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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.

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Die ästhetische Täuschung beruht also darauf, daß man eben dasselbe Ding zugleich als Gegenstand und Vorstellung betrachtet, indem man im ersten Falle blos auf das Wesentliche, im zweiten aber auch auf das Zufällige Rücksicht nimmt.

Jch komme nun zu einer andern Art Täuschung, welche die logische genannt werden kann. Sie ist der ästhetischen hierin ähnlich: daß in beiden die Vorstellung des Objekts für das Objekt selbst gehalten wird. Sie unterscheiden sich blos dadurch, daß in dieser die Vorstellung ein Bestandtheil des Gegenstandes selbst, in jener aber nicht Bestandtheil, sondern blos Form desselben ist. Das erste und auffallendste Beispiel hiervon kann uns die vorerwehnte Frage: können uns die Sinne täuschen? darbieten.

Jch habe schon bemerkt: daß diese Frage gar keine Bedeutung haben kann, und dahero unauflösbar bleiben muß, indem sowohl die einzelnen sinnlichen Eindrücke als die aus ihnen entspringenden Gegenstände der Anschauung keine Copien von irgend etwas ausser denselben sind, so daß man sie durch ihre Vergleichung mit ihren Originalen für Wahrheit oder Täuschung halten sollte; und doch zeigt diese oft aufgeworfene Frage, daß man sie immer als Copieen eines sich ausser ihnen befindlichen Originals denke. Jch werde mich daher bemühen die Entstehungsart dieser Jllusion zu erklären.



Die aͤsthetische Taͤuschung beruht also darauf, daß man eben dasselbe Ding zugleich als Gegenstand und Vorstellung betrachtet, indem man im ersten Falle blos auf das Wesentliche, im zweiten aber auch auf das Zufaͤllige Ruͤcksicht nimmt.

Jch komme nun zu einer andern Art Taͤuschung, welche die logische genannt werden kann. Sie ist der aͤsthetischen hierin aͤhnlich: daß in beiden die Vorstellung des Objekts fuͤr das Objekt selbst gehalten wird. Sie unterscheiden sich blos dadurch, daß in dieser die Vorstellung ein Bestandtheil des Gegenstandes selbst, in jener aber nicht Bestandtheil, sondern blos Form desselben ist. Das erste und auffallendste Beispiel hiervon kann uns die vorerwehnte Frage: koͤnnen uns die Sinne taͤuschen? darbieten.

Jch habe schon bemerkt: daß diese Frage gar keine Bedeutung haben kann, und dahero unaufloͤsbar bleiben muß, indem sowohl die einzelnen sinnlichen Eindruͤcke als die aus ihnen entspringenden Gegenstaͤnde der Anschauung keine Copien von irgend etwas ausser denselben sind, so daß man sie durch ihre Vergleichung mit ihren Originalen fuͤr Wahrheit oder Taͤuschung halten sollte; und doch zeigt diese oft aufgeworfene Frage, daß man sie immer als Copieen eines sich ausser ihnen befindlichen Originals denke. Jch werde mich daher bemuͤhen die Entstehungsart dieser Jllusion zu erklaͤren.


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[46/0046] Die aͤsthetische Taͤuschung beruht also darauf, daß man eben dasselbe Ding zugleich als Gegenstand und Vorstellung betrachtet, indem man im ersten Falle blos auf das Wesentliche, im zweiten aber auch auf das Zufaͤllige Ruͤcksicht nimmt. Jch komme nun zu einer andern Art Taͤuschung, welche die logische genannt werden kann. Sie ist der aͤsthetischen hierin aͤhnlich: daß in beiden die Vorstellung des Objekts fuͤr das Objekt selbst gehalten wird. Sie unterscheiden sich blos dadurch, daß in dieser die Vorstellung ein Bestandtheil des Gegenstandes selbst, in jener aber nicht Bestandtheil, sondern blos Form desselben ist. Das erste und auffallendste Beispiel hiervon kann uns die vorerwehnte Frage: koͤnnen uns die Sinne taͤuschen? darbieten. Jch habe schon bemerkt: daß diese Frage gar keine Bedeutung haben kann, und dahero unaufloͤsbar bleiben muß, indem sowohl die einzelnen sinnlichen Eindruͤcke als die aus ihnen entspringenden Gegenstaͤnde der Anschauung keine Copien von irgend etwas ausser denselben sind, so daß man sie durch ihre Vergleichung mit ihren Originalen fuͤr Wahrheit oder Taͤuschung halten sollte; und doch zeigt diese oft aufgeworfene Frage, daß man sie immer als Copieen eines sich ausser ihnen befindlichen Originals denke. Jch werde mich daher bemuͤhen die Entstehungsart dieser Jllusion zu erklaͤren.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/46>, abgerufen am 25.04.2024.