Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

--------

Einen nachhaltigen Eindruck gewährte es, als im Jahre 1811 Theodor Körner in unser Haus kam. Mein Vater war mit Körners Aeltern in Dresden auf das innigste befreundet, und nahm nicht den geringsten Anstoß daran, daß der Sohn kurz vorher von der Leipziger Universität relegirt war. Damals gab es böse Reibungen unter den dortigen Studenten; die Adligen hatten erklärt, sich nicht mit den Bürgerlichen schlagen zu wollen; Körner stand an der Spitze der bürgerlichen Vereinigung; er zwang einen Adligen den Zweikampf anzunehmen, und erhielt einen Hieb ins Gesicht, der ihm leicht ein Auge hätte kosten können.

Als er zu uns eintrat, jagte er den Kindern anfangs Furcht und Schrecken ein. Die mehr schlanke als breitschultrige Gestalt erschien uns von riesiger Größe. Er ging ganz schwarz gekleidet; der enganliegende Gehrock war mit Schnüren besetzt. Auf der noch nicht ganz vernarbten Wunde trug er ein schwarzes Pflaster, und um dies zu verbergen, zog er eine dicke Locke seiner prächtigen schwarzen Haare darüber, die auch das ganze Auge verdeckte. Tante Jettchen nannte ihn deshalb den Cyklopen. Aber es dauerte gar nicht lauge, so war er der Liebling der Kinder geworden, ohne daß ich recht anzugeben wüßte, worin dies gelegen. Er gab sich gar nicht besonders viel mit uns ab, aber er war eben eine gerade, offene, liebenswürdige Natur, die jeden für sich einnehmen mußte. Wenn wir des Abends in der Kinderstube hörten, Herr Körner sei vorn, so ließen wir die Schularbeiten liegen, und eilten in das Besuchzimmer. Mit einer schönen, klangvollen Baßstimme las er eigne und fremde Gedichte vor, wobei der sächsische Dialekt uns nur anfangs störte: wir wurden von seiner Begeisterung mit fortgerissen.

————

Einen nachhaltigen Eindruck gewährte es, als im Jahre 1811 Theodor Körner in unser Haus kam. Mein Vater war mit Körners Aeltern in Dresden auf das innigste befreundet, und nahm nicht den geringsten Anstoß daran, daß der Sohn kurz vorher von der Leipziger Universität relegirt war. Damals gab es böse Reibungen unter den dortigen Studenten; die Adligen hatten erklärt, sich nicht mit den Bürgerlichen schlagen zu wollen; Körner stand an der Spitze der bürgerlichen Vereinigung; er zwang einen Adligen den Zweikampf anzunehmen, und erhielt einen Hieb ins Gesicht, der ihm leicht ein Auge hätte kosten können.

