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N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386.

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steht es sich von selbst; hier war er wieder zugleich Anschürer und Versöhner.
Als man zuerst mit dreifarbigen Fahnen und Cocarden auftrat, wußte er diese
Zeichen sinnig zu erklären. Als Semmig sich erhob und von seinem Standpunkt
aus erklärte, er wisse nicht recht, warum er sich mit den Liberalen verbinden solle,
da diese doch zu seinen Zwecken nicht mitwirken dürften, beschwor ihn Blum, jetzt
im Augenblick der gemeinsamen Noth der alten Differenzen nicht zu gedenken, und
Semmig versprach es auch, worüber Alles gerührt war.

Komisch war es übrigens, wie er sich zwischen den Sympathien für das re¬
publikanische Frankreich und dem deutschen, dem Wälschen abholden Wesen, das
er doch mitunter zur Schau zu tragen für gut fand, durchzuwinden wußte. So
bei dem ersten Reformbanquet, wo er auf das Wohl der Franzosen trank, aber
ohne sie zu nennen.

Das Hauptquartier Blum's und seiner Partei war eine kleine, entlegene
Kneipe, wo sie mit einander conspirirten, d. h. sie saßen in unheimlicher verlege¬
ner Stille -- und sahen einander bedeutungsvoll an. In der That war man
in einiger Verlegenheit: seine Forderungen hatte man gestellt, sie waren zurück¬
gewiesen, was nun weiter zu thun, war schwer zu sagen, denn in Leipzig selbst
war kein Feind zu bekämpfen, höchstens brachte man Brockhaus eine Katzenmusik,
die Schützen zeigten sich nirgend, und Blum rieth mit ganz richtigem Tact dem
Volk, seinen frühern Feinden freundlich entgegen zu kommen, nicht sie zu necken.
So zog man mehrmals vor das Schloß und brachte ihnen ein Vivat.

Blum wußte mitunter die Stimme eines weisen Politikers anzunehmen, der
Alles vorher berechne. Den zweiten Tag sagte er, als er in eine kleine Gesell¬
schaft von Gleichgesinnten kam, mit dem treuherzigen Tone dumpfen Schmerzes,
den man ihm nicht leicht nachmachen wird: Bürger, es verbreitet sich die un¬
heilvolle
Kunde, daß man unsere Forderungen gewährt hat. -- Nämlich nun
habe die Aufregung ein Ende.

In der Stadtverordnetenversammlung spielte Blum neben Biedermann immer
nur die zweite Rolle. Er suchte einige Male durch Gelehrsamkeit zu imponiren:
Ruge gab ihm die Karlsbader Conferenzbeschlüsse mit und Blum konnte nun mit
historischen Documenten die Abscheulichkeit der regierenden Potentaten nachweisen,
aber er machte damit kein Glück. Ein andermal wurde ihm die Pointe abge¬
schnitten. Er declamirte mit einer beliebten rhetorischen Figur: "Noch halten wir
die Aufregung der Leipziger in Schranken (was beiläufig nicht schwer war, denn
bei dem großen Theil des Volkes sah diese Aufregung sehr bescheiden und etwas
künstlich aus), aber wer will dafür bürgen, daß, wenn man noch länger ansteht,
die Forderungen des Volkes zu erfüllen, dieses endlich in seinem gerechten Zorn
alle Gesetze mit Füßen tritt!" -- "Wer dafür stehen will?" rief Otto Wigand,
der nicht eingeweiht war, heftig aus, indem er auf den Tisch schlug; "ich will
dafür stehn! mein Leipzig wird nie ungesetzlich sein!" So war die Pointe verfehlt.

steht es sich von selbst; hier war er wieder zugleich Anschürer und Versöhner.
Als man zuerst mit dreifarbigen Fahnen und Cocarden auftrat, wußte er diese
Zeichen sinnig zu erklären. Als Semmig sich erhob und von seinem Standpunkt
aus erklärte, er wisse nicht recht, warum er sich mit den Liberalen verbinden solle,
da diese doch zu seinen Zwecken nicht mitwirken dürften, beschwor ihn Blum, jetzt
im Augenblick der gemeinsamen Noth der alten Differenzen nicht zu gedenken, und
Semmig versprach es auch, worüber Alles gerührt war.

Komisch war es übrigens, wie er sich zwischen den Sympathien für das re¬
publikanische Frankreich und dem deutschen, dem Wälschen abholden Wesen, das
er doch mitunter zur Schau zu tragen für gut fand, durchzuwinden wußte. So
bei dem ersten Reformbanquet, wo er auf das Wohl der Franzosen trank, aber
ohne sie zu nennen.

Das Hauptquartier Blum's und seiner Partei war eine kleine, entlegene
Kneipe, wo sie mit einander conspirirten, d. h. sie saßen in unheimlicher verlege¬
ner Stille — und sahen einander bedeutungsvoll an. In der That war man
in einiger Verlegenheit: seine Forderungen hatte man gestellt, sie waren zurück¬
gewiesen, was nun weiter zu thun, war schwer zu sagen, denn in Leipzig selbst
war kein Feind zu bekämpfen, höchstens brachte man Brockhaus eine Katzenmusik,
die Schützen zeigten sich nirgend, und Blum rieth mit ganz richtigem Tact dem
Volk, seinen frühern Feinden freundlich entgegen zu kommen, nicht sie zu necken.
So zog man mehrmals vor das Schloß und brachte ihnen ein Vivat.

