Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

So thun es diese Alle, die höheren Menschen. Du
aber hast wohl Wenig von meinem Lied verstanden?
In dir ist Wenig von einem Zaubergeiste."

"Du lobst mich, entgegnete der Gewissenhafte, indem
du mich von dir abtrennst, wohlan! Aber ihr Anderen,
was sehe ich? Ihr sitzt alle noch mit lüsternen Augen
da --:

Ihr freien Seelen, wohin ist eure Freiheit! Fast,
dünkt mich's, gleicht ihr Solchen, die lange schlimmen
tanzenden nackten Mädchen zusahn: eure Seelen tanzen
selber!

In euch, ihr höheren Menschen, muss Mehr von dem
sein, was der Zauberer seinen bösen Zauber- und Trug¬
geist nennt: -- wir müssen wohl verschieden sein.

Und wahrlich, wir sprachen und dachten genug
mitsammen, ehe Zarathustra heimkam zu seiner Höhle,
als dass ich nicht wüsste: wir sind verschieden.

Wir suchen Verschiednes auch hier oben, ihr und
ich. Ich nämlich suche mehr Sicherheit, desshalb
kam ich zu Zarathustra. Der nämlich ist noch der
festeste Thurm und Wille --

-- heute, wo Alles wackelt, wo alle Erde bebt.
Ihr aber, wenn ich eure Augen sehe, die ihr macht,
fast dünkt mich's, ihr sucht mehr Unsicherheit,

-- mehr Schauder, mehr Gefahr, mehr Erdbeben.
Euch gelüstet, fast dünkt mich's so, vergebt meinem
Dünkel, ihr höheren Menschen --

-- euch gelüstet nach dem schlimmsten gefähr¬
lichsten Leben, das mir am meisten Furcht macht, nach
dem Leben wilder Thiere, nach Wäldern, Höhlen, steilen
Bergen und Irr-Schlünden.

7

So thun es diese Alle, die höheren Menschen. Du
aber hast wohl Wenig von meinem Lied verstanden?
In dir ist Wenig von einem Zaubergeiste.“

„Du lobst mich, entgegnete der Gewissenhafte, indem
du mich von dir abtrennst, wohlan! Aber ihr Anderen,
was sehe ich? Ihr sitzt alle noch mit lüsternen Augen
da —:

Ihr freien Seelen, wohin ist eure Freiheit! Fast,
dünkt mich's, gleicht ihr Solchen, die lange schlimmen
tanzenden nackten Mädchen zusahn: eure Seelen tanzen
selber!

In euch, ihr höheren Menschen, muss Mehr von dem
sein, was der Zauberer seinen bösen Zauber- und Trug¬
geist nennt: — wir müssen wohl verschieden sein.

Und wahrlich, wir sprachen und dachten genug
mitsammen, ehe Zarathustra heimkam zu seiner Höhle,
als dass ich nicht wüsste: wir sind verschieden.

Wir suchen Verschiednes auch hier oben, ihr und
ich. Ich nämlich suche mehr Sicherheit, desshalb
kam ich zu Zarathustra. Der nämlich ist noch der
festeste Thurm und Wille —

— heute, wo Alles wackelt, wo alle Erde bebt.
Ihr aber, wenn ich eure Augen sehe, die ihr macht,
fast dünkt mich's, ihr sucht mehr Unsicherheit,

— mehr Schauder, mehr Gefahr, mehr Erdbeben.
Euch gelüstet, fast dünkt mich's so, vergebt meinem
Dünkel, ihr höheren Menschen —

— euch gelüstet nach dem schlimmsten gefähr¬
lichsten Leben, das mir am meisten Furcht macht, nach
dem Leben wilder Thiere, nach Wäldern, Höhlen, steilen
Bergen und Irr-Schlünden.

