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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 118. Leipzig (Sachsen), 5. April 1855.

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[Beginn Spaltensatz] er zerstörte alle noch übrigen Raubburgen und ließ
auch 1321 die Raspenburg vernichten.

An den Fall dieser Burg knüpfen die Thüringer
folgende Sage:

Die letzten Raubritter auf der Raspenburg waren
zwei Brüder, Hayno und Wolfram von Raspenburg.
Sie hatten den friedlichen Bewohnern des Landes so-
wie vorüberziehenden Fremdlingen schon unendlich viel
Leid zugefügt, da wagten sie es auch, einen Brautzug
zu überfallen, als derselbe eben von der Trauung aus
der Kirche heimwärts kehrte. Alles Bitten der Land-
leute war umsonst; die Ritter schleppten nicht nur die
junge Frau, sondern auch selbst ihre Aeltern mit auf
ihr Raubnest. Als sie oben auf der Burg angekom-
men waren, sprach sich der Vater der jungen Frau
gegen die Ritter Hayno und Wolfram ziemlich derb
aus und rief ihnen drohend zu: "Nur Geduld, Euch
trifft schon noch die Strafe und ehe Jhr es denkt,
wird mein Eidam mich und meine liebe Tochter be-
freien."

Oho, lachten die Ritter, wer will uns auf unserer
Veste zu nahe kommen? Wenn sich die Schwalben
nicht gegen uns bewaffnen, werden wir wol sicher
wohnen

Der alte Schwiegervater schwieg und wartete auf
die Hülfe seines Sohnes, aber vergebens. Als jedoch
Landgraf Friedrich mit seinen Truppen anrückte, befand
sich unter denselben auch ein armer Ritter mit Namen
Luitfried von Schwalb, dessen bewaffnete Scharen
nach ihrem Commandanten die Schwalben genannt
wurden.

Luitfried hörte von dem durch Hayno und Wolfram
verübten Frauenraube und erfuhr gar bald, daß die
Geraubte einst seine Erkorene war. Er erbat sich
darum von seinem Landesfürsten sogleich die Erlaub-
niß, die Burg erstürmen und die Raubritter lebendig
oder todt seinem Herrn überbringen zu dürfen. Da
Luitfried von Schwalb die Burg genau kannte, so
wurde ihm die erbetene Erlaubniß gern gegeben. Als
er nun vor der Raspenburg erschien, verhöhnten die
zwei Raubhähne den jungen Retter und meinten, er
werde sich an ihrer Veste jedenfalls die Zähne verge-
bens ausbeißen. Aber Luitfried faßte die Burg an der
ihm wohlbekannten schwächsten Seite an, erstürmte sie
kampfesmuthig und ehe es sich Hayno und Wolfram
versahen, waren sie in seiner Gewalt. Sie wollten sich
ihm nicht ergeben und wurden darum erschlagen.

Die junge Frau war nun befreit. Sie erkannte in
Luitfried von Schwalb bald ihren Liebling und Ret-
ter, darum verließ sie ihren angetrauten Eheherrn und
reichte ihre Hand dem Ritter, den der Landgraf als
Anerkenntniß seiner Tapferkeit mit Gütern und Ehren
belohnte.



Fürst Paskiewitsch und der Tatar.

Als in den ersten Tagen des October vorigen Jahres
die bekannte Tatarennachricht vom Falle Sewastopols
die Welt durchlief, erhielt ein vermögender, in War-
schau wohnender Gutsbesitzer aus dem galizischen Grenz-
städtchen S. einen Brief des Jnhalts, daß Odessa in
Asche gelegt und Sewastopol genommen sei. Eben
befanden sich bei besagtem Edelmann einige Gäste,
denen er den Brief vorlas, zugleich aber ersuchte er
dieselben, diese Kunde nicht weiter zu verbreiten. Letz-
[Spaltenumbruch] teres geschah aber dennoch und einige Stunden später
sprach man in ganz Warschau von nichts anderm als
von der Einäscherung Odessas und dem Falle Sewa-
stopols. Dies wurde dem Fürsten=Statthalter Pas-
kiewitsch gemeldet. Der Fürst ließ sogleich den Guts-
besitzer zu sich berufen und fragte ihn: "Woher haben
Sie, Graf, solche Nachrichten?"

Der Gefragte übergab hierauf dem Fürsten den
erwähnten Brief.

Das Alles ist aber nicht wahr! sagte der Fürst.

Jch glaube es gern, erwiderte der Graf, und ich
habe diese mir zugekommene falsche Nachricht nur
im vertrauten kleinen Kreise einigen meiner Freunde
und sogar mit der Warnung mitgetheilt, solche ja
nicht zu verbreiten.

Die Regierung setzt vollkommenes Zutrauen in
Sie, und da Sie bereits viele Beweise Jhrer Loyali-
tät geliefert haben, so sind wir fern von dem Gedan-
ken, Sie hierfür zu strafen. Jndessen wünsche ich,
Sie möchten sich durch eine Lustreise nach Odessa und
Sewastopol selbst überzeugen, daß das verbreitete Ge-
rücht völlig falsch ist.

