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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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ausser sich: "Lob ist Lust, die das einzige ist, was
der Mensch unaufhörlich verschlucken kann und
muß." Flitte nicht anders; neuerfrischt zog er
den Notar auf die Stadtgassen hinaus, um ihm
einige Freuden zu machen und sich Platz. Näm¬
lich die alten Gläubiger jagten ihm so eifrig nach
als er neuen; da er nun die Maxime der Römer
kannte, welche nach Montesquieu so weit als
möglich vom Hause Krieg führten: so war er
selten zu Hause. Beide durchstrichen die Morgen¬
stadt; und Walten wurde sehr wohl. Da Flitte
der Stadt sich zeigen wollte -- nämlich den Ka¬
bels-All-Erbenharnisch in der Probewoche -- so
sprach er mit vielen ein Wort; und der Notar
stand glücklich dabei. Vor jedem Parterre-Fen¬
ster -- par-terre, sagte Flitte, sprechen die
Deutschen ganz falsch aus -- klopft' er wie an ei¬
ner Glasthüre an und sagte dem aufmachenden
Mädchenkopfe, dem noch die halbe Aurora des
Morgenschlafs anschwebte, hundert gute Dinge,
und die Tochter in der Morgenkleidung mußte
am Fensterrahmen fortnähen. Oft gab er ohne
weiteres Fragen Küsse von aussen hinein -- was

auſſer ſich: „Lob iſt Luſt, die das einzige iſt, was
der Menſch unaufhoͤrlich verſchlucken kann und
muß.“ Flitte nicht anders; neuerfriſcht zog er
den Notar auf die Stadtgaſſen hinaus, um ihm
einige Freuden zu machen und ſich Platz. Naͤm¬
lich die alten Glaͤubiger jagten ihm ſo eifrig nach
als er neuen; da er nun die Maxime der Roͤmer
kannte, welche nach Montesquieu ſo weit als
moͤglich vom Hauſe Krieg fuͤhrten: ſo war er
ſelten zu Hauſe. Beide durchſtrichen die Morgen¬
ſtadt; und Walten wurde ſehr wohl. Da Flitte
der Stadt ſich zeigen wollte — naͤmlich den Ka¬
bels-All-Erbenharniſch in der Probewoche — ſo
ſprach er mit vielen ein Wort; und der Notar
ſtand gluͤcklich dabei. Vor jedem Parterre-Fen¬
ſter — par-terre, ſagte Flitte, ſprechen die
Deutſchen ganz falſch aus — klopft' er wie an ei¬
ner Glasthuͤre an und ſagte dem aufmachenden
Maͤdchenkopfe, dem noch die halbe Aurora des
Morgenſchlafs anſchwebte, hundert gute Dinge,
und die Tochter in der Morgenkleidung mußte
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[34/0040] auſſer ſich: „Lob iſt Luſt, die das einzige iſt, was der Menſch unaufhoͤrlich verſchlucken kann und muß.“ Flitte nicht anders; neuerfriſcht zog er den Notar auf die Stadtgaſſen hinaus, um ihm einige Freuden zu machen und ſich Platz. Naͤm¬ lich die alten Glaͤubiger jagten ihm ſo eifrig nach als er neuen; da er nun die Maxime der Roͤmer kannte, welche nach Montesquieu ſo weit als moͤglich vom Hauſe Krieg fuͤhrten: ſo war er ſelten zu Hauſe. Beide durchſtrichen die Morgen¬ ſtadt; und Walten wurde ſehr wohl. Da Flitte der Stadt ſich zeigen wollte — naͤmlich den Ka¬ bels-All-Erbenharniſch in der Probewoche — ſo ſprach er mit vielen ein Wort; und der Notar ſtand gluͤcklich dabei. Vor jedem Parterre-Fen¬ ſter — par-terre, ſagte Flitte, ſprechen die Deutſchen ganz falſch aus — klopft' er wie an ei¬ ner Glasthuͤre an und ſagte dem aufmachenden Maͤdchenkopfe, dem noch die halbe Aurora des Morgenſchlafs anſchwebte, hundert gute Dinge, und die Tochter in der Morgenkleidung mußte am Fenſterrahmen fortnaͤhen. Oft gab er ohne weiteres Fragen Kuͤſſe von auſſen hinein — was

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/40>, abgerufen am 19.04.2024.