Blum wußte mitunter die Stimme eines weisen Politikers anzunehmen, der
Alles vorher berechne. Den zweiten Tag sagte er, als er in eine kleine Gesell¬
schaft von Gleichgesinnten kam, mit dem treuherzigen Tone dumpfen Schmerzes,
den man ihm nicht leicht nachmachen wird: Bürger, es verbreitet sich die un¬
heilvolle
Kunde, daß man unsere Forderungen gewährt hat. — Nämlich nun
habe die Aufregung ein Ende.

In der Stadtverordnetenversammlung spielte Blum neben Biedermann immer
nur die zweite Rolle. Er suchte einige Male durch Gelehrsamkeit zu imponiren:
Ruge gab ihm die Karlsbader Conferenzbeschlüsse mit und Blum konnte nun mit
historischen Documenten die Abscheulichkeit der regierenden Potentaten nachweisen,
aber er machte damit kein Glück. Ein andermal wurde ihm die Pointe abge¬
schnitten. Er declamirte mit einer beliebten rhetorischen Figur: „Noch halten wir
die Aufregung der Leipziger in Schranken (was beiläufig nicht schwer war, denn
bei dem großen Theil des Volkes sah diese Aufregung sehr bescheiden und etwas
künstlich aus), aber wer will dafür bürgen, daß, wenn man noch länger ansteht,
die Forderungen des Volkes zu erfüllen, dieses endlich in seinem gerechten Zorn
alle Gesetze mit Füßen tritt!“ — „Wer dafür stehen will?“ rief Otto Wigand,
der nicht eingeweiht war, heftig aus, indem er auf den Tisch schlug; „ich will
dafür stehn! mein Leipzig wird nie ungesetzlich sein!“ So war die Pointe verfehlt.

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[378/0013] steht es sich von selbst; hier war er wieder zugleich Anschürer und Versöhner. Als man zuerst mit dreifarbigen Fahnen und Cocarden auftrat, wußte er diese Zeichen sinnig zu erklären. Als Semmig sich erhob und von seinem Standpunkt aus erklärte, er wisse nicht recht, warum er sich mit den Liberalen verbinden solle, da diese doch zu seinen Zwecken nicht mitwirken dürften, beschwor ihn Blum, jetzt im Augenblick der gemeinsamen Noth der alten Differenzen nicht zu gedenken, und Semmig versprach es auch, worüber Alles gerührt war. Komisch war es übrigens, wie er sich zwischen den Sympathien für das re¬ publikanische Frankreich und dem deutschen, dem Wälschen abholden Wesen, das er doch mitunter zur Schau zu tragen für gut fand, durchzuwinden wußte. So bei dem ersten Reformbanquet, wo er auf das Wohl der Franzosen trank, aber ohne sie zu nennen. Das Hauptquartier Blum's und seiner Partei war eine kleine, entlegene Kneipe, wo sie mit einander conspirirten, d. h. sie saßen in unheimlicher verlege¬ ner Stille — und sahen einander bedeutungsvoll an. In der That war man in einiger Verlegenheit: seine Forderungen hatte man gestellt, sie waren zurück¬ gewiesen, was nun weiter zu thun, war schwer zu sagen, denn in Leipzig selbst war kein Feind zu bekämpfen, höchstens brachte man Brockhaus eine Katzenmusik, die Schützen zeigten sich nirgend, und Blum rieth mit ganz richtigem Tact dem Volk, seinen frühern Feinden freundlich entgegen zu kommen, nicht sie zu necken. So zog man mehrmals vor das Schloß und brachte ihnen ein Vivat. Blum wußte mitunter die Stimme eines weisen Politikers anzunehmen, der Alles vorher berechne. Den zweiten Tag sagte er, als er in eine kleine Gesell¬ schaft von Gleichgesinnten kam, mit dem treuherzigen Tone dumpfen Schmerzes, den man ihm nicht leicht nachmachen wird: Bürger, es verbreitet sich die un¬ heilvolle Kunde, daß man unsere Forderungen gewährt hat. — Nämlich nun habe die Aufregung ein Ende. In der Stadtverordnetenversammlung spielte Blum neben Biedermann immer nur die zweite Rolle. Er suchte einige Male durch Gelehrsamkeit zu imponiren: Ruge gab ihm die Karlsbader Conferenzbeschlüsse mit und Blum konnte nun mit historischen Documenten die Abscheulichkeit der regierenden Potentaten nachweisen, aber er machte damit kein Glück. Ein andermal wurde ihm die Pointe abge¬ schnitten. Er declamirte mit einer beliebten rhetorischen Figur: „Noch halten wir die Aufregung der Leipziger in Schranken (was beiläufig nicht schwer war, denn bei dem großen Theil des Volkes sah diese Aufregung sehr bescheiden und etwas künstlich aus), aber wer will dafür bürgen, daß, wenn man noch länger ansteht, die Forderungen des Volkes zu erfüllen, dieses endlich in seinem gerechten Zorn alle Gesetze mit Füßen tritt!“ — „Wer dafür stehen will?“ rief Otto Wigand, der nicht eingeweiht war, heftig aus, indem er auf den Tisch schlug; „ich will dafür stehn! mein Leipzig wird nie ungesetzlich sein!“ So war die Pointe verfehlt.

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Zitationshilfe: N. N.: Öffentliche Charaktere I: Robert Blum. In: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester, III. Band, S. 366-386, hier S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_charaktere01_1848/13>, abgerufen am 18.04.2024.