Allgemeine Zeitung, Nr. 81, 21. März 1848.[Spaltenumbruch]
sehr ergriffen von den erhebenden und erschütternden Ereignissen des Ta- > Wien, 17 März, Nachmittags 3 Uhr. So eben kehre ich von Die neueste Wiener Zeitung vom 18 März bringt unter ihren ^ Wien, 18 März. Se. Maj. der Kaiser hat zu Vollziehung Oesterreichische Monarchie. *** Pesth, 14 März. Soeben komme ich aus einer stürmischen *) Der Name ist sehr unleserlich geschrieben, es scheint aber Graf Taaffe,
der bisherige Präsident der obersten Justizstelle gemeint zu seyn. [Spaltenumbruch]
ſehr ergriffen von den erhebenden und erſchütternden Ereigniſſen des Ta- > Wien, 17 März, Nachmittags 3 Uhr. So eben kehre ich von Die neueſte Wiener Zeitung vom 18 März bringt unter ihren △ Wien, 18 März. Se. Maj. der Kaiſer hat zu Vollziehung Oeſterreichiſche Monarchie. *** Peſth, 14 März. Soeben komme ich aus einer ſtürmiſchen *) Der Name iſt ſehr unleſerlich geſchrieben, es ſcheint aber Graf Taaffe,
der bisherige Präſident der oberſten Juſtizſtelle gemeint zu ſeyn. <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div type="jArticle" n="4"> <p><pb facs="#f0006"/><cb/> ſehr ergriffen von den erhebenden und erſchütternden Ereigniſſen des Ta-<lb/> ges. Am St. Stephan wird gleichfalls Halt gemacht, und ein herrliches<lb/> deutſches Volkslied geſungen; von der Leſegeſellſchaft wird endlich unter<lb/> ungeheurem Bravo und Hurrahruf geſungen „Was iſt des Deutſchen Vater-<lb/> land.“ Tauſendfache Hoch erſchallen für Deutſchland, <hi rendition="#g">Deutſchlands Ein-<lb/> heit</hi> und den erſten deutſchen conſtitutionellen Kaiſer. Die Nacht iſt ganz ru-<lb/> hig vorübergegangen; nur aus den entfernteren Vorſtädten werden noch im-<lb/> mer von der Nationalgarde und den Studenten zahlreiche Pöbelhaufen,<lb/> welche Brand und Plünderung verſuchten, gefangen eingebracht. Heute<lb/> Morgen um 8 Uhr war in der Univerſitätskirche großes Tedeum, zur<lb/> Feier und zum Dank der errungenen Freiheit und der wiederhergeſtellten<lb/> Ruhe. Um 11 Uhr ſchon verſammeln ſich die ſämmtlichen Corps der<lb/> Bewaffneten zum Leichenbegängniß der Gefallenen. Soviel ich bis jetzt<lb/> mit Beſtimmtheit (da ich ſie todt geſehen) angeben kann, ſind es 46 bis<lb/> 48; indeſſen dürften es wohl 10 bis 15 mehr ſeyn. Der Verwundeten<lb/> ſind etwa 300 bis 500. Die Beſchreibung der Leichenfeier, welche jetzt<lb/> vor ſich geht, in meinem morgigen Brief. <hi rendition="#g">Nachſchrift</hi>. In Böhmen<lb/> fürchtet man von Augenblick zu Augenblick den Ausbruch eines Bauern-<lb/> kriegs. Börſe belebt; 5proc. ſtiegen auf 92, Ferdinands-Nordbahn ſo-<lb/> gar auf 104.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="4"> <dateline>> <hi rendition="#b">Wien</hi>, 17 März, Nachmittags 3 Uhr.</dateline><lb/> <p>So eben kehre ich von<lb/> der Leichenfeier der gefallenen Freiheitskämpfer zurück; es war gewiß<lb/> eine der ſchönſten und impoſanteſten die Deutſchland je erlebt, und ſie<lb/> dürfte würdig der Juliustodtenfeier vom J. 1830 zur Seite geſtellt wer-<lb/> den. Schon gegen 12 Uhr verließen unzählige Bataillone von Studen-<lb/> ten, Nationalgarden und andern bewaffneten Corps, gefolgt von dicht<lb/> gedrängten Menſchenmaſſen, die Stadt um durch das Schottenthor zur<lb/> Alſter-Vorſtadt zu ziehen, wo die Leichen im allgemeinen Krankenhaus<lb/> abgeholt und zum Friedhofe gebracht werden ſollten. Auf dem Glacis und<lb/> der Baſtei ſtanden die aus der Stadt gewichenen Truppen der Linien-<lb/> Jnfanterie und Cavallerie, und die weite Fläche, welche