wiederte er, und ſollte ich ſelbſt daruͤber den
Kopf, und Thereſel das Leben verlieren,
ſo muß ſie doch bongré malgré den hoͤch-
ſten Grad des Hellſehens erreichen, und
hinter der großen Seherin in keiner ihrer
wunderbaren Fakultaͤten zuruͤckbleiben.

In der That ſegnete der Himmel unſern
guten Vorſatz auf das ſichtlichſte. Der Er-
folg uͤbertraf noch die kuͤhnſten Wuͤnſche,
denn ehe ſechs Wochen vergingen, ſah The-
reſel ſchon oben und unten, rechts und links,
geiſtig und koͤrperlich, durch ſich und Andere
hindurch, und Geiſter aller Taillen und Far-
ben gingen bei ihr aus und ein, wie in einer
Schenke. Man muß zwar geſtehen, es wa-
ren nicht immer die geiſtreichſten. Wir hat-
ten ſogar in dieſem Punkt Ungluͤck, aber ein
ſonderbares Vorurtheil dieſer Erde iſt es
auch, zu glauben: daß alle Geiſter Geiſt
haben muͤßten — gewiß eben ſo wenig, als
alle Menſchen menſchlich ſind. Gibt es doch
ſogar dumme Teufel, warum ſollte es
nicht auch dumme Geiſter geben!

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von mir ſo lang erſehnte Zeitpunkt war da,

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[IX/0017] Doktor Ypſilon war auch, wie ich er- wartet, fuͤr mein Projekt ſofort Feuer und Flamme. »Verlaſſen Sie ſich auf mich, er- wiederte er, und ſollte ich ſelbſt daruͤber den Kopf, und Thereſel das Leben verlieren, ſo muß ſie doch bongré malgré den hoͤch- ſten Grad des Hellſehens erreichen, und hinter der großen Seherin in keiner ihrer wunderbaren Fakultaͤten zuruͤckbleiben. In der That ſegnete der Himmel unſern guten Vorſatz auf das ſichtlichſte. Der Er- folg uͤbertraf noch die kuͤhnſten Wuͤnſche, denn ehe ſechs Wochen vergingen, ſah The- reſel ſchon oben und unten, rechts und links, geiſtig und koͤrperlich, durch ſich und Andere hindurch, und Geiſter aller Taillen und Far- ben gingen bei ihr aus und ein, wie in einer Schenke. Man muß zwar geſtehen, es wa- ren nicht immer die geiſtreichſten. Wir hat- ten ſogar in dieſem Punkt Ungluͤck, aber ein ſonderbares Vorurtheil dieſer Erde iſt es auch, zu glauben: daß alle Geiſter Geiſt haben muͤßten — gewiß eben ſo wenig, als alle Menſchen menſchlich ſind. Gibt es doch ſogar dumme Teufel, warum ſollte es nicht auch dumme Geiſter geben! Dem ſey nun wie ihm wolle, kurz, der von mir ſo lang erſehnte Zeitpunkt war da,

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/17>, abgerufen am 18.04.2024.