Wie Euer Durchlaucht befehlen!

Begeben Sie sich also zu meinem Secretär und
dieser wird Jhnen die weitere Weisung ertheilen.

Der Graf begab sich unverzüglich zu diesem und
erhielt von ihm einen bereits fertigen Reisepaß. Kaum
aber in seiner Wohnung angelangt, sieht er einen Feld-
jäger eintreten, der ihm meldet, daß Wagen und Post-
pferde schon in Bereitschaft ständen. Während nun in
ganz Europa der Freudenruf von der Einnahme Se-
wastopols und der Zerstörung Odessas ertönte, trat un-
ser Graf mit vier feurigen Kurierpferden die unfrei-
willige Reise an, um sich zu überzeugen, ob der Ta-
tar die Wahrheit gesprochen. Unterwegs ward ihm
kein Aufenthalt gestattet.

Jn Odessa brachte man denselben vor den Palast
des Gouverneurs, der ihn sehr artig empfing, auf der
Stelle aber zur Weiterreise nach Sewastopol anwies.
Auch hier war dessen Aufnahme von Seiten des Für-
sten Mentschikoff sehr höflich. Er wurde überall her-
umgeführt, dann aber augenblicklich zur Rückreise nach
Warschau veranlaßt, wo er, kaum aus dem Wagen
gestiegen, dem Fürsten=Statthalter gemeldet ward.

Nun, nicht wahr, empfing ihn dieser, Odessa und
Sewastopol sind nicht genommen?

Ach, Durchlaucht, erwiderte der durch die weite
Kurierreise ganz ermattete Graf, beide Städte stehen
fest, so fest, daß sie niemals eingenommen werden
können.

Gehen Sie also, Herr Graf, nach Hause, laden
Sie Jhre vertrauten Freunde zu sich ein und erzählen
Sie ihnen das unter dem Siegel der Verschwiegenheit,
damit heute noch ganz Warschau davon wisse.

Kaum war der Graf nach Hause gekommen, trat
wiederum derselbe Feldjäger rasch ein und überreichte
ihm -- die Reisekostenrechnung. Siebentausend und
einige Hundert Silberrubel mußte der Graf bezahlen.

Von nun an theilt in Warschau Niemand -- selbst
dem vertrautesten Freunde -- Nachrichten vom Kriegs-
schauplatze mit, selbst wenn dieselben in den amtlichen
Zeitungen stehen.



[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] er zerstörte alle noch übrigen Raubburgen und ließ
auch 1321 die Raspenburg vernichten.

An den Fall dieser Burg knüpfen die Thüringer
folgende Sage:

Die letzten Raubritter auf der Raspenburg waren
zwei Brüder, Hayno und Wolfram von Raspenburg.
Sie hatten den friedlichen Bewohnern des Landes so-
wie vorüberziehenden Fremdlingen schon unendlich viel
Leid zugefügt, da wagten sie es auch, einen Brautzug
zu überfallen, als derselbe eben von der Trauung aus
der Kirche heimwärts kehrte. Alles Bitten der Land-
leute war umsonst; die Ritter schleppten nicht nur die
junge Frau, sondern auch selbst ihre Aeltern mit auf
ihr Raubnest. Als sie oben auf der Burg angekom-
men waren, sprach sich der Vater der jungen Frau
gegen die Ritter Hayno und Wolfram ziemlich derb
aus und rief ihnen drohend zu: „Nur Geduld, Euch
trifft schon noch die Strafe und ehe Jhr es denkt,
wird mein Eidam mich und meine liebe Tochter be-
freien.“

Oho, lachten die Ritter, wer will uns auf unserer
Veste zu nahe kommen? Wenn sich die Schwalben
nicht gegen uns bewaffnen, werden wir wol sicher
wohnen

Der alte Schwiegervater schwieg und wartete auf
die Hülfe seines Sohnes, aber vergebens. Als jedoch
Landgraf Friedrich mit seinen Truppen anrückte, befand
sich unter denselben auch ein armer Ritter mit Namen
Luitfried von Schwalb, dessen bewaffnete Scharen
nach ihrem Commandanten die Schwalben genannt
wurden.

Luitfried hörte von dem durch Hayno und Wolfram
verübten Frauenraube und erfuhr gar bald, daß die
Geraubte einst seine Erkorene war. Er erbat sich
darum von seinem Landesfürsten sogleich die Erlaub-
niß, die Burg erstürmen und die Raubritter lebendig
oder todt seinem Herrn überbringen zu dürfen. Da
Luitfried von Schwalb die Burg genau kannte, so
wurde ihm die erbetene Erlaubniß gern gegeben. Als
er nun vor der Raspenburg erschien, verhöhnten die
zwei Raubhähne den jungen Retter und meinten, er
werde sich an ihrer Veste jedenfalls die Zähne verge-
bens ausbeißen. Aber Luitfried faßte die Burg an der
ihm wohlbekannten schwächsten Seite an, erstürmte sie
kampfesmuthig und ehe es sich Hayno und Wolfram
versahen, waren sie in seiner Gewalt. Sie wollten sich
ihm nicht ergeben und wurden darum erschlagen.