die Stadt von den<lb/> Vorſtädten trennt, glich einem großen Kriegslager. Die Soldaten ſahen<lb/> ermattet und zum Theil mißmuthig aus, denn ſeit drei Tagen ſtehen ſie<lb/> unter Waffen. Große Strohlager, welche man ihnen auf der Erde aus-<lb/> gebreitet, dienten abwechſelnd für die einzelnen Compagnien zur Ruhe-<lb/> ſtätte, wo ſie ſchliefen oder zechten. Es dauerte 2—3 Stunden ehe alle<lb/> Züge der Nationalgarde, Bürgergarde und Studenten zum Thore hin-<lb/> auskamen. Mehrere hundert Fahnen, theils improviſirt aus Fenſter-<lb/> vorhängen und Draperien, theils den Zeughäuſern entnommen, theils<lb/> ſchön aufgeputzt — ein Geſchenk von patriotiſchen Damen — wurden<lb/> unter dumpfem Trommelklang einhergetragen. Viele derſelben trugen<lb/> bedeutſame Inſchriften als: „Ihr Blut hat uns die Freiheit errungen;“<lb/> „Auf ihrem Grabe blühe unſere Freiheit;“ „Standrecht gegen Raub und<lb/> Brandanlegung“; „Verbrüderung der Nationen Oeſterreichs in Freiheit;“<lb/> „Slawa“ (von den Böhmen getragen) u. a. Die meiſten waren mit<lb/> Myrten- und Roſenkränzen umwunden. Eine Dame welche ſich die<lb/> Mühe genommen ſie von ihrem Wagen aus zu zählen, ſagte mir, es ſeyen<lb/> 392 Fahnen bei dem Zuge geweſen. Die Leichen, 11 an der Zahl, waren<lb/> in ſieben Todtenwagen; die übrigen Gefallenen waren ſchon begraben,<lb/> oder gehörten den Vorſtädten an. Die verſchiedenen Abtheilungen der<lb/> Bewaffneten welche denſelben vorangingen oder folgten beſtanden aus:<lb/> 1) der alten Bürgergarde in vielen Bataillonen; 2) den vier Legionen<lb/> der Studenten-, dem Juriſten-, Mediciner-, Philoſophen- und Techniker-<lb/> Corps, zuſammen etwa 4000; 3) den Akademikern, Malern und ſonſti-<lb/> gen Künſtlern; 4) einem eigenen Corps der Böhmen; 5) einem 200 —<lb/> 300 Köpfen ſtarken Zuge von angehenden Geiſtlichen (Seminariſten)<lb/> mit langem Talar und dreieckigen Hüten; 6) den bewaffneten und unbe-<lb/> waffneten Mitgliedern des Leſevereins; 7) unzähligen Abtheilungen der<lb/> neuen Nationalgarde. Zuſammen mochten es ohne Ueberſchätzung 25—<lb/> 30,000 Bewaffnete ſeyn. Am Grabe wurden einige treffliche Reden ge-<lb/> halten; die Namen der Redner werde ich Ihnen ſpäter mittheilen können.<lb/> So ſchloß dieſe denkwürdige Feier, die denkwürdigſte Todtenfeier welche<lb/> je die Kaiſerſtadt erlebt. 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Ueber die Organiſation der neuen Verfaſſung<lb/> werde ich dieſer Tage berichten, da die äußeren Begebenheiten mich ſo<lb/> ſehr in Anſpruch nahmen daß ich ſelbſt das Wichtigſte nicht mit hinrei-<lb/> chender Sicherheit und aus hinreichend verbürgter Quelle erfahren kann.</p><lb/> <p>Die neueſte <hi rendition="#g">Wiener Zeitung</hi> vom 18 März bringt unter ihren<lb/> amtlichen Nachrichten die Meldung daß ein <hi rendition="#g">verantwortlicher Mi-<lb/> niſterrath</hi> gebildet worden. Sollte dieſer Vorgang nicht da, wo<lb/> noch Widerſtreben gegen verantwortliche Miniſter beſteht — namentlich<lb/> in München und Berlin — alle Zweifel beſiegen? Der Artikel lautet:<lb/> „Se. k. k. apoſtol. Majeſtät haben mit allerhöchſter Entſchließung vom<lb/> 17 d. M. die Bildung eines für die Vollziehung und Durchführung der<lb/> in dem allerhöchſten Patente vom 15 März l. J. ausgeſprochenen Grund-<lb/> ſätze verantwortlichen Miniſterrathes zu beſchließen geruht. 