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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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Verfassung Roms seit Errichtung
des Tribunats
.

Die Republik bestand damals unter einer Verfas-
sung, von der sich kein völlig ähnliches zweytes Bey-
spiel in der Geschichte findet. Zwey zusammengefügte
Völker bildeten den Staat, in denselben Ringmauern
neben einander, wenn auch nicht vermischt, wohnend:
in dem einen ein souverainer Stand mit vielen Erbun-
terthänigen, das andere aus gleichen Freyen bestehend.
Der Adel jenes Volks herrschte über das Ganze: die
plebejische Nation, von der Regierung ausgeschlossen,
übte ein Verweigerungsrecht bey den Vorschlägen zu
Wahlen und Gesetzen: und wenn diese Macht nur auf
sehr seltne Veranlassungen beschränkt war, so machte sie
dagegen, mit wohlbegründeter völkerrechtlicher Befug-
niß, das Recht geltend den Gehorsam zu verweigern
wenn sie sich beeinträchtigt fühlte, und erhielt sich so in
einer durch keine Verjährung verwürkten freyen Leistung
sofern die Regierung ihren Rechten nicht zu nahe trete.

Ueber Verletzung dieser Rechte, und Vergehungen
gegen ihren gesammten Stand, richtete die plebejische
Gemeinde selbst: nach dem italischen Völkerrecht, kraft
dessen der beleidigte Staat die Auslieferung derer, die er
gegen sich schuldig nannte, fordern konnte um sie selbst zu
richten; weil die Plebejer, wie in ihrem Ursprung, als
ein verschiedenes Volk galten. Dieses Recht ist von der
römischen Republik gegen die übrigen Völker beständig
geltend gemacht worden, und man darf das nicht als

Verfaſſung Roms ſeit Errichtung
des Tribunats
.

Die Republik beſtand damals unter einer Verfaſ-
ſung, von der ſich kein voͤllig aͤhnliches zweytes Bey-
ſpiel in der Geſchichte findet. Zwey zuſammengefuͤgte
Voͤlker bildeten den Staat, in denſelben Ringmauern
neben einander, wenn auch nicht vermiſcht, wohnend:
in dem einen ein ſouverainer Stand mit vielen Erbun-
terthaͤnigen, das andere aus gleichen Freyen beſtehend.
Der Adel jenes Volks herrſchte uͤber das Ganze: die
plebejiſche Nation, von der Regierung ausgeſchloſſen,
uͤbte ein Verweigerungsrecht bey den Vorſchlaͤgen zu
Wahlen und Geſetzen: und wenn dieſe Macht nur auf
ſehr ſeltne Veranlaſſungen beſchraͤnkt war, ſo machte ſie
dagegen, mit wohlbegruͤndeter voͤlkerrechtlicher Befug-
niß, das Recht geltend den Gehorſam zu verweigern
wenn ſie ſich beeintraͤchtigt fuͤhlte, und erhielt ſich ſo in
einer durch keine Verjaͤhrung verwuͤrkten freyen Leiſtung
ſofern die Regierung ihren Rechten nicht zu nahe trete.

Ueber Verletzung dieſer Rechte, und Vergehungen
gegen ihren geſammten Stand, richtete die plebejiſche
Gemeinde ſelbſt: nach dem italiſchen Voͤlkerrecht, kraft
deſſen der beleidigte Staat die Auslieferung derer, die er
gegen ſich ſchuldig nannte, fordern konnte um ſie ſelbſt zu
richten; weil die Plebejer, wie in ihrem Urſprung, als
ein verſchiedenes Volk galten. Dieſes Recht iſt von der
roͤmiſchen Republik gegen die uͤbrigen Voͤlker beſtaͤndig
geltend gemacht worden, und man darf das nicht als

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[5/0021] Verfaſſung Roms ſeit Errichtung des Tribunats. Die Republik beſtand damals unter einer Verfaſ- ſung, von der ſich kein voͤllig aͤhnliches zweytes Bey- ſpiel in der Geſchichte findet. Zwey zuſammengefuͤgte Voͤlker bildeten den Staat, in denſelben Ringmauern neben einander, wenn auch nicht vermiſcht, wohnend: in dem einen ein ſouverainer Stand mit vielen Erbun- terthaͤnigen, das andere aus gleichen Freyen beſtehend. Der Adel jenes Volks herrſchte uͤber das Ganze: die plebejiſche Nation, von der Regierung ausgeſchloſſen, uͤbte ein Verweigerungsrecht bey den Vorſchlaͤgen zu Wahlen und Geſetzen: und wenn dieſe Macht nur auf ſehr ſeltne Veranlaſſungen beſchraͤnkt war, ſo machte ſie dagegen, mit wohlbegruͤndeter voͤlkerrechtlicher Befug- niß, das Recht geltend den Gehorſam zu verweigern wenn ſie ſich beeintraͤchtigt fuͤhlte, und erhielt ſich ſo in einer durch keine Verjaͤhrung verwuͤrkten freyen Leiſtung ſofern die Regierung ihren Rechten nicht zu nahe trete. Ueber Verletzung dieſer Rechte, und Vergehungen gegen ihren geſammten Stand, richtete die plebejiſche Gemeinde ſelbſt: nach dem italiſchen Voͤlkerrecht, kraft deſſen der beleidigte Staat die Auslieferung derer, die er gegen ſich ſchuldig nannte, fordern konnte um ſie ſelbſt zu richten; weil die Plebejer, wie in ihrem Urſprung, als ein verſchiedenes Volk galten. Dieſes Recht iſt von der roͤmiſchen Republik gegen die uͤbrigen Voͤlker beſtaͤndig geltend gemacht worden, und man darf das nicht als

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/21>, abgerufen am 29.03.2024.