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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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mord zuläßt 36). Es fließt aus dieser gewissen Ueberzeu-
gung, wenn er erzählt wie eine teuflische Freude über den
Mord laut ausgebrochen sey: wie jeder Patricier, auch
wer der That fremd gewesen, sich der Mitschuldigkeit ge-
rühmt habe: für historische Ueberlieferung darf das nicht
gelten, und nicht den ganzen patricischen Stand mit dem
Vorwurf des Mords belasten.

Auch die Kraft der Erbitterung womit das Volk un-
mittelbar nachher, unter der Führung des Tribunen Vo-
lero Publilius, jene entscheidende Veränderung der Ver-
fassung errang, welche den Comitien der Tribus eine Ini-
tiative in der Gesetzgebung einräumte; auch diese deutet
hier auf ein Verbrechen, welches als das meuchlerische
Werk feiger Wuth seinen Urhebern nur Schande und
Schaden bringen konnte.

Unmittelbar nach dem Morde singen die Consuln an
Soldaten auszuheben, wiewohl alles friedlich war: ohne
von den Tribunen, die für ihr Leben zitterten, Widerstand
zu erfahren. Volero Publilius ward von ihnen als Ge-

36) Dionysius sagt hier, im Zusammenhang der Geschichte,
es habe sich an der Leiche keine Spur eines gewaltsamen
Todes gefunden (IX. c. 37.). An einem andern Ort hin-
gegen redet er von der Ermordung des Genucius (X. c. 38.).
Ihm geschieht es sehr selten daß er sich widerspricht: also
mag jene Stelle nur andeuten sollen was sie buchstäblich sagt,
nicht daß Genucius in der That natürliches Todes gestorben
wäre. Mir scheint hier eine Erinnerung an des jüngeren
Scipio Tod dem Dionysius oder einem seiner Annalisten
vorgegaukelt zu haben.
Zweiter Theil. C

mord zulaͤßt 36). Es fließt aus dieſer gewiſſen Ueberzeu-
gung, wenn er erzaͤhlt wie eine teufliſche Freude uͤber den
Mord laut ausgebrochen ſey: wie jeder Patricier, auch
wer der That fremd geweſen, ſich der Mitſchuldigkeit ge-
ruͤhmt habe: fuͤr hiſtoriſche Ueberlieferung darf das nicht
gelten, und nicht den ganzen patriciſchen Stand mit dem
Vorwurf des Mords belaſten.

Auch die Kraft der Erbitterung womit das Volk un-
mittelbar nachher, unter der Fuͤhrung des Tribunen Vo-
lero Publilius, jene entſcheidende Veraͤnderung der Ver-
faſſung errang, welche den Comitien der Tribus eine Ini-
tiative in der Geſetzgebung einraͤumte; auch dieſe deutet
hier auf ein Verbrechen, welches als das meuchleriſche
Werk feiger Wuth ſeinen Urhebern nur Schande und
Schaden bringen konnte.

Unmittelbar nach dem Morde ſingen die Conſuln an
Soldaten auszuheben, wiewohl alles friedlich war: ohne
von den Tribunen, die fuͤr ihr Leben zitterten, Widerſtand
zu erfahren. Volero Publilius ward von ihnen als Ge-

36) Dionyſius ſagt hier, im Zuſammenhang der Geſchichte,
es habe ſich an der Leiche keine Spur eines gewaltſamen
Todes gefunden (IX. c. 37.). An einem andern Ort hin-
gegen redet er von der Ermordung des Genucius (X. c. 38.).
Ihm geſchieht es ſehr ſelten daß er ſich widerſpricht: alſo
mag jene Stelle nur andeuten ſollen was ſie buchſtaͤblich ſagt,
nicht daß Genucius in der That natuͤrliches Todes geſtorben
waͤre. Mir ſcheint hier eine Erinnerung an des juͤngeren
Scipio Tod dem Dionyſius oder einem ſeiner Annaliſten
vorgegaukelt zu haben.
Zweiter Theil. C
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[33/0049] mord zulaͤßt 36). Es fließt aus dieſer gewiſſen Ueberzeu- gung, wenn er erzaͤhlt wie eine teufliſche Freude uͤber den Mord laut ausgebrochen ſey: wie jeder Patricier, auch wer der That fremd geweſen, ſich der Mitſchuldigkeit ge- ruͤhmt habe: fuͤr hiſtoriſche Ueberlieferung darf das nicht gelten, und nicht den ganzen patriciſchen Stand mit dem Vorwurf des Mords belaſten. Auch die Kraft der Erbitterung womit das Volk un- mittelbar nachher, unter der Fuͤhrung des Tribunen Vo- lero Publilius, jene entſcheidende Veraͤnderung der Ver- faſſung errang, welche den Comitien der Tribus eine Ini- tiative in der Geſetzgebung einraͤumte; auch dieſe deutet hier auf ein Verbrechen, welches als das meuchleriſche Werk feiger Wuth ſeinen Urhebern nur Schande und Schaden bringen konnte. Unmittelbar nach dem Morde ſingen die Conſuln an Soldaten auszuheben, wiewohl alles friedlich war: ohne von den Tribunen, die fuͤr ihr Leben zitterten, Widerſtand zu erfahren. Volero Publilius ward von ihnen als Ge- 36) Dionyſius ſagt hier, im Zuſammenhang der Geſchichte, es habe ſich an der Leiche keine Spur eines gewaltſamen Todes gefunden (IX. c. 37.). An einem andern Ort hin- gegen redet er von der Ermordung des Genucius (X. c. 38.). Ihm geſchieht es ſehr ſelten daß er ſich widerſpricht: alſo mag jene Stelle nur andeuten ſollen was ſie buchſtaͤblich ſagt, nicht daß Genucius in der That natuͤrliches Todes geſtorben waͤre. Mir ſcheint hier eine Erinnerung an des juͤngeren Scipio Tod dem Dionyſius oder einem ſeiner Annaliſten vorgegaukelt zu haben. Zweiter Theil. C

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/49>, abgerufen am 23.11.2024.