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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.

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faltigen
sind, sie nicht zugleich als Bestandtheile dieses Mannigfaltigen selbst gedacht werden können, d.h.: obgleich jedes wirkliche Objekt nur zu einer gewissen Zeit und in einem gewissen Raume existiren kann, es dennoch nicht durch diese Zeit und diesen Ort ein bestimmtes Objekt wird.

Man kann sich daher eben dasselbe Objekt zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten denken, ohne daß es deswegen aufhört, das nehmliche Objekt zu seyn. Die Bestimmungen von Zeit und Ort können also blos als zufällige Beschaffenheit oder als Zeichen, nicht aber als wesentliche Bestandtheile oder Eigenschaften desselben gedacht werden. Dieses muß noch mehr von den Nahmen die blos willkürliche Zeichen sind, gelten.

Wenn also die Begebenheiten des Königs Lear, Macbeth, Graf Essex und dergleichen auf dem Theater vorgestellt werden; so benimmt die Wahrheit, daß diese Begebenheiten nicht jezt, sondern vor einigen hundert Jahren, und nicht in Deutschland, sondern in England vorgefallen, und daß die Hauptperson nicht König Lear, sondern der Schauspieler ist, dieser Vorstellung nichts; indem diese zufällige Bestimmung abgerechnet, übrigens die wirkliche Begebenheit nicht blos vorgestellt, sondern vollständig dargestellt wird.

Hier geht also eine eigentlich sogenannte Täuschung vor, indem wir von der einen Seite gezwun-


faltigen
sind, sie nicht zugleich als Bestandtheile dieses Mannigfaltigen selbst gedacht werden koͤnnen, d.h.: obgleich jedes wirkliche Objekt nur zu einer gewissen Zeit und in einem gewissen Raume existiren kann, es dennoch nicht durch diese Zeit und diesen Ort ein bestimmtes Objekt wird.

Man kann sich daher eben dasselbe Objekt zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten denken, ohne daß es deswegen aufhoͤrt, das nehmliche Objekt zu seyn. Die Bestimmungen von Zeit und Ort koͤnnen also blos als zufaͤllige Beschaffenheit oder als Zeichen, nicht aber als wesentliche Bestandtheile oder Eigenschaften desselben gedacht werden. Dieses muß noch mehr von den Nahmen die blos willkuͤrliche Zeichen sind, gelten.

Wenn also die Begebenheiten des Koͤnigs Lear, Macbeth, Graf Essex und dergleichen auf dem Theater vorgestellt werden; so benimmt die Wahrheit, daß diese Begebenheiten nicht jezt, sondern vor einigen hundert Jahren, und nicht in Deutschland, sondern in England vorgefallen, und daß die Hauptperson nicht Koͤnig Lear, sondern der Schauspieler ist, dieser Vorstellung nichts; indem diese zufaͤllige Bestimmung abgerechnet, uͤbrigens die wirkliche Begebenheit nicht blos vorgestellt, sondern vollstaͤndig dargestellt wird.

Hier geht also eine eigentlich sogenannte Taͤuschung vor, indem wir von der einen Seite gezwun-

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            <p>Man kann sich daher eben dasselbe Objekt zu verschiedenen Zeiten und an                         verschiedenen Orten denken, ohne daß es deswegen aufho&#x0364;rt, das nehmliche                         Objekt zu seyn. Die Bestimmungen von Zeit und Ort ko&#x0364;nnen also blos als                         zufa&#x0364;llige Beschaffenheit oder als Zeichen, nicht aber als wesentliche                         Bestandtheile oder Eigenschaften desselben gedacht werden. Dieses muß noch                         mehr von den Nahmen die blos willku&#x0364;rliche Zeichen sind, gelten.</p>
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[43/0043] faltigen sind, sie nicht zugleich als Bestandtheile dieses Mannigfaltigen selbst gedacht werden koͤnnen, d.h.: obgleich jedes wirkliche Objekt nur zu einer gewissen Zeit und in einem gewissen Raume existiren kann, es dennoch nicht durch diese Zeit und diesen Ort ein bestimmtes Objekt wird. Man kann sich daher eben dasselbe Objekt zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten denken, ohne daß es deswegen aufhoͤrt, das nehmliche Objekt zu seyn. Die Bestimmungen von Zeit und Ort koͤnnen also blos als zufaͤllige Beschaffenheit oder als Zeichen, nicht aber als wesentliche Bestandtheile oder Eigenschaften desselben gedacht werden. Dieses muß noch mehr von den Nahmen die blos willkuͤrliche Zeichen sind, gelten. Wenn also die Begebenheiten des Koͤnigs Lear, Macbeth, Graf Essex und dergleichen auf dem Theater vorgestellt werden; so benimmt die Wahrheit, daß diese Begebenheiten nicht jezt, sondern vor einigen hundert Jahren, und nicht in Deutschland, sondern in England vorgefallen, und daß die Hauptperson nicht Koͤnig Lear, sondern der Schauspieler ist, dieser Vorstellung nichts; indem diese zufaͤllige Bestimmung abgerechnet, uͤbrigens die wirkliche Begebenheit nicht blos vorgestellt, sondern vollstaͤndig dargestellt wird. Hier geht also eine eigentlich sogenannte Taͤuschung vor, indem wir von der einen Seite gezwun-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/43>, abgerufen am 25.04.2024.