Als er zu uns eintrat, jagte er den Kindern anfangs Furcht und Schrecken ein. Die mehr schlanke als breitschultrige Gestalt erschien uns von riesiger Größe. Er ging ganz schwarz gekleidet; der enganliegende Gehrock war mit Schnüren besetzt. Auf der noch nicht ganz vernarbten Wunde trug er ein schwarzes Pflaster, und um dies zu verbergen, zog er eine dicke Locke seiner prächtigen schwarzen Haare darüber, die auch das ganze Auge verdeckte. Tante Jettchen nannte ihn deshalb den Cyklopen. Aber es dauerte gar nicht lauge, so war er der Liebling der Kinder geworden, ohne daß ich recht anzugeben wüßte, worin dies gelegen. Er gab sich gar nicht besonders viel mit uns ab, aber er war eben eine gerade, offene, liebenswürdige Natur, die jeden für sich einnehmen mußte. Wenn wir des Abends in der Kinderstube hörten, Herr Körner sei vorn, so ließen wir die Schularbeiten liegen, und eilten in das Besuchzimmer. Mit einer schönen, klangvollen Baßstimme las er eigne und fremde Gedichte vor, wobei der sächsische Dialekt uns nur anfangs störte: wir wurden von seiner Begeisterung mit fortgerissen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p>
            <pb facs="#f0209" n="197"/>
          </p><lb/>
          <p rendition="#c">&#x2014;&#x2014;&#x2014;&#x2014;</p><lb/>
          <p>Einen nachhaltigen Eindruck gewährte es, als im Jahre 1811 Theodor Körner in unser Haus kam. Mein Vater war mit Körners Aeltern in Dresden auf das innigste befreundet, und nahm nicht den geringsten Anstoß daran, daß der Sohn kurz vorher von der Leipziger Universität relegirt war. Damals gab es böse Reibungen unter den dortigen Studenten; die Adligen hatten erklärt, sich nicht mit den Bürgerlichen schlagen zu wollen; Körner stand an der Spitze der bürgerlichen Vereinigung; er zwang einen Adligen den Zweikampf anzunehmen, und erhielt einen Hieb ins Gesicht, der ihm leicht ein Auge hätte kosten können. </p><lb/>
          <p>Als er zu uns eintrat, jagte er den Kindern anfangs Furcht und Schrecken ein. Die mehr schlanke als breitschultrige Gestalt erschien uns von riesiger Größe. Er ging ganz schwarz gekleidet; der enganliegende Gehrock war mit Schnüren besetzt. Auf der noch nicht ganz vernarbten Wunde trug er ein schwarzes Pflaster, und um dies zu verbergen, zog er eine dicke Locke seiner prächtigen schwarzen Haare darüber, die auch das ganze Auge verdeckte. Tante Jettchen nannte ihn deshalb den Cyklopen. Aber es dauerte gar nicht lauge, so war er der Liebling der Kinder geworden, ohne daß ich recht anzugeben wüßte, worin dies gelegen. Er gab sich gar nicht besonders viel mit uns ab, aber er war eben eine gerade, offene, liebenswürdige Natur, die jeden für sich einnehmen mußte. Wenn wir des Abends in der Kinderstube hörten, Herr Körner sei vorn, so ließen wir die Schularbeiten liegen, und eilten in das Besuchzimmer. Mit einer schönen, klangvollen Baßstimme las er eigne und fremde Gedichte vor, wobei der sächsische Dialekt uns nur anfangs störte: wir wurden von seiner Begeisterung mit fortgerissen.
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0209] ———— Einen nachhaltigen Eindruck gewährte es, als im Jahre 1811 Theodor Körner in unser Haus kam. Mein Vater war mit Körners Aeltern in Dresden auf das innigste befreundet, und nahm nicht den geringsten Anstoß daran, daß der Sohn kurz vorher von der Leipziger Universität relegirt war. Damals gab es böse Reibungen unter den dortigen Studenten; die Adligen hatten erklärt, sich nicht mit den Bürgerlichen schlagen zu wollen; Körner stand an der Spitze der bürgerlichen Vereinigung; er zwang einen Adligen den Zweikampf anzunehmen, und erhielt einen Hieb ins Gesicht, der ihm leicht ein Auge hätte kosten können. Als er zu uns eintrat, jagte er den Kindern anfangs Furcht und Schrecken ein. Die mehr schlanke als breitschultrige Gestalt erschien uns von riesiger Größe. Er ging ganz schwarz gekleidet; der enganliegende Gehrock war mit Schnüren besetzt. Auf der noch nicht ganz vernarbten Wunde trug er ein schwarzes Pflaster, und um dies zu verbergen, zog er eine dicke Locke seiner prächtigen schwarzen Haare darüber, die auch das ganze Auge verdeckte. Tante Jettchen nannte ihn deshalb den Cyklopen. Aber es dauerte gar nicht lauge, so war er der Liebling der Kinder geworden, ohne daß ich recht anzugeben wüßte, worin dies gelegen. Er gab sich gar nicht besonders viel mit uns ab, aber er war eben eine gerade, offene, liebenswürdige Natur, die jeden für sich einnehmen mußte. Wenn wir des Abends in der Kinderstube hörten, Herr Körner sei vorn, so ließen wir die Schularbeiten liegen, und eilten in das Besuchzimmer. Mit einer schönen, klangvollen Baßstimme las er eigne und fremde Gedichte vor, wobei der sächsische Dialekt uns nur anfangs störte: wir wurden von seiner Begeisterung mit fortgerissen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/209
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/209>, abgerufen am 23.11.2024.