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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.

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Wenn z.B. indem ich dieses schreibe, ein Vogel vor meinen Augen vorüber streicht, so glaube ich überzeugt zu seyn, diese Vorstellung sey plötzlich in mir entstanden, weil zufolge meines besten Bewußtseyns in dem Vorhergegangenen kein Faden anzutreffen ist, den ich an den Begriff eines Vogels knüpfen könnte.

Demnach erzeugt der Satz: kein Gedankending entstehet mittelst eines Sprunges, nebst dem zweiten: es giebt Vorstellungen, welche, wenn ich meinen Wahrnehmungen trauen darf, mittelst eines Sprunges entstehen, den dritten: Die Vorstellungen von der letzten Art, oder bestimmter, die Vorstellungen, welche die Sinne darbieten, werden nicht blos in mir entsponnen, sind keine bloße Gedankendinge, sondern es giebt eine Wirklichkeit außer mir, welche sie in mir wirkt, oder veranlaßt. Nemlich: entweder die Vorstellungen welche wir durch die Sinne empfangen, sind nicht mit unsern übrigen Vorstellungen verbunden, obgleich die Dinge, welche auf die Sinne wirken, eine ununterbrochene Verbindung untereinander haben; oder der Faden ist in Absicht derselben nicht abgeschnitten; ich habe Vorstellungen von der ganzen Welt, und zwar diejenigen, welche blos in mir entstehen, beziehn sich unmittelbar auf mich, auf meine Eigenheiten, und auf Eindrücke, welche die sinnlichen Vorstellungen in mir zurückgelassen haben; die Vorstellungen aber welche durch die Wirkung äußerer Ge-


Wenn z.B. indem ich dieses schreibe, ein Vogel vor meinen Augen voruͤber streicht, so glaube ich uͤberzeugt zu seyn, diese Vorstellung sey ploͤtzlich in mir entstanden, weil zufolge meines besten Bewußtseyns in dem Vorhergegangenen kein Faden anzutreffen ist, den ich an den Begriff eines Vogels knuͤpfen koͤnnte.

Demnach erzeugt der Satz: kein Gedankending entstehet mittelst eines Sprunges, nebst dem zweiten: es giebt Vorstellungen, welche, wenn ich meinen Wahrnehmungen trauen darf, mittelst eines Sprunges entstehen, den dritten: Die Vorstellungen von der letzten Art, oder bestimmter, die Vorstellungen, welche die Sinne darbieten, werden nicht blos in mir entsponnen, sind keine bloße Gedankendinge, sondern es giebt eine Wirklichkeit außer mir, welche sie in mir wirkt, oder veranlaßt. Nemlich: entweder die Vorstellungen welche wir durch die Sinne empfangen, sind nicht mit unsern uͤbrigen Vorstellungen verbunden, obgleich die Dinge, welche auf die Sinne wirken, eine ununterbrochene Verbindung untereinander haben; oder der Faden ist in Absicht derselben nicht abgeschnitten; ich habe Vorstellungen von der ganzen Welt, und zwar diejenigen, welche blos in mir entstehen, beziehn sich unmittelbar auf mich, auf meine Eigenheiten, und auf Eindruͤcke, welche die sinnlichen Vorstellungen in mir zuruͤckgelassen haben; die Vorstellungen aber welche durch die Wirkung aͤußerer Ge-

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[20/0020] Wenn z.B. indem ich dieses schreibe, ein Vogel vor meinen Augen voruͤber streicht, so glaube ich uͤberzeugt zu seyn, diese Vorstellung sey ploͤtzlich in mir entstanden, weil zufolge meines besten Bewußtseyns in dem Vorhergegangenen kein Faden anzutreffen ist, den ich an den Begriff eines Vogels knuͤpfen koͤnnte. Demnach erzeugt der Satz: kein Gedankending entstehet mittelst eines Sprunges, nebst dem zweiten: es giebt Vorstellungen, welche, wenn ich meinen Wahrnehmungen trauen darf, mittelst eines Sprunges entstehen, den dritten: Die Vorstellungen von der letzten Art, oder bestimmter, die Vorstellungen, welche die Sinne darbieten, werden nicht blos in mir entsponnen, sind keine bloße Gedankendinge, sondern es giebt eine Wirklichkeit außer mir, welche sie in mir wirkt, oder veranlaßt. Nemlich: entweder die Vorstellungen welche wir durch die Sinne empfangen, sind nicht mit unsern uͤbrigen Vorstellungen verbunden, obgleich die Dinge, welche auf die Sinne wirken, eine ununterbrochene Verbindung untereinander haben; oder der Faden ist in Absicht derselben nicht abgeschnitten; ich habe Vorstellungen von der ganzen Welt, und zwar diejenigen, welche blos in mir entstehen, beziehn sich unmittelbar auf mich, auf meine Eigenheiten, und auf Eindruͤcke, welche die sinnlichen Vorstellungen in mir zuruͤckgelassen haben; die Vorstellungen aber welche durch die Wirkung aͤußerer Ge-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/20>, abgerufen am 28.03.2024.