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In dem Anſchlag wird erwähnt: 1) <hi rendition="#g">Ein verant-<lb/> wortliches Miniſterium; 2) allgemeine Beſteuerung; 3)<lb/> Preßfreiheit; 4) vollkommene Regelung der Urbarialver-<lb/> hältniſſe; 5) Volksrepräſentation; 6) Gleichheit vor den<lb/> Geſetzen auch in religiöſer Hinſicht; 7) Oeffentlichkeit und<lb/> Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens; 8) Volksbewaffnung;<lb/> 9) die Armee ſoll den Schwur auf die Conſtitution leiſten;<lb/> 10) die ungariſche Armee ſoll außerhalb der Gränzen des<lb/> Reichs nicht verwendet werden dürfen; 11) die fremden Trup-<lb/> pen ſollen aus dem Lande gerufen werden; 12) die Union</hi>.<lb/> Das waren die 12 Punkte die man in der heutigen Sitzung einer reif-<lb/> lichen Discuſſion unterwerfen wollte, um im Falle einer einſtimmigen<lb/> Annahme dieſelben in eine förmliche Petition gekleidet mit etlichen<lb/> tauſend Unterſchriften verſehen an den König gelangen zu laſſen. 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ſehr ergriffen von den erhebenden und erſchütternden Ereigniſſen des Ta-
ges. Am St. Stephan wird gleichfalls Halt gemacht, und ein herrliches
deutſches Volkslied geſungen; von der Leſegeſellſchaft wird endlich unter
ungeheurem Bravo und Hurrahruf geſungen „Was iſt des Deutſchen Vater-
land.“ Tauſendfache Hoch erſchallen für Deutſchland, Deutſchlands Ein-
heit und den erſten deutſchen conſtitutionellen Kaiſer. Die Nacht iſt ganz ru-
hig vorübergegangen; nur aus den entfernteren Vorſtädten werden noch im-
mer von der Nationalgarde und den Studenten zahlreiche Pöbelhaufen,
welche Brand und Plünderung verſuchten, gefangen eingebracht. Heute
Morgen um 8 Uhr war in der Univerſitätskirche großes Tedeum, zur
Feier und zum Dank der errungenen Freiheit und der wiederhergeſtellten
Ruhe. Um 11 Uhr ſchon verſammeln ſich die ſämmtlichen Corps der
Bewaffneten zum Leichenbegängniß der Gefallenen. Soviel ich bis jetzt
mit Beſtimmtheit (da ich ſie todt geſehen) angeben kann, ſind es 46 bis
48; indeſſen dürften es wohl 10 bis 15 mehr ſeyn. Der Verwundeten
ſind etwa 300 bis 500. Die Beſchreibung der Leichenfeier, welche jetzt
vor ſich geht, in meinem morgigen Brief. Nachſchrift. In Böhmen
fürchtet man von Augenblick zu Augenblick den Ausbruch eines Bauern-
kriegs. Börſe belebt; 5proc. ſtiegen auf 92, Ferdinands-Nordbahn ſo-
gar auf 104.
> Wien, 17 März, Nachmittags 3 Uhr.
So eben kehre ich von
der Leichenfeier der gefallenen Freiheitskämpfer zurück; es war gewiß
eine der ſchönſten und impoſanteſten die Deutſchland je erlebt, und ſie
dürfte würdig der Juliustodtenfeier vom J. 1830 zur Seite geſtellt wer-
den. Schon gegen 12 Uhr verließen unzählige Bataillone von Studen-
ten, Nationalgarden und andern bewaffneten Corps, gefolgt von dicht
gedrängten Menſchenmaſſen, die Stadt um durch das Schottenthor zur
Alſter-Vorſtadt zu ziehen, wo die Leichen im allgemeinen Krankenhaus
abgeholt und zum Friedhofe gebracht werden ſollten. Auf dem Glacis und
der Baſtei ſtanden die aus der Stadt gewichenen Truppen der Linien-
Jnfanterie und Cavallerie, und die weite Fläche, welche die Stadt von den
Vorſtädten trennt, glich einem großen Kriegslager. Die Soldaten ſahen
ermattet und zum Theil mißmuthig aus, denn ſeit drei Tagen ſtehen ſie
unter Waffen. Große Strohlager, welche man ihnen auf der Erde aus-
gebreitet, dienten abwechſelnd für die einzelnen Compagnien zur Ruhe-
ſtätte, wo ſie ſchliefen oder zechten. Es dauerte 2—3 Stunden ehe alle
Züge der Nationalgarde, Bürgergarde und Studenten zum Thore hin-
auskamen. Mehrere hundert Fahnen, theils improviſirt aus Fenſter-
vorhängen und Draperien, theils den Zeughäuſern entnommen, theils
