Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0040" n="40"/><lb/> zu rechtfertigen? Daß der eine Mensch mehr Zunder, mehr Empfaͤnglichkeit, mehr Offenheit, wenn ich so reden darf, fuͤr unedle Neigungen hat, als der andere, so wie der eine mehr Lebhaftigkeit des Temperaments, heftigere Affecten, staͤrkere Grundtriebe besizt als der andere ist ausser Zweifel. Diese oft auffallende Verschiedenheit hat die Jdee erzeugt: er ist mit dem Strick gebohren, wie der große und fromme Saurin, auch so manche andere Beispiele diese Jdee zu beguͤnstigen scheinen. Gewisse unedle Neigungen, gewisse boͤse Triebe koͤnnen der Natur des Menschen nicht angebohren seyn, weil er sonst auch wider Willen zu boͤsen Handlungen gezwungen seyn wuͤrde, also wie eine todte Maschiene nie zu einem moralischen Character gelangen koͤnnte, und ohne diesen ist der Mensch Jdiot, oder ein Verstandloser, der keinen Willen hat, — denn sein moralischer Character haͤngt lediglich von seinem freien Betragen und Verbindungen ab, folglich weder durch Kultur der Seelenkraͤfte, durch Erziehung, durch Umgang, durch Gewohnheit, durch zufaͤllige Umstaͤnde des Koͤrpers, noch durch die Religion gebildet werden koͤnnte. Das Vermoͤgen darf ich sagen, die Kraft zu guten als boͤsen Neigungen, der Zunder fuͤr beides muß der Natur der Seele eigen seyn, und muß ohnstreitig zu der metaphysischen Vollkommenheit des Menschen gehoͤren, so wie er in seinem gegenwaͤrtigen Zustande seyn sollte, nemlich fuͤr diese beste Welt, metaphysisch eingeschraͤnkt, aus<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [40/0040]
zu rechtfertigen? Daß der eine Mensch mehr Zunder, mehr Empfaͤnglichkeit, mehr Offenheit, wenn ich so reden darf, fuͤr unedle Neigungen hat, als der andere, so wie der eine mehr Lebhaftigkeit des Temperaments, heftigere Affecten, staͤrkere Grundtriebe besizt als der andere ist ausser Zweifel. Diese oft auffallende Verschiedenheit hat die Jdee erzeugt: er ist mit dem Strick gebohren, wie der große und fromme Saurin, auch so manche andere Beispiele diese Jdee zu beguͤnstigen scheinen. Gewisse unedle Neigungen, gewisse boͤse Triebe koͤnnen der Natur des Menschen nicht angebohren seyn, weil er sonst auch wider Willen zu boͤsen Handlungen gezwungen seyn wuͤrde, also wie eine todte Maschiene nie zu einem moralischen Character gelangen koͤnnte, und ohne diesen ist der Mensch Jdiot, oder ein Verstandloser, der keinen Willen hat, — denn sein moralischer Character haͤngt lediglich von seinem freien Betragen und Verbindungen ab, folglich weder durch Kultur der Seelenkraͤfte, durch Erziehung, durch Umgang, durch Gewohnheit, durch zufaͤllige Umstaͤnde des Koͤrpers, noch durch die Religion gebildet werden koͤnnte. Das Vermoͤgen darf ich sagen, die Kraft zu guten als boͤsen Neigungen, der Zunder fuͤr beides muß der Natur der Seele eigen seyn, und muß ohnstreitig zu der metaphysischen Vollkommenheit des Menschen gehoͤren, so wie er in seinem gegenwaͤrtigen Zustande seyn sollte, nemlich fuͤr diese beste Welt, metaphysisch eingeschraͤnkt, aus
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
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