Die junge Frau war nun befreit. Sie erkannte in
Luitfried von Schwalb bald ihren Liebling und Ret-
ter, darum verließ sie ihren angetrauten Eheherrn und
reichte ihre Hand dem Ritter, den der Landgraf als
Anerkenntniß seiner Tapferkeit mit Gütern und Ehren
belohnte.



Fürst Paskiewitsch und der Tatar.

Als in den ersten Tagen des October vorigen Jahres
die bekannte Tatarennachricht vom Falle Sewastopols
die Welt durchlief, erhielt ein vermögender, in War-
schau wohnender Gutsbesitzer aus dem galizischen Grenz-
städtchen S. einen Brief des Jnhalts, daß Odessa in
Asche gelegt und Sewastopol genommen sei. Eben
befanden sich bei besagtem Edelmann einige Gäste,
denen er den Brief vorlas, zugleich aber ersuchte er
dieselben, diese Kunde nicht weiter zu verbreiten. Letz-
[Spaltenumbruch] teres geschah aber dennoch und einige Stunden später
sprach man in ganz Warschau von nichts anderm als
von der Einäscherung Odessas und dem Falle Sewa-
stopols. Dies wurde dem Fürsten=Statthalter Pas-
kiewitsch gemeldet. Der Fürst ließ sogleich den Guts-
besitzer zu sich berufen und fragte ihn: „Woher haben
Sie, Graf, solche Nachrichten?“

Der Gefragte übergab hierauf dem Fürsten den
erwähnten Brief.

Das Alles ist aber nicht wahr! sagte der Fürst.

Jch glaube es gern, erwiderte der Graf, und ich
habe diese mir zugekommene falsche Nachricht nur
im vertrauten kleinen Kreise einigen meiner Freunde
und sogar mit der Warnung mitgetheilt, solche ja
nicht zu verbreiten.

Die Regierung setzt vollkommenes Zutrauen in
Sie, und da Sie bereits viele Beweise Jhrer Loyali-
tät geliefert haben, so sind wir fern von dem Gedan-
ken, Sie hierfür zu strafen. Jndessen wünsche ich,
Sie möchten sich durch eine Lustreise nach Odessa und
Sewastopol selbst überzeugen, daß das verbreitete Ge-
rücht völlig falsch ist.

Wie Euer Durchlaucht befehlen!

Begeben Sie sich also zu meinem Secretär und
dieser wird Jhnen die weitere Weisung ertheilen.

Der Graf begab sich unverzüglich zu diesem und
erhielt von ihm einen bereits fertigen Reisepaß. Kaum
aber in seiner Wohnung angelangt, sieht er einen Feld-
jäger eintreten, der ihm meldet, daß Wagen und Post-
pferde schon in Bereitschaft ständen. Während nun in
ganz Europa der Freudenruf von der Einnahme Se-
wastopols und der Zerstörung Odessas ertönte, trat un-
ser Graf mit vier feurigen Kurierpferden die unfrei-
willige Reise an, um sich zu überzeugen, ob der Ta-
tar die Wahrheit gesprochen. Unterwegs ward ihm
kein Aufenthalt gestattet.

Jn Odessa brachte man denselben vor den Palast
des Gouverneurs, der ihn sehr artig empfing, auf der
Stelle aber zur Weiterreise nach Sewastopol anwies.
Auch hier war dessen Aufnahme von Seiten des Für-
sten Mentschikoff sehr höflich. Er wurde überall her-
umgeführt, dann aber augenblicklich zur Rückreise nach
Warschau veranlaßt, wo er, kaum aus dem Wagen
gestiegen, dem Fürsten=Statthalter gemeldet ward.

Nun, nicht wahr, empfing ihn dieser, Odessa und
Sewastopol sind nicht genommen?

Ach, Durchlaucht, erwiderte der durch die weite
Kurierreise ganz ermattete Graf, beide Städte stehen
fest, so fest, daß sie niemals eingenommen werden
können.

Gehen Sie also, Herr Graf, nach Hause, laden
Sie Jhre vertrauten Freunde zu sich ein und erzählen
Sie ihnen das unter dem Siegel der Verschwiegenheit,
damit heute noch ganz Warschau davon wisse.

Kaum war der Graf nach Hause gekommen, trat
wiederum derselbe Feldjäger rasch ein und überreichte
ihm — die Reisekostenrechnung. Siebentausend und
einige Hundert Silberrubel mußte der Graf bezahlen.

Von nun an theilt in Warschau Niemand — selbst
dem vertrautesten Freunde — Nachrichten vom Kriegs-
schauplatze mit, selbst wenn dieselben in den amtlichen
Zeitungen stehen.



[Ende Spaltensatz]
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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 118. Leipzig (Sachsen), 5. April 1855, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig118_1855/6>, abgerufen am 23.11.2024.