ſchön aufgeputzt — ein Geſchenk von patriotiſchen Damen — wurden
unter dumpfem Trommelklang einhergetragen. Viele derſelben trugen
bedeutſame Inſchriften als: „Ihr Blut hat uns die Freiheit errungen;“
„Auf ihrem Grabe blühe unſere Freiheit;“ „Standrecht gegen Raub und
Brandanlegung“; „Verbrüderung der Nationen Oeſterreichs in Freiheit;“
„Slawa“ (von den Böhmen getragen) u. a. Die meiſten waren mit
Myrten- und Roſenkränzen umwunden. Eine Dame welche ſich die
Mühe genommen ſie von ihrem Wagen aus zu zählen, ſagte mir, es ſeyen
392 Fahnen bei dem Zuge geweſen. Die Leichen, 11 an der Zahl, waren
in ſieben Todtenwagen; die übrigen Gefallenen waren ſchon begraben,
oder gehörten den Vorſtädten an. Die verſchiedenen Abtheilungen der
Bewaffneten welche denſelben vorangingen oder folgten beſtanden aus:
1) der alten Bürgergarde in vielen Bataillonen; 2) den vier Legionen
der Studenten-, dem Juriſten-, Mediciner-, Philoſophen- und Techniker-
Corps, zuſammen etwa 4000; 3) den Akademikern, Malern und ſonſti-
gen Künſtlern; 4) einem eigenen Corps der Böhmen; 5) einem 200 —
300 Köpfen ſtarken Zuge von angehenden Geiſtlichen (Seminariſten)
mit langem Talar und dreieckigen Hüten; 6) den bewaffneten und unbe-
waffneten Mitgliedern des Leſevereins; 7) unzähligen Abtheilungen der
neuen Nationalgarde. Zuſammen mochten es ohne Ueberſchätzung 25—
30,000 Bewaffnete ſeyn. Am Grabe wurden einige treffliche Reden ge-
halten; die Namen der Redner werde ich Ihnen ſpäter mittheilen können.
So ſchloß dieſe denkwürdige Feier, die denkwürdigſte Todtenfeier welche
je die Kaiſerſtadt erlebt. Für die Hinterlaſſenen der Gebliebenen und
für ein großartiges Denkmal welches man ihnen errichten will ſammelt
man ſchon ſeit einigen Tagen; auch für die Dürftigen unter den Studen-
ten, welche allenfalls der Unterſtützung in dieſen heißen Tagen bedürfen,
wurden bedeutende Summen geſammelt; Rothſchild, Sina, Stametz-
Meier und Arnſtein und Eskeles allein gaben 15,000 fl. C.-M. Heute
Abend wird die Stadt abermals beleuchtet ſeyn, obſchon faſt keine Fabrik
und kein Laden mehr im Beſitze von Vorräthen an Kerzen iſt. Es ſollen
in den vier Abenden gegen 3—400,000 Pfd. Lichter verbrannt ſeyn!
So freut man ſich hier der Schöpfungstage des neuen geiſtigen Lichts!
— Beiliegend ein Paket mit Liedern und Gedichten, welche ich ſo eben
ohne Auswahl auf der Straße erkauft. Ich glaube ſie werden für Sie
und Ihre Augsburger Freunde Intereſſe haben. (Wir haben oben zwei
der beſten mitgetheilt.) Ueber die Organiſation der neuen Verfaſſung
werde ich dieſer Tage berichten, da die äußeren Begebenheiten mich ſo
ſehr in Anſpruch nahmen daß ich ſelbſt das Wichtigſte nicht mit hinrei-
chender Sicherheit und aus hinreichend verbürgter Quelle erfahren kann.
Die neueſte Wiener Zeitung vom 18 März bringt unter ihren
amtlichen Nachrichten die Meldung daß ein verantwortlicher Mi-
niſterrath gebildet worden. Sollte dieſer Vorgang nicht da, wo
noch Widerſtreben gegen verantwortliche Miniſter beſteht — namentlich
in München und Berlin — alle Zweifel beſiegen? Der Artikel lautet:
„Se. k. k. apoſtol. Majeſtät haben mit allerhöchſter Entſchließung vom
17 d. M. die Bildung eines für die Vollziehung und Durchführung der
in dem allerhöchſten Patente vom 15 März l. J. ausgeſprochenen Grund-
ſätze verantwortlichen Miniſterrathes zu beſchließen geruht. Dieſer
Miniſterrath wird beſtehen: aus dem Miniſter der auswärtigen Ange-
legenheiten und des Hauſes, dem Miniſter des Innern, dem Miniſter
der Juſtiz, dem Miniſter der Finanzen und dem Miniſter des Krieges.