7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0104" n="97"/>
        <p>So thun es diese Alle, die höheren Menschen. Du<lb/>
aber hast wohl Wenig von meinem Lied verstanden?<lb/>
In dir ist Wenig von einem Zaubergeiste.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du lobst mich, entgegnete der Gewissenhafte, indem<lb/>
du mich von dir abtrennst, wohlan! Aber ihr Anderen,<lb/>
was sehe ich? Ihr sitzt alle noch mit lüsternen Augen<lb/>
da &#x2014;:</p><lb/>
        <p>Ihr freien Seelen, wohin ist eure Freiheit! Fast,<lb/>
dünkt mich's, gleicht ihr Solchen, die lange schlimmen<lb/>
tanzenden nackten Mädchen zusahn: eure Seelen tanzen<lb/>
selber!</p><lb/>
        <p>In euch, ihr höheren Menschen, muss Mehr von dem<lb/>
sein, was der Zauberer seinen bösen Zauber- und Trug¬<lb/>
geist nennt: &#x2014; wir müssen wohl verschieden sein.</p><lb/>
        <p>Und wahrlich, wir sprachen und dachten genug<lb/>
mitsammen, ehe Zarathustra heimkam zu seiner Höhle,<lb/>
als dass ich nicht wüsste: wir <hi rendition="#g">sind</hi> verschieden.</p><lb/>
        <p>Wir <hi rendition="#g">suchen</hi> Verschiednes auch hier oben, ihr und<lb/>
ich. Ich nämlich suche mehr <hi rendition="#g">Sicherheit</hi>, desshalb<lb/>
kam ich zu Zarathustra. Der nämlich ist noch der<lb/>
festeste Thurm und Wille &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x2014; heute, wo Alles wackelt, wo alle Erde bebt.<lb/>
Ihr aber, wenn ich eure Augen sehe, die ihr macht,<lb/>
fast dünkt mich's, ihr sucht <hi rendition="#g">mehr Unsicherheit</hi>,</p><lb/>
        <p>&#x2014; mehr Schauder, mehr Gefahr, mehr Erdbeben.<lb/>
Euch gelüstet, fast dünkt mich's so, vergebt meinem<lb/>
Dünkel, ihr höheren Menschen &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x2014; euch gelüstet nach dem schlimmsten gefähr¬<lb/>
lichsten Leben, das <hi rendition="#g">mir</hi> am meisten Furcht macht, nach<lb/>
dem Leben wilder Thiere, nach Wäldern, Höhlen, steilen<lb/>
Bergen und Irr-Schlünden.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">7<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0104] So thun es diese Alle, die höheren Menschen. Du aber hast wohl Wenig von meinem Lied verstanden? In dir ist Wenig von einem Zaubergeiste.“ „Du lobst mich, entgegnete der Gewissenhafte, indem du mich von dir abtrennst, wohlan! Aber ihr Anderen, was sehe ich? Ihr sitzt alle noch mit lüsternen Augen da —: Ihr freien Seelen, wohin ist eure Freiheit! Fast, dünkt mich's, gleicht ihr Solchen, die lange schlimmen tanzenden nackten Mädchen zusahn: eure Seelen tanzen selber! In euch, ihr höheren Menschen, muss Mehr von dem sein, was der Zauberer seinen bösen Zauber- und Trug¬ geist nennt: — wir müssen wohl verschieden sein. Und wahrlich, wir sprachen und dachten genug mitsammen, ehe Zarathustra heimkam zu seiner Höhle, als dass ich nicht wüsste: wir sind verschieden. Wir suchen Verschiednes auch hier oben, ihr und ich. Ich nämlich suche mehr Sicherheit, desshalb kam ich zu Zarathustra. Der nämlich ist noch der festeste Thurm und Wille — — heute, wo Alles wackelt, wo alle Erde bebt. Ihr aber, wenn ich eure Augen sehe, die ihr macht, fast dünkt mich's, ihr sucht mehr Unsicherheit, — mehr Schauder, mehr Gefahr, mehr Erdbeben. Euch gelüstet, fast dünkt mich's so, vergebt meinem Dünkel, ihr höheren Menschen — — euch gelüstet nach dem schlimmsten gefähr¬ lichsten Leben, das mir am meisten Furcht macht, nach dem Leben wilder Thiere, nach Wäldern, Höhlen, steilen Bergen und Irr-Schlünden. 7

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/104
Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 4. Leipzig, 1891, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra04_1891/104>, abgerufen am 29.11.2024.