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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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"Ja wohl den armen Bruder, fuhr er fort;
"denn er hat gewiß keine Geliebte, deren Liebes¬
"blick ihm wie ein Lebensbrennpunkt im Herzen
"bleibt." Nun ging er ganz ins Einzelne und
stellte sich -- nach seinem Instinkte, der ihn stets
in die fremde Seele trieb und in ihr über sie hin¬
zuschauen zwang -- an Vults Stelle, wie dieser
nichts habe, nichts wisse (vom Wasserfalle näm¬
lich) wie er alles oder vieles so sehr gut meine,
besonders für Walt, wie er nur herrschsüchtig hart
verfahre u. s. w.

In dieser Gesinnung beschloß er, zum Bru¬
der zu gehen und kein Wort zu sagen über die
Essig-Sache, sondern blos mit seiner Hand eine
schon in Mutterleib verknüpft gewesene anzufassen
und einiges gelassen zu besprechen, besonders was
bevorstehende Wahl eines neuen Erbamts betreffe.

Vult war verreiset. Ein Briefchen an Walt
war an die Thür gesiegelt: "Bester! Ich reisete
heute flüchtig ab, um in Rosenhof mein verspro¬
chenes Konzert zu blasen. Künftig arbeit' ich viel
fleißiger; denn wirklich thu' ich für unsern Ge¬
sammt-Roman zu wenig, besonders da ich gar

„Ja wohl den armen Bruder, fuhr er fort;
„denn er hat gewiß keine Geliebte, deren Liebes¬
„blick ihm wie ein Lebensbrennpunkt im Herzen
„bleibt.“ Nun ging er ganz ins Einzelne und
ſtellte ſich — nach ſeinem Inſtinkte, der ihn ſtets
in die fremde Seele trieb und in ihr uͤber ſie hin¬
zuſchauen zwang — an Vults Stelle, wie dieſer
nichts habe, nichts wiſſe (vom Waſſerfalle naͤm¬
lich) wie er alles oder vieles ſo ſehr gut meine,
beſonders fuͤr Walt, wie er nur herrſchſuͤchtig hart
verfahre u. ſ. w.

In dieſer Geſinnung beſchloß er, zum Bru¬
der zu gehen und kein Wort zu ſagen uͤber die
Eſſig-Sache, ſondern blos mit ſeiner Hand eine
ſchon in Mutterleib verknuͤpft geweſene anzufaſſen
und einiges gelaſſen zu beſprechen, beſonders was
bevorſtehende Wahl eines neuen Erbamts betreffe.

Vult war verreiſet. Ein Briefchen an Walt
war an die Thuͤr geſiegelt: „Beſter! Ich reiſete
heute fluͤchtig ab, um in Roſenhof mein verſpro¬
chenes Konzert zu blaſen. Kuͤnftig arbeit' ich viel
fleißiger; denn wirklich thu' ich fuͤr unſern Ge¬
ſammt-Roman zu wenig, beſonders da ich gar

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[13/0019] „Ja wohl den armen Bruder, fuhr er fort; „denn er hat gewiß keine Geliebte, deren Liebes¬ „blick ihm wie ein Lebensbrennpunkt im Herzen „bleibt.“ Nun ging er ganz ins Einzelne und ſtellte ſich — nach ſeinem Inſtinkte, der ihn ſtets in die fremde Seele trieb und in ihr uͤber ſie hin¬ zuſchauen zwang — an Vults Stelle, wie dieſer nichts habe, nichts wiſſe (vom Waſſerfalle naͤm¬ lich) wie er alles oder vieles ſo ſehr gut meine, beſonders fuͤr Walt, wie er nur herrſchſuͤchtig hart verfahre u. ſ. w. In dieſer Geſinnung beſchloß er, zum Bru¬ der zu gehen und kein Wort zu ſagen uͤber die Eſſig-Sache, ſondern blos mit ſeiner Hand eine ſchon in Mutterleib verknuͤpft geweſene anzufaſſen und einiges gelaſſen zu beſprechen, beſonders was bevorſtehende Wahl eines neuen Erbamts betreffe. Vult war verreiſet. Ein Briefchen an Walt war an die Thuͤr geſiegelt: „Beſter! Ich reiſete heute fluͤchtig ab, um in Roſenhof mein verſpro¬ chenes Konzert zu blaſen. Kuͤnftig arbeit' ich viel fleißiger; denn wirklich thu' ich fuͤr unſern Ge¬ ſammt-Roman zu wenig, beſonders da ich gar

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/19>, abgerufen am 28.03.2024.