In dem Miniſterrathe wird ein von Sr. Majeſtät zu beſtimmender Mi-
niſterpräſident den Vorſitz führen.“ Ueber die Zuſammenſetzung dieſes
Cabinets lauten die Angaben verſchieden. Der folgende Brief läßt den
Grafen Ficquelmont an der Spitze desſelben ſtehen. Nach einem an-
dern Schreiben übernahm am 16 Graf Kollowrat das Portefeuille des
Auswärtigen, Hr. v. Pillersdorf, längſt die Hoffnung der Freiſinni-
gen, das Miniſterium des Innern. Einer unſerer geſtrigen Briefe be-
zeichnete den Grafen Colloredo als künftigen Miniſter des Aeußern.
Bei dieſem Schwanken der Angaben ſcheinen uns die Meldungen der
nachfolgenden Correſpondenz, nach der Quelle aus der dieſe kommt,
als die wahrſcheinlicheren.
△ Wien, 18 März.
Se. Maj. der Kaiſer hat zu Vollziehung
und Durchführung der in dem allerhöchſten Patent vom 15 d. angeord-
neten Reichsverfaſſung u. ſ. w. einen verantwortlichen Mini-
ſterrath errichtet. Graf Fiquelmont (der ſeine Stelle als Hof-
kriegsrathspräſident niedergelegt) ſoll mit der Bildung desſelben beauf-
tragt ſeyn. Außerdem werden als Mitglieder genannt: Graf Colloredo
für das Aeußere, Baron Kübeck für die Finanzen, Baron Pillersdorf
für das Innere, Graf Fiquelmont mit dem Präſidium auch das Porte-
feuille des Kriegs, Graf — *), nach andern aber Staatsrath Som-
ruga für die Juſtiz, Baron Joſika ſoll Präſident des ungariſch-ſieben-
bürgiſchen Bureau werden.
Oeſterreichiſche Monarchie.
*** Peſth, 14 März.
Soeben komme ich aus einer ſtürmiſchen
Verſammlung die von einer Maſſe von Bürgern in Verein mit der
hieſigen Jugend im Locale des Oppoſitionsclubs abgehalten wurde. Man
iſt hier ſehr unzufrieden mit der Adreſſe die von der Ständetafel
einſtimmig angenommen wurde, da in derſelben gar wichtige Punkte
als: Preßfreiheit, Gleichheit vor den Geſetzen u. ſ. w. gar nicht
berührt ſind. Man wollte daher von hier aus eine Petition aus 12
Punkten (die im Pillwax öffentlich angeſchlagen ſind) beſtehend höhern
Orts einreichen. In dem Anſchlag wird erwähnt: 1) Ein verant-
wortliches Miniſterium; 2) allgemeine Beſteuerung; 3)
Preßfreiheit; 4) vollkommene Regelung der Urbarialver-
hältniſſe; 5) Volksrepräſentation; 6) Gleichheit vor den
Geſetzen auch in religiöſer Hinſicht; 7) Oeffentlichkeit und
Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens; 8) Volksbewaffnung;
9) die Armee ſoll den Schwur auf die Conſtitution leiſten;
10) die ungariſche Armee ſoll außerhalb der Gränzen des
Reichs nicht verwendet werden dürfen; 11) die fremden Trup-
pen ſollen aus dem Lande gerufen werden; 12) die Union.
Das waren die 12 Punkte die man in der heutigen Sitzung einer reif-
lichen Discuſſion unterwerfen wollte, um im Falle einer einſtimmigen
Annahme dieſelben in eine förmliche Petition gekleidet mit etlichen
tauſend Unterſchriften verſehen an den König gelangen zu laſſen. Leider
ſtand keine ſogenannte Autorität an der Spitze dieſer ganzen Motior:
dieſelbe ging nur von einigen Schriftſtellern aus — und ſo wurde ſie
denn um ſo ſchneller zu nichte als ſich gerade ein paar Autoritäten
*) Der Name iſt ſehr unleſerlich geſchrieben, es ſcheint aber Graf Taaffe,
der bisherige Präſident der oberſten Juſtizſtelle gemeint zu ſeyn.
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(2022-04-08T12:00:00Z)
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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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