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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

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sundheit
und Seelenkrankheit überhaupt bestehe. Seelengesundheit ist nehmlich derjenige Seelenzustand, worin die Würkungen des freien Willens ungehindert ausgeübt werden können; so wie Seelenkrankheit in dem entgegengesetzten Zustande besteht. Die Ursache der Seelenkrankheit überhaupt muß, wenn sie nicht Körperkrankheit seyn soll, blos in einer aus Gewohnheit entsprungenen Fertigkeit zu einer besondern Associationsart bestehen, die so stark geworden ist, daß sie eine jede andere Associationsart unmöglich macht.

Die Kurmethode der Seelenkrankheit besteht also blos darin, daß man diese herrschende Associationsart zu schwächen, und mit den andern ins Gleichgewicht zu bringen sucht.

Der größte Seelenarzt, der uns aus der Geschichte bekannt ist, war ohne Zweifel Sokrates. Seine Heilmethode war, die Krankheit von Grund aus zu kuriren, d.h. die Jrrthümer und Vorurtheile, als die Ursachen der Krankheit, dadurch zu heben, daß er die daran Leidenden von ihrem Ungrunde überzeugte.

Die Stoiker waren auch vortreffliche Seelenärzte. Aber wie es scheint, haben sie sich vielmehr mit der Diätetik, und Verhütung der Krankheiten, als mit ihrer Heilung, nachdem sie schon ausgebrochen, beschäftigt.

Selbst Epikur war ein guter Seelenarzt. Er unterschied sich von den Stoikern blos darin, daß


sundheit
und Seelenkrankheit uͤberhaupt bestehe. Seelengesundheit ist nehmlich derjenige Seelenzustand, worin die Wuͤrkungen des freien Willens ungehindert ausgeuͤbt werden koͤnnen; so wie Seelenkrankheit in dem entgegengesetzten Zustande besteht. Die Ursache der Seelenkrankheit uͤberhaupt muß, wenn sie nicht Koͤrperkrankheit seyn soll, blos in einer aus Gewohnheit entsprungenen Fertigkeit zu einer besondern Associationsart bestehen, die so stark geworden ist, daß sie eine jede andere Associationsart unmoͤglich macht.

Die Kurmethode der Seelenkrankheit besteht also blos darin, daß man diese herrschende Associationsart zu schwaͤchen, und mit den andern ins Gleichgewicht zu bringen sucht.

Der groͤßte Seelenarzt, der uns aus der Geschichte bekannt ist, war ohne Zweifel Sokrates. Seine Heilmethode war, die Krankheit von Grund aus zu kuriren, d.h. die Jrrthuͤmer und Vorurtheile, als die Ursachen der Krankheit, dadurch zu heben, daß er die daran Leidenden von ihrem Ungrunde uͤberzeugte.

Die Stoiker waren auch vortreffliche Seelenaͤrzte. Aber wie es scheint, haben sie sich vielmehr mit der Diaͤtetik, und Verhuͤtung der Krankheiten, als mit ihrer Heilung, nachdem sie schon ausgebrochen, beschaͤftigt.

Selbst Epikur war ein guter Seelenarzt. Er unterschied sich von den Stoikern blos darin, daß

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[9/0011] sundheit und Seelenkrankheit uͤberhaupt bestehe. Seelengesundheit ist nehmlich derjenige Seelenzustand, worin die Wuͤrkungen des freien Willens ungehindert ausgeuͤbt werden koͤnnen; so wie Seelenkrankheit in dem entgegengesetzten Zustande besteht. Die Ursache der Seelenkrankheit uͤberhaupt muß, wenn sie nicht Koͤrperkrankheit seyn soll, blos in einer aus Gewohnheit entsprungenen Fertigkeit zu einer besondern Associationsart bestehen, die so stark geworden ist, daß sie eine jede andere Associationsart unmoͤglich macht. Die Kurmethode der Seelenkrankheit besteht also blos darin, daß man diese herrschende Associationsart zu schwaͤchen, und mit den andern ins Gleichgewicht zu bringen sucht. Der groͤßte Seelenarzt, der uns aus der Geschichte bekannt ist, war ohne Zweifel Sokrates. Seine Heilmethode war, die Krankheit von Grund aus zu kuriren, d.h. die Jrrthuͤmer und Vorurtheile, als die Ursachen der Krankheit, dadurch zu heben, daß er die daran Leidenden von ihrem Ungrunde uͤberzeugte. Die Stoiker waren auch vortreffliche Seelenaͤrzte. Aber wie es scheint, haben sie sich vielmehr mit der Diaͤtetik, und Verhuͤtung der Krankheiten, als mit ihrer Heilung, nachdem sie schon ausgebrochen, beschaͤftigt. Selbst Epikur war ein guter Seelenarzt. Er unterschied sich von den Stoikern blos darin, daß

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/11>, abgerufen am 29.03.2024.