Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite
2.

Vor Gott! -- Nun aber starb dieser Gott! Ihr
höheren Menschen, dieser Gott war eure grösste Gefahr.

Seit er im Grabe liegt, seid ihr erst wieder auf¬
erstanden. Nun erst kommt der grosse Mittag, nun erst
wird der höhere Mensch -- Herr!

Verstandet ihr diess Wort, oh meine Brüder? Ihr
seid erschreckt: wird euren Herzen schwindlig? Klafft
euch hier der Abgrund? Kläfft euch hier der Höllen¬
hund?

Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen! Nun
erst kreisst der Berg der Menschen-Zukunft. Gott starb:
nun wollen wir, -- dass der Übermensch lebe.


3.

Die Sorglichsten fragen heute: "wie bleibt der
Mensch erhalten?" Zarathustra aber fragt als der
Einzige und Erste: "wie wird der Mensch über¬
wunden
?"

Der Übermensch liegt mir am Herzen, der ist mein
Erstes und Einziges, -- und nicht der Mensch: nicht
der Nächste, nicht der Ärmste, nicht der Leidendste,
nicht der Beste --

Oh meine Brüder, was ich lieben kann am Menschen,
das ist, dass er ein Übergang ist und ein Untergang.
Und auch an euch ist Vieles, das mich lieben und
hoffen macht.

Dass ihr verachtetet, ihr höheren Menschen, das
macht mich hoffen. Die grossen Verachtenden nämlich
sind die grossen Verehrenden.

2.

Vor Gott! — Nun aber starb dieser Gott! Ihr
höheren Menschen, dieser Gott war eure grösste Gefahr.

Seit er im Grabe liegt, seid ihr erst wieder auf¬
erstanden. Nun erst kommt der grosse Mittag, nun erst
wird der höhere Mensch — Herr!

Verstandet ihr diess Wort, oh meine Brüder? Ihr
seid erschreckt: wird euren Herzen schwindlig? Klafft
euch hier der Abgrund? Kläfft euch hier der Höllen¬
hund?

Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen! Nun
erst kreisst der Berg der Menschen-Zukunft. Gott starb:
nun wollen wir, — dass der Übermensch lebe.


3.

Die Sorglichsten fragen heute: „wie bleibt der
Mensch erhalten?“ Zarathustra aber fragt als der
Einzige und Erste: „wie wird der Mensch über¬
wunden
?“

Der Übermensch liegt mir am Herzen, der ist mein
Erstes und Einziges, — und nicht der Mensch: nicht
der Nächste, nicht der Ärmste, nicht der Leidendste,
nicht der Beste —

Oh meine Brüder, was ich lieben kann am Menschen,
das ist, dass er ein Übergang ist und ein Untergang.
Und auch an euch ist Vieles, das mich lieben und
hoffen macht.

Dass ihr verachtetet, ihr höheren Menschen, das
macht mich hoffen. Die grossen Verachtenden nämlich
sind die grossen Verehrenden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0084" n="77"/>
        <div n="2">
          <head>2.<lb/></head>
          <p>Vor Gott! &#x2014; Nun aber starb dieser Gott! Ihr<lb/>
höheren Menschen, dieser Gott war eure grösste Gefahr.</p><lb/>
          <p>Seit er im Grabe liegt, seid ihr erst wieder auf¬<lb/>
erstanden. Nun erst kommt der grosse Mittag, nun erst<lb/>
wird der höhere Mensch &#x2014; Herr!</p><lb/>
          <p>Verstandet ihr diess Wort, oh meine Brüder? Ihr<lb/>
seid erschreckt: wird euren Herzen schwindlig? Klafft<lb/>
euch hier der Abgrund? Kläfft euch hier der Höllen¬<lb/>
hund?</p><lb/>
          <p>Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen! Nun<lb/>
erst kreisst der Berg der Menschen-Zukunft. Gott starb:<lb/>
nun wollen <hi rendition="#g">wir</hi>, &#x2014; dass der Übermensch lebe.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>3.<lb/></head>
          <p>Die Sorglichsten fragen heute: &#x201E;wie bleibt der<lb/>
Mensch erhalten?&#x201C; Zarathustra aber fragt als der<lb/>
Einzige und Erste: &#x201E;wie wird der Mensch <hi rendition="#g">über¬<lb/>
wunden</hi>?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der Übermensch liegt mir am Herzen, <hi rendition="#g">der</hi> ist mein<lb/>
Erstes und Einziges, &#x2014; und <hi rendition="#g">nicht</hi> der Mensch: nicht<lb/>
der Nächste, nicht der Ärmste, nicht der Leidendste,<lb/>
nicht der Beste &#x2014;</p><lb/>
          <p>Oh meine Brüder, was ich lieben kann am Menschen,<lb/>
das ist, dass er ein Übergang ist und ein Untergang.<lb/>
Und auch an euch ist Vieles, das mich lieben und<lb/>
hoffen macht.</p><lb/>
          <p>Dass ihr verachtetet, ihr höheren Menschen, das<lb/>
macht mich hoffen. Die grossen Verachtenden nämlich<lb/>
sind die grossen Verehrenden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0084] 2. Vor Gott! — Nun aber starb dieser Gott! Ihr höheren Menschen, dieser Gott war eure grösste Gefahr. Seit er im Grabe liegt, seid ihr erst wieder auf¬ erstanden. Nun erst kommt der grosse Mittag, nun erst wird der höhere Mensch — Herr! Verstandet ihr diess Wort, oh meine Brüder? Ihr seid erschreckt: wird euren Herzen schwindlig? Klafft euch hier der Abgrund? Kläfft euch hier der Höllen¬ hund? Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen! Nun erst kreisst der Berg der Menschen-Zukunft. Gott starb: nun wollen wir, — dass der Übermensch lebe. 3. Die Sorglichsten fragen heute: „wie bleibt der Mensch erhalten?“ Zarathustra aber fragt als der Einzige und Erste: „wie wird der Mensch über¬ wunden?“ Der Übermensch liegt mir am Herzen, der ist mein Erstes und Einziges, — und nicht der Mensch: nicht der Nächste, nicht der Ärmste, nicht der Leidendste, nicht der Beste — Oh meine Brüder, was ich lieben kann am Menschen, das ist, dass er ein Übergang ist und ein Untergang. Und auch an euch ist Vieles, das mich lieben und hoffen macht. Dass ihr verachtetet, ihr höheren Menschen, das macht mich hoffen. Die grossen Verachtenden nämlich sind die grossen Verehrenden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/84
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/84>, abgerufen am 